Ein Wort der Betrachtung beim Tode Karl Maria von Webers
Ein Wort der Betrachtung bei’m Tode Karl Maria von Weber’s.
In einer Zeit, wie die unsrige, vor welcher die größten Erscheinungen der Geschichte vorübergegangen sind, ohne einen noch jetzt sichtbaren Eindruck in den Gemüthern zurück zu lassen, in welcher kaum noch das Andenken an die großen Thaten einer nahen Vergangenheit lebendig wirksam ist, daß Männer, deren jede Bewegung noch neuerlich die allgemeinste Erschütterung hervorgerufen, jetzt schon fast zu den Verschollenen zu zählen sind: in einer solchen Zeit könnte man sich verwundern, daß über einen gefeierten Komponisten, obgleich er schon länger als vier Monate todt ist, noch heute in allen Gesellschaften und öffentlichen Blättern gesprochen wird. Aber diese Theilnahme, welche sich allgemein gegen Künstler, vornehmlich gegen Musiker, und ganz besonders gegen solche ausspricht, welche für das Theater wirken, ist für den aufmerkenden Beobachter — eines jener karakteristichen Kennzeichen unserer Tage, welches erklärt, daß wir, umstrickt von den Reizen einer heiteren Kunst, und befangen in dem Gewirr einer mannigfaltigen, unsere Kräfte zertheilenden Gegenwart, den Blick von dem Gewaltigeren der nächst vergangenen Zeit abgewandt haben. Der Tod der Helden unseres Jahrhunderts, welche den Zügel der Begebenheiten in Händen hielten, hat kaum so sehr die allgemeine Aufmerksamkeit erregt, als der Tod des geliebten Karl Maria von Weber, obgleich er, nach dem Eingeständniß auch seiner entschiedensten Verehrer, nicht in den ¦ Rang der ersten Komponisten gehört. Von allen Seiten her vernimmt man einen Laut ächten Schmerzes über seinen Verlust. Zu dem unangenehmen Gefühle, daß er fern von den Seinigen, in einem fremden Lande, unter trüben Umgebungen, seine letzten, obenein kummervollen Tage gelebt hat, gesellt sich bei seiner Erinnerung noch der bittere Vorwurf, daß Deutschland die unrühmlichen Erfahrungen über den schwachen Schutz, den es seinen ausgezeichnetsten Talenten gewährt, nun noch durch eine neue vermehrt hat, und Weber vielleicht noch in unserer Mitte wäre, wenn ihn die Sorge für seine Familie nicht zur Aufsuchung einer neuen Erwerbsquelle getrieben hätte. Was aber mehr als ähnliche Gefühle wirkt, ist die Betrachtung, daß der Mann, dessen Schöpfungen den Deutschen so innerlich geworden, sich mit deren Genius so eng vergebt haben, ein unentbehrlicher zu sein schien, weil er durch die That unmittelbarer und einflußreicher als seine andern großen Kunst- und Zeitgenossen wirkend, als der Einzige anzusehen war, welcher das Gediegene dem herrschenden Flitter entgegensetzen, und so den Glauben an ein tüchtiges musikalisches Vermögen unserer Zeit aufrecht erhalten konnte. Wir betrauern ihn als den, welcher uns vor Erschlaffung durch italien. Lauheit, wie vor dem Erstarren durch französ. Kälte beschützte, und allein im Stande war, uns fühlen zu lassen, daß wir tiefere Bedürfnisse haben, welche in der Kunst die er bildete, nur durch das Ausströmen heißer, inniger und lebensfrischer Empfindungen befriedigt werden können.
So sehen wir in der Trauer, welche We|bers Tod erregt hat, ein sicheres Zeichen der allgemeinen Besorgniß, daß seine Stelle in der musikalisch dramatischen Kunst nicht werde zu ersetzen sein. Die Blicke mögen sich nach Beethoven hingewandt haben. Aber dieser große Künstler scheint die Fesseln der dramatischen Musik nicht ertragen zu können, und sich nur frei in den weiteren Räumen der Instrumental-Musik zu fühlen, in welcher er denn auch seine größte Höhe erreicht hat. Allem Anschein nach ist also für die deutsche Oper ein Ruhepunkt eingetreten! Und wenn sich das in der That also verhält, so mögen wir es nicht bedauern! Sehen wir, wozu die vielfache, unablässige Beschäftigung mit Musik geführt hat, daß das Unbedeutende, sogar das durchaus Verwerfliche alle Köpfe verwirrt, und vom Wahren ablenkt, daß täglich die Klagen über zunehmende Oberflächlichkeit, über untergegangenen Geschmack sich anhäufen; sehen wir mit welcher Kälte und Gleichgültigkeit selbst die neuesten Erscheinungen aus der Hand eines Weber unbeachtet bleiben, wie sehr das Nationalgefühl der Deutschen, deren Ruf in der Musik zum klassischen geworden, gesunken ist, wenn ein benachbartes Volk als Autorität anerkannt, und von dort aus durch tausend Zeugen die Bestätigung deutscher Meinungen hergeholt wird: dann kaun‡ der Kunstfreund wohl nur mit innerlichem Behagen den Wunsch hegen, daß eine Zeit der Ruhe herbeikomme, in welcher der Sinn sich reinigen und auf kräftigere Erscheinungen, die kommen sollen, vorbereiten möge. Einstweilen mögen wir es ruhig geschehen lassen, daß das Auge in der Oper immer unentbehrlicher werde als das Ohr, daß Maschinerie die Stelle dramatischer Aktion, und Getöse die der Musik einnehme.
F.
Editorial
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Sebastian Schaffer
Tradition
-
Text Source: Berliner allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 3, Nr. 39 (27. September 1826), pp. 309–310