Aufführungsbesprechung Frankfurt am Main: “Euryanthe” von Carl Maria von Weber am 8. März 1824

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Frankfurter Volksbühne.

Am 8. März. (Zum Erstenmale.) Euryanthe, große romantische Oper in drei Abtheilungen, von Helmine von Chezy; Musik von C. M. von Weber.

Die viel besprochene Oper des genialen Tonkünstlers, über welche wir in öffentlichen Blättern so mannigfaltige Urtheile grämlicher Aristarchen und phantastisch-enthusiastischer Panegyristen vernommen haben, tönte nun auch an uns vorüber. Die von Helmine von Chezy aus dem Französischen übertragene Erzählung „Euryanthe von Savoyen“[,]  ¦ die Quelle einer bekannten Novelle des Boccaccio und des Cymbeline von Shakespeare, gab jener Schriftstellerin den Stoff, die Oper „Euryanthe“ für den herrlichen Meister der Töne, unsern Carl Maria von Weber, zu dichten. Und sie hat ein sehr verdienstliches Werk unternommen und ausgeführt! Das OpernbuchT der Dichterin steht zwar tief unter jener trefflich wiedergegebenen Erzählung, die einfach und kindlich, ein hohes Interesse gewährt, es wohnen zwar dramatisch und theatralisch große Gebrechen in ihm, denen vielleicht Mangel an Bühnenkunde zu Grunde liegen mag, wie die allzu langen Recitative; allein kann man in Abrede stellen, daß es der Oper eine Würde verleiht, die wir bisher nur gar zu sehr vermisset haben? Dabei finden wir in ihm viele wohlklingende Verse und wahre poetische Schönheiten. Lysiart’s Verrath verliert in der Oper gar sehr von jener Natürlichkeit und Wahrscheinlichkeit, wodurch dieser Umstand in der Novelle so anziehend ist. Eben so finden wir Eglantine nur dem Namen nach wieder. Weshalb aber ward sie als Gefangene und Tochter eines Empörers angegeben, da die Dichtung nichts enthält was darauf Bezug haben könnte? Frau von Chezy ist im Ganzen der Novelle wenig treu geblieben; dürft’ es deshalb nicht manchen unserer Leser lieb seyn, den Inhalt der Oper hier wiedergegeben zu finden?

Adolar von Nevers und Lysiart von Forest, Vasallen König Ludwigs, der Dicke benannt, wohnen einem Friedensfeste bei, das dieser veranstaltet hat. Adolar, ausgezeichnet durch Schönheit und Verständigkeit, Artigkeit und sittsames Wesen, Tapferkeit und Demuth, ist Aller und besonders der Frauen Liebling. Deshalb beneidet ihn Lysiart, ein schlauer, böser, tückischer Mensch, doch in Waffen geschickt. Bei allen Vorzügen ist Adolar der Ritter in Frankreich, der am schönsten singt und die Zither schlägt. Und so kömmt es, daß ihn der König bei dem Feste auffodert, ein Minnelied anzustimmen. Adolar singt von der Treue, zu Euryanthe’s, seiner Geliebten, Preise. Und der König und alle Edelfrauen haben große Lust ihn zu vernehmen. Aber Lysiart spottet über ihn und spricht voll Uebermuth, er wolle all sein Habe und das Erbtheil seiner Väter zum Pfande setzen, daß es ihm gelingen würde, die Liebe der Gepriesenen zu erwerben. Und Adolar, der Treue seiner Geliebten gewiß, verspricht ihm dagegen seine Grafschaft, wenn er jemals mit diesem Unternehmen zu Stande kommen sollte. Lysiart aber verläßt den königlichen Hof und reiset nach Nevers; und das Herz brennt ihm vor Ungeduld, ob sein Wagestück gelingen würde. Zu Nevers angelangt, thut er der schönen Euryanthe kund, wie ihn des Königs Huld erwählt, daß er ihr zum Begleiter diene, da ohne sie, dem Fest die Krone fehle. Euryanthe, entzückt, ihren Adolar bald wiederzusehen, heißt den Ritter freudig willkommen und läßt ihn köstlich bewirthen. Allein gar bald entdeckt Lysiart, wie sehr er sich in seinem Uebermuth getäuscht, als er für leichtes Spiel gehalten [,] Euryanthe’s Liebe zu gewinnen. Da schwört er furchtbar sich zu rächen, und findet bald Gelegenheit dazu.

Eglantine von Puiset liebte den Grafen Adolar mit aller Gluth der jugendlichen Leidenschaft; Adolar konnte ihre Liebe nicht erwiedern, denn seine Euryanthe hielt ihn gefesselt. Aber Eglantine ertrug es nicht, sich um sie verschmäht zu sehn. Da sucht sie denn unter dem Schein erheuchelter Freundschaft Euryanthe’s Vertrauen zu gewinnen, und weiß ihr ein Geheimniß abzulocken, dessen Verschweigen Adolar und sein Liebchen beschworen hatten, und durch welches der Graf die Treue seiner Euryanthe erproben wollte. Der Geist der holden Emma, Adolar’s Schwester, durch schnellen Tod seiner Brudertreu entrissen, war einst den Liebenden erschienen, und sie vernahmen aus dem bleichen Munde:  |

„Die ihr der Liebe Thränen, Herz an Herz So selig weinet – hört mich an – auch mir Strahlt’ einst dies goldne Licht – mein Udo liebte Mich zart und treu! – er fiel in blut’ger Schlacht, Da war mein Leben mir kein Leben mehr, Verzweiflungsnacht hüllt’ meine Seele ein, Aus gifterfülltem Ring sog ich den Tod! Weh dieser That, die mich vom Heil geschieden! Getrennt von Udo, irr’ ich durch die Nächte, O weint um mich! nicht eh’ kann Ruh’ mir werden, Bis diesen Ring, aus dem ich Tod gesogen, Der Unschuld Thräne netzt im höchsten Leid, Und Treu dem Mörder Rettung beut für Mord!“

Kaum hat Euryanthe das Geheimniß verrathen, als Reue und bange Ahnung sie erfüllen. Eglantine nützt die Entdeckung schnell. Sie steigt in Emma’s Gruft, und windet von der Todten Hand den verhängnißvollen Ring, der ihr bezeugen soll, daß Euryanthe Lieb’ und Treu verrathen. Lysiart belauschet sie, als sie sich der gelungenen That erfreut, und er verspricht ihr Rächer und Gemahl zu werden. Am Hoflager Ludwigs angekommen, behauptet Lysiart der schönen Euryanthe keck in’s Angesicht mit ihrer Liebe die Grafschaft Adolar’s gewonnen zu haben, und zum Beweise reicht er Adolar den Ring der Schwester hin. Doch dieser glaubt nicht, daß seine Euryanthe ihn verrathen, bis sie es selbst gesteht, daß sie den Eid gebrochen. Und Lysiart wird von dem Könige mit den Landen Adolar’s belehnt. Graf Adolar, verzweiflungsvoll, heißt Euryanthe ihm folgen, und bald erreichen sie den Wald von Orleans. Die Treulose will er mit dem Tode hier bestrafen. Da erblicket das Fräulein eine große schreckliche Schlange, die auf sie zukömmt; sie flehet Adolar schnell zu entfliehen, gern will sie das Opfer seyn und für ihn sterben. Doch kühn entgegen geht er dem Unthier und tödtet es. Allein nun ist es ihm nicht möglich, sie zu morden, die für ihn zu sterben gern bereit war; und so empfiehlt er sie der Obhut Gottes und eilet weiter in den Wald hinein.

Der Unschuld Thräne hat den Ring benetzt, Treu’ bot dem Mörder Rettung an für Mord.

Verlassen ist nun Euryanthe in der Wildniß. Doch bald erscheint mit seinem Jagdgefolge Ludwig und findet die Verstoßene; sie weiß den König von ihrer Unschuld zu überzeugen, und er verspricht ihr sie mit dem Geliebten auf’s Neue zu vereinen.

Adolar war indeß nach Nevers geeilt; dort sieht er Eglantine, die Schlange, die er sorglos an der Geliebten Herz gelegt, mit seinem Feind im Bunde und von ihm zur Erbin seines Lehns erhoben. Doch schon hat die Strafe der Vorsehung Eglantine erreicht. In halbem Wahnsinne läßt sie ahnen ihren schändlichen Verrath. Da taget Adolar ein schrecklich Licht. Unerkannt tritt er vor Lysiart hin; dieser gebietet den Fremdling in den Thurm zu werfen. „Mich wollt ihr fahen, mich?“ ruft Adolar, und die Vasallen stürzen nieder auf die Knie vor dem geliebten Herrn. Ein schöner Moment! Lysiart und Adolar greifen zu dem Schwerdte; sie kämpfen; da kömmt der König und gebietet Frieden. „Euryanthe lebt nicht mehr!“ spricht er. Und im Triumphe befriedigter Rache bekennt Eglantine laut, wie sie die Unschuld mordete, wie Lysiart nur das schnöde  ¦ Werkzeug ihrer Rache war. Lysiart voll Wuth stößt sie mit seinem Dolche nieder. „Führt zum Tod ihn hin!“ ruft der König – doch in die Arme ihres Adolar stürzt die Todtgeglaubte – Euryanthe. –

Ist wohl in diesem Werke der Componist des Freischützen und der Preciosa wiederzuerkennen? Aber um so bewundernswerther ist diese Fülle, diese Neuheit, dieser Reichthum an Ideen, diese Kunst, mit welcher Weber seine Composition durchgeführt, wenn man auch nicht in Abrede seyn kann, daß er sich vom Fluge seiner Fantasie bisweilen verleiten ließ, seine Zuhörer in unverständliche Regionen zu führen. Uns dünkt, als hätten Weber Mozarts unsterbliche Werke vorgeschwebt, die er im Geiste aufzufassen strebte; doch im Gefühl der Schöpferkraft, die dem reichbegabten Menschen von der Gottheit gegeben ward hatt’ er versucht, jenen hohen Vorbildern sich zu nahen, ohne knechtisch sie nachzuahmen. Schließt Mozart aber in dem Don Juan die Pforten des Todes auf, so behält er dennoch stets das heitre Leben im Auge; deshalb gefällt er aber auch dem Gebildeten wie dem Ungebildeten, wenn gleich dabei der Flachheit nichts von der Tiefe ahnet. Weber könnte es fast zum Vorwurfe gereichen, daß er in Euryanthe eine zu große Masse musikalischer Denkkraft und Gelehrsamkeit entwickelt; denn ein Musikwerk verliert an Geschmack und Ausdruck, folget man allzu streng den Regeln der Kunst. Freilich Webers Composition ist nicht oberflächlich auf den Licht-Effect berechnet, dafür ist der Meister, für die würdige Gattung von Natur bestimmt, zu tief in das Wesen seiner Kunst eingedrungen; sie gibt nicht die geringste Ausbeute für wandernde Leyermänner, und der Bewunderer des Tyroler Wastel und des Kasperl konnte sie natürlich „Ennuyante“ schelten. Nur durch wiederholtes Hören aber wird dieses Werk ganz verstanden werden, und wir behalten uns vor über einzelne Musikstücke nach den künftigen Aufführungen zu sprechen*.

Orchester und Sänger haben die Oper in schönem Vereine auf das herrlichste ausgeführt. Des Herrn Kapellmeisters Guhr Direktion musikalischer Ausführungen ist musterhaft; ruhig ohne kalt, präcis und scharf ohne pedantisch-kleinlich und affectirt zu seyn. – Herr Größer, König Ludwig trug seine Parthie mit Wärme vor, und spielte mit Würde und Anstand. – Herr Nieser, Adolar, sang mit süßer, lieblicher, herzdurchdringender Stimme; dieser Künstler glänzt vorzüglich in dem zarten, gefühlten Vortrag. Sein ungewöhnlich gutes Spiel verdient ebenfalls lobend erwähnt zu werden. – Mit allem Schmelz der Töne, die ihr zu Gebote stehen, sang Dem. Bamberger die schwierige Parthie der Euryanthe. Sie bewährte sich als die vom ächten Geiste belebte Schülerin der Kunst, und bot alle Kräfte auf, um ihr mehr und mehr sich entfaltendes Talent von neuen Seiten zu zeigen. Vorzüglich bewies dies ihr Vortrag der Cav. „Zu Ihm, zu Ihm! o weilet nicht!“ – Herr Dobler (Lysiart) sang und spielte voll Ausdruck und innern Lebens, und ließ uns von Neuem die treffliche Ausbildung seiner Stimme bewundern. – Dem. Rotthammer (Eglantine) vermochte in Betracht ihres Gesanges nicht den höhern Forderungen der Kritik zu genügen. Sie bemühte sich gut zu spielen. – Ausgezeichnetes Lob gebührt den Chören.

J.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Bandur, Markus

Tradition

  • Text Source: Didaskalia oder Blätter für Geist, Gemüth und Publizität, Jg. 2, Nr. 74 (14. März 1824), pp. 3f.

    Commentary

    • auffodertrecte “auffordert”.
    • “… den künftigen Aufführungen zu sprechen”

      Vgl. die Beiträge des Rezensenten in der Didaskalia vom 23. und 26. Juni 1824.

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