Schluss Erklärung an Hn. Alexander v. Dusch
Schluß-Erklärung an Hn. Alexander v. Dusch.
Allerdings mag es das Publikum wenig interessiren, einen Gegenstand so oft zur Sprache gebracht zu sehen, der auf bloßen sich widersprechenden Behauptungen zweyer Beurtheiler beruht, wovon den Einen Bande der Verwandtschaft und Freundschaft, den Andern aber die des Vaterlandes und der Kunstliebe zum Kampfe auffodern. Ich habe mir deßwegen vorgenommen, lieber Freund, auf die notirten Stellen in Ihrem Brief ohne alle Umschweife kurz und bündig meine Meinung zu äußern, um sodann die Sache ein- und allemal beruhen zu lassen.
1) Hr. Mittermayr, sagen Sie, hat eine treffliche Stimme; er hat auch eine sehr ausgebildete, setzen Ihnen hiesige Kenner hinzu; und was die Kunst betrifft, die Sie an ihm nicht bemerkten, so ist es genug, daß er Künstler im Singen ist. Lassen Sie auch einen Violinspieler ein noch so treffliches Instrument haben, so zweifle ich, ob er solche Wirkungen darauf hervorbringen wird, wie Hr. Mittermayr durch seinen Gesang; was also denn doch beweis’t, daß er nicht nur das Instrument, sondern auch die Kunst besitzt, dasselbe wohl zu gebrauchen, und somit auch Künstler ist, dem man nicht unverdient huldigt.
2) Ich habe noch mehrere hiesige Schauspieler genannt, von denen Sie Meldung zu thun unterließen; warum gefällt es Ihnen, sich nur gegen Hn. Schack als Gegner zu behaupten? Sie gestehen mir dadurch größtentheils die Haltbarkeit meines gerechten Tadels hinsichtlich Ihrer Uebergehung der übrigen Schauspieler zu, und laden sich den Verdacht auf den Hals, von Hn. Schack nur deßhalb ungünstig zu sprechen, um sich an ihm als Compositeur einer bloßen Cantate zu reiben.
3) Würden Sie die Sache von ihrer wahren Seite besehen haben, so hätten Sie Sich sicher in Acht genommen, eine Saite zu berühren, die zu dem Lobe derjenigen Personen, denen Sie huldigen, einen schreyenden Mißton macht. Sie haben z. B. Mad. Tochtermann während Ihres Aufenthalts in München nicht auftreten gesehen, desto öfter aber Mad. Wohlbrück. Wir müssen es uns leider gefallen lassen, daß man die Rollen jener guten Schauspielerin mit der Person der letzten besetzt, deren Spiel hier ungerne gesehen wird. Aber da wir einen Hn. Wohlbrück haben, so haben wir auf eine höchst natürliche Weise eine Mad. Wohlbrück auch – so viel fürs erste; und da wir eine Mad. Tochtermann haben, die mehr als Mad. Wohlbrück gefällt, so wäre dem Publikum besser mit ersterer als letzterer gedient; so viel fürs zweyte, was ich Ihnen sage. Ich überlasse es Ihnen, das dritte von selbst herauszufolgern. ¦
4) Kennen lernt, sagen Sie! aber da irren Sie sich, denn eben weil es dieselbe kannte, so bedachte es sich wohl, diese Jungfrau von Orleans eher zu geben, als man sie, ohne die Manen Schillers zu entrüsten, geben konnte. Ich sage Ihnen z. B. daß ich den Egmont und den Götz von Berlichingen von Göthe in einem Landstädtchen von einer herumziehenden Truppe geben sah. Darf ich nun behaupten, jenes Theater sey besser berathen, als das unsrige hier in München? Man kann Alles geben, man kann Dekorationen malen, reiche Costüms anschaffen, große Spektakel machen, um die vielen Gebrechen derjenigen dahinter zu verstecken, die das Ding mehr als bloß ausfüllen sollten.
5) Es kommt darauf an, was für ein Ideal von einem Theater Sie Sich machen. Mit den Bühnen zu Paris, London, Berlin und Wien ist freylich unsere Bühne nicht zu vergleichen, dafür ist aber auch München keine dieser großen Städte. Was die Theater zu Mannheim, Frankfurt, Stuttgart, Würzburg &c. betrifft, so trägt das hiesige unfehlbar den Preis davon. Sodann müssen Sie wissen, daß zu den Zeiten eines Huck, Marschands*, Beyerl*, Maurer &c. unser Theater wohl auf einer höhern Stufe der Kunstbildung als gegenwärtig stand, so daß wir unser Ideal mehr hinter als vor uns erblicken müssen. Ein Beweis, daß man uns das Verstehen nicht erst beybringen muß.
6) Versifizirt sind Hn. Babo’s Theaterstücke nicht, aber sie wiegen an Poesie, obgleich sie in Prosa geschrieben sind, die meisten der neuen poetischen Lufterscheinungen auf, die auf hohem Kothurne einhergehen. Ich habe Hn. Iffland noch nie Vorwürfe machen hören, warum er seine Stücke nicht in Versen schrieb; und ich darf mich auf alle deutschen Theater, auf denen Herrn Babo’s Stücke gegeben wurden, berufen, ob ihnen etwas von dem Beyfalle abging, den man den Produkten des Herrn Ifflands ertheilt. Man kann das Wort prosaisch sehr zweydeutig nehmen.
7) Was Hn. Wohlbrück betrifft, so habe ich es schon bey mehrern Gelegenheiten offenbar bewiesen, daß mir dieser Schauspieler immer gefällt, wenn er nicht aus seiner Sphäre heraustritt, und habe die Gränzen derselben so gut wie möglich bestimmt.
8) Auch nicht in allen bürgerlichen Rollen kann Hr. Wohlbrück als Muster gelten; denn z. B. selbst im Abee‡ de l’Epée, im Clavigo, wo Hr. Wohlbrück doch zu einiger Zufriedenheit des Publikums spielte, könnte sein Muster den Nachahmer doch leicht zu unglücklichen Folgen verführen. Schauspieler von Einsicht besitzen wir genug hier; aber die Einsicht allein macht den Künstler nicht aus, bey dem es nicht hinreicht zu wissen, wie man einen Charakter darstellt, sondern der ihn auch spielen können muß; was doch ein großer Unterschied ist, und woraus eben folgt, daß ich nur da die Kunst eines Schauspielers nachahmen kann, wo er mehr als Einsicht in einen Charakter, wo er auch alle Fertigkeit zur künstlichen Darstellung desselben besitzt. Und nun kein Wort mehr!
Leben Sie demnach recht wohl, und lassen sie uns wieder herzlich gut
seyn.
Ihr
ergebenster
Gutwill Rechtens.
Editorial
General Remark
Zuschreibung: Sigle
Kommentar: Der hier wiedergegebene Text bildet den Abschluß des offenen Briefwechsels zwischen Alexander von Dusch und Gutwill Rechtens im Gesellschaftsblatt für gebildete Stände zwischen Mai und August 1812. (Vgl. “Antwort auf das im Gesellschaftsblatte enthaltene Schreiben gegen mich. Von Alexander von Dusch”) Der Briefwechsel hatte sich entsponnen als Folge der Veröffentlichung des Berichts Über München (Auszug aus einem Tagebuche) in der Zeitung für die elegante Welt, Jg. 12, Nr. 77 (17. April 1812), Sp. 607–611 und Zeitung für die elegante Welt, Jg. 12, Nr. 78 (18. April 1812), Sp. 620–622.
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Schaffer, Sebastian
Tradition
-
Text Source: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände, Jg. 2, Nr. 64 (8. August 1812), col. 511–512
Text Constitution
-
“Abee”sic!