Zur Erstaufführung der Euryanthe in Karlsruhe am 21. März 1824 (Teil 1/2)

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Korrespondenz-Nachricht

Seit Mozart hat vielleicht kein Tonsetzer einen so großen und allgemeinen Effect auf Musikkenner und Laien hervorgebracht, als Carl Maria v. Weber mit dem Erscheinen seines ersten dramatischen Kunstwerks, des mit Recht so hoch geprießenen Freischützen.  ¦ Durch seinen herrlichen Lieder und Gesänge, wie nicht minder durch seine erhabene[n] Compositionen für die Kirche bei dem gebildetern Publikum schon früher bekannt, verbreitete sich sein hoher Ruf durch die Zauberkraft, welche in der Musik-Begleitung der Preciosa herrscht, auf eine eben so ausgezeichnete als schnelle Weise in ganz Deutschland. Mit unwiderstehlichem Reiz riß diese herrliche Musik jedes Gemüth zur Bewunderung hin, und jene wahrhaft poetischen Schönheiten, deren freundliche Anklänge gleichsam aus der Sirenen melodischem Zauberreiche widerhallten, erweckten in jedem Busen ein neues unbekanntes Entzücken, und verschafften einer an sich unbedeutenden Dichtung überall eine ruhmvolle glänzende Aufnahme. Denn wie das ächte und reine Gold der Einfassung öfters den minder edlen Stein in einem schimmernden Glanze strahlen läßt, so wirkte Webers Genius äusserst günstig auf des Dichters wenig gehaltreiches Machwerk, und gleich der Sonne, die jede Pflanze erwärmet und belebet, ersprühte der Dichtung aus dem hohen Feuer jener bezaubernten Accorde eine belebende Kraft. Diesem reichlich gepflückten Lorbeer sahen wir durch die herrliche Composition des Freischützen neue grünende Blätter erspriesen, und nicht im Aufsuchen von schwierigen Passagen und mystisch verhüllten Schönheiten seinen Ruhm suchend, bewegt sich Webers Kunsttalent in einer eigenthümlichen Sphäre, und die verständliche Klarheit, die in allen Musikstücken vorherrschend ist, mußte vereint mit wunderschönen melodischen Anklängen auf jedes Gemüth den tiefsten Eindruck machen. An den Ufern der Donau und der Spree wurde diesem genialen Kunstprodukte der hochverdiente Beifall reichlich gezollt, und sein hoher Ruf, der an dem Gestade der Elbe und Leine so mächtig ertönte, hallte gleich ruhmvoll in des Rheines freundlichen Gauen wieder, und selbst an der Seine und Themse belebtem Strande wurden dem deutschen Tonkünstler rühmliche Kränze gewunden. Auf allen Straßen ertönten jene lieblich freundliche[n] Melodieen und überall hörte man den Jungfernkranz, das Jägerchor, Aennchens muntre Lieder und Agathens Liebesgluth sprühende Gesänge erschallen. Nach des Freischützen bekannter Weise bewegten sich die fröhlichen Paare im freundlichen Tanzsaale und nach denselben Melodieen sahen wir des Kriegsgottes schön geschmückte Söhne in stolzer Haltung paradieren. Mit einem Wort, diese göttliche Musik hatte die höchste Popularität erhalten; eine neue Sonne erstrahlte der Tonkunst in Maria von Weber und mit vaterländischem Stolze wurde der Tonsetzer des Freischützen ein aus Mozarts Asche wieder erstandener Phoenix genannt. Die Blicke von ganz Deutschland waren daher auf seine neueste Composition „die Euryante“ gerichtet u. schwerlich ist irgend ein Kunstwerk mit einer so allgemeinen Erwartung als diese Oper am deutschen Theaterhorizonte erschienen. Ohne Rückblick auf früheres Urtheil wollen wir unsre Meinung über Musik, Dichtung u. Aufführung dieser Oper auf der Karlsruher Bühne *) aussprechen. – 

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Einen gelungenen Operntext ins Leben zu rufen ist selbst für den bessern Dichter mit vielen Schwierigkeiten verknüpft; Stoff und Motive müßen rein musikalisch seyn und dürfen nichts Widerstrebendes für die Composition enthalten, weil die Töne nichts weniger als willkührlich sind und immer die in der Dichtung geschilderten Empfindungen ausdrücken müßen. Die Musik muß daher immer als Mittel, die Dichtung aber als Zweck der Oper betrachtet werden; und Töne und Text müßen in einem harmonischen Einklange mit einander stehen. Nur derjenige Dichter wird deßwegen den Anforderungen einer guten Oper entsprechen, welcher einen rein musikalischen Stoff durch rein musikalische Beweggründe motivirt, mit poetischem Schwunge ins Leben ruft, und vielleicht möchte diese schwierige Aufgabe einzig und allein Metastasio mit besonderm Glücke gelöst haben. In wie fern aber die Verfasserin der Euryanthe *) diesen Zweck erfüllt, wollen wir vorerst etwas näher beleuchten. Der TextT ist nach einer Volkssage in freien, theils gereimten, theils ungereimten Versen gedichtet, die öfters sehr holperig sind und bei welchen der Reim, (wenn wir uns des Ausdrucks bedienen dürfen) nicht selten mit den Haaren herbeigezogen scheint. Die Anlage und Entwicklung der Oper, so wie die Zeichnung der verschiedenen Charaktere haben wenig dramatische Haltung, und bei der äusserst schwülstigen Sprache, welche nur sentimental tragische Motive enthält, ist der Componist verhindert, sein eminentes Kunsttalent für muntre Musikstücke zu entwickeln. Die Dichtung ist übrigens so undeutlich und unklar, daß man öfters mit dem gedruckten Texte den Sinn nur errathen muß, und man deßwegen statt historisch-romantisch die Oper mit dem Predikat mystisch-romantisch mit vollem Rechte bezeichnen dürfte. In welche Schwierigkeiten aber der Componist hierdurch versetzt wurde und auf welche Irrwege er bei einem solchen widerstrebenden Stoff nothwendig gerathen mußte, behalten wir uns vor bei der nähern Betrachtung der Musik ausführlicher zu berühren, um zu beweisen, wie das Talent einer sonst beliebten Dichterin an den Klippen gescheitert, welche die Dichtung einer Oper so mannichfaltig darbietet. Wenn die technisch schwierigen Passagen, worin sich der geniale Tonsetzer in seinem neuesten Kunstgebilde so sehr zu gefallen scheint, im Kontraste mit der freundlichen Klarheit seiner frühern Produktionen stehen, so ist bei dem eigenthümlichen Charakter der Musik der Componist des Freischützen und der Preciosa doch nicht zu verkennen, der sich, wenn es ihm der Stoff nur immer zuläßt, sogleich wieder in jener freundlichen Sphäre bewegt, worin er das allgemeine Interesse in so hohem Grade früher erregt hat. Was die Instrumentirung betrifft, so erscheint derselbe in der ganzen Oper durchgehends großartig und mit besonderm Wohlgefallen scheint er mit großen Massen aufzutreten, so daß bei der großen Aufmerksamkeit, wir möchten sagen Vorliebe für die Chöre die Hauptpersonen bisweilen vernachläßiget ¦ werden, die aber bald wieder als Sonnen erscheinen, um mit ihrem Strahlenglanze alle Uebrige zu verdunkeln. Selbst in den Recitativen, welche die Stelle des Dialogs vertreten, erkennt man Webers Eigenthümlichkeit, doch hätten wir bei ihrer nothwendig düstern musikalischen Haltung gewünscht, daß sie nach Art der großen italienischen Vorbilder mehr parlando als cantando eingerichtet worden wären, weil die Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch genommen wird und sie hierdurch nicht selten ermüdend werden. –  Die Ouvertüre aus G dur ist höchst feurig und kraftvoll und strömt gleich einem über Felsen stürzenden Gießbach wild dahin, der nur bisweilen in geräuschloser Ruhe sich zu bewegen scheint, um gleich darauf seinen Lauf mit desto schäumenderm Brausen wieder fortzusetzen; und hat der Componist etwas vernachläßiget, so ist es unstreitig der melodische Theil, indem die äusserst zarten Mittel-Gedanken, welche in der Dominante so lieblich hervortreten, in der Tonica kaum mehr zu erkennen sind. Die Introduktion aus G dur ist ein höchst gelungenes Kunstwerk und berechtigt zu den größten Erwartungen, so wie die darauf folgende Romanze „Unter blühenden Mandelbäumen“ aus B dur die tiefsten Empfindungen des Herzens ausdrückt. Durch die äusserst blühende Instrumentirung hat dieses herrliche Musikstück einen besondern Reiz erhalten, indem der geniale Tonsetzer hierdurch auf eine geschickte Weise jene Monotonie zu vermeiden wußte, welche sonst der Romanzengattung so eigen ist. In dem kraftvollen Schlusse der Introduktion tritt das Thema der Ouvertüre mit voller Wirkung jedes Gemüth ansprechend hervor. Die erste Cavatine der Euryanthe „Glöcklein im Thale“ im Anfange der zweiten Scene, läßt schon in der Wahl der Tonarten den großen Componisten erkennen. Gleich einer durch blumichte Auen sanft rieselnden Quelle ist der melodische Tonsatz rein und klar und der höchste Kunstgenuß wird nur dadurch gestört, daß der liebliche Fluß jener bezaubernden Melodie durch das scharfe Einschreiten der Instrumentalmusik bisweilen gehemmt ist. Für eines der gelungensten Gesangstücke der ganzen Oper sowohl in declamatorischer als melodischer Rücksicht halten wir den darauf folgenden Doppelgesang zwischen Euryanthe und Eglantine, dessen liebliche Tonart aus A dur uns besonders ansprach. Höchst vortrefflich ist gleichfalls Eglantinens große Gesangsscene „Bethörte die an meine Liebe glaubt“, welche sich sowohl in Ausarbeitung als Wirkung an die brillanten Bravourarien der Elviras im Don Juan und Opferfeste dreist anreihen darf. Voll Kraft und Heiterkeit ist das Finale des ersten Actes, in welchem die Hauptstimme der Euryanthe so herrlich hervortritt, daß sie, wie es bei vortreffl[i]chen Musikstücken seyn muß, als Herrscherin der Töne erscheint. Instrumentirung und Chöre schmiegen sich ihrem Gesange auf eine so liebliche Weise an, daß wir diese Scene als die effectvollste in der ganzen Oper ansehen, und nur bedauren müßen, daß der Componist durch den schwülstigen Stoff abgehalten wurde, mehrere derartige Gesangstücke hervor zu zaubern.       (Der Beschluß folgt.)

[Original Footnotes]

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Bandur, Markus

Tradition

  • Text Source: Freiburger Wochen- oder Unterhaltungs-Blatt, Nr. 27 (2. April 1824), pp. 107f.

Text Constitution

  • “bezaubernten”sic!
  • “erspriesen”sic!

Commentary

  • derselberecte “dieselbe”.

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