Aufführungsbesprechung Mainz: “Oberon” von Carl Maria von Weber am 17. Dezember 1829

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Der Oberon, oder der Elfenkönig zu Mainz.

[…] Ich wende mich daher zur Darstellung des Oberons, jenes Meisterwerkes des unsterblichen Maria von Weber, den, um mit Rousseau zu reden, der Seehauch Albions zu dem Bord der Lethe im Horngruß Oberons wehte*. Man kennt sogleich den wackern Liedermeister an diesem Werke, – an dem Waldhornklang im mailich frischen Walde, dazwischen Engelrauschen, Liebesflüstern, wie Rousseau singt. Man hat im Oberon die Lebensfrische musikalischer Empfindung vermißt, man hat eine zu große Reflexion darin finden wollen und behauptet, die Rundung und der Fluß des Ganzen sey vielfach unterbrochen. Letzteres ist in gewisser Beziehung wahr, das Erstere aber nicht. Die Sonne hat ihre Flecken, jedes Gemälde hat seine Schlagschatten, und so hat auch diese Oper Manches, was die Melopoetik tadelt; sie wird aber immer eine herrliche Sternenkrone um das unsterbliche Haupt des deutschen Liedermeisters bleiben, welcher der deutschen Musik wieder zur Ehre und Ansehen verhalf.

Die Ouvertüre wurde von dem Orchester, unter der Leitung des Musik-Direktors Ganz, mit Präzision ausgeführt.

Herr Benesch, Hüon, schien diesmal nicht recht bei Stimme zu seyn. Herr Benesch hat eine wohlgefällige und biegsame Stimme; als zweiter Tenorist wird der an jeder Bühne seinen Platz ausfüllen, als Kammersänger gleichfalls, als erster Tenorist gilt das von ihm, was Voltaire sagt: Il brile au second rang, qui s’eclipserait au premier*. Herr Schäfer (Scherasmin) ist ein tüchtiger Bassist, der als solcher die ersten Bühnen Deutschlands zieren könnte. Seine Stimme hat Metall, den gehörigen Umfang, Höhe und Tiefe. Dabei ist sein Spiel vortrefflich: er gehört zu denjenigen Künstlern, welche Reflexion und Begeisterung, Geist und Gemüth, Herz und Kopf in sich vereinigen und diese scheinbaren Gegensätze so zu verschmelzen wissen, daß sie an seinen Künstlerzeugnissen gleichen Antheil haben; er ist als Sänger und Schauspieler ein Liebling des Wiesbader Publikums. Seine Leistung in dieser Oper wurde mit verdientem Beifalle gekrönt. Dem Stehle d. J. (Rezia) ist eine ausgezeichnete Sopran-Sängerin; ihre Stimme hat sehr viel Höhe und viel Metall, mit der größten Leichtigkeit überwindet sie die größten Schwierigkeiten; ihr Gesang ist von jenen Ueberladungen frei, die heutzutage als Kunstgallopaden von dem Plebs gepriesen, von Kunstkennern aber mit dem Bannfluche der Kritik belastet werden. Deklamation und Action fehlt hier. Nicht jeder Dialog ist Recitativ, sie übe sich wie Demothenes! An der Dem. Dams (Fatime) hat die Bühne eine gute Acquisition gemacht. Unter der Leitung der kunstsinnigen Fr. v. Garcynska, ¦ die alle Sorgfalt auf ihre Ausbildung verwendet, verspricht sie, bei anhaltendem Studium, eine ehrenvolle Stufe als Sängerin zu erreichen. Herr Heine (Oberon) hat heute gezeigt, daß es ihm mit seiner Ausbildung als Künstler Ernst ist. Er trug das Finale mit einer Begeisterung, Tonrichtigkeit und Reinheit vor, die verdient hätte, mit lautem Applaus belohnt zu werden. Das Mainzer Publikum ist aber oft ungerecht gegen diesen angehenden Künstler; es verschwendet oft Beifallsbezeigungen an Gegenstände, die es nicht verdienen, und entmuthigt durch Lauheit Künstler, die durch den Beifallsgruß des Publikums verdienten, angefeuert zu werden. Dem. Urspruch d. Aelt. (Roschana) war heute nicht à son aise; der Monolog schien bei ihr eingefroren gewesen zu seyn. Die Singchöre der Männer waren gut besetzt; die Chöre der Wasser-Nixen wurden nicht gehörig zusammengehalten, woran die Bewegungen des Schwimmens Ursache gewesen seyn mögen.

Das Wiesbader unterscheidet sich von dem Mainzer Theaterpublikum, wie das Oberhaus von dem Unterhaus in London. Bei dem Wiesbader Theaterpublikum herrscht ein Ton, dem man, seiner Feinheit nach, mit dem in der größten Residenz vergleichen könnte. Bei dem Mainzer ist dies nicht der Fall; es besteht aus zu vielerlei und zwar sehr heterogenen Elementen. Das Benehmen gegen seine Künstler könnte feiner seyn und dies wird geschehen, wenn das Paterre-Publikum den Paradiesvögeln den Scepter entreißt. Diesem Staarmatz muß sein unvernünftiges Geplauder gelegt werden, wenn ein gebildetes Publikum reden und richten soll. Dixi et salvaoi animum meam. K. v. V.*)

[Original Footnotes]

  • *) Seit 9 Jahren bin ich Mitarbeiter der Didaskalia; ich schmeichle mir, einer der zuverlässigsten Korrespondenten derselben zu seyn. Dies bitte ich zu bezeugen, damit mir, dem Eigennutz fremd ist, wegen Abfassung dieses Aufsatzes keine unlauteren Triebfedern untergeschoben werden. K. v. V.
    Wird der Wahrheit gemäß bezeugt.
    Die Redaktion.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Schreiter, Solveig

Tradition

  • Text Source: Didaskalia oder Blätter für Geist, Gemüth und Publizität, Jg. 8, Nr. 5 (5. Januar 1830)

    Commentary

    • “… Lethe im Horngruß Oberons wehte”Bezieht sich auf drei Zeilen aus Rousseaus Gedicht „Karl Maria von Weber’s Tod“ in Spiele der Muse (2. Ausgabe, Frankfurt/Main 1829), S. 45f.
    • “… rang, qui s'eclipserait au premier”Dies leuchtet in der zweiten Reihe, die zuerst verschwindet.

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