Korrespondenzbericht aus Paris zur Benefizvorstellung für Webers Erben im Théâtre de l’Odéon
November und December. Benefiz-Vorstellung zum Besten der hinterlassenen Wittwe und Waisen des verewigten Hrn. Karl Maria v. Weber. […]
Paris, wo alles wahrhaft Schöne und Große, es komme aus dem In- oder dem Auslande, gehörig anerkannt und gewürdigt wird, und wo also auch das herrliche Genie unseres, der Kunst leider allzufrüh verblichenen K. M. v. Weber, eine große Anzahl von Bewunderern fand, betrauert mit dem Vaterlande diesen sehr schmerzhaften Verlust, und konnte daher das Andenken des verewigten Tonsetzers nicht besser ehren, als indem es dem löblichen Beyspiele London’s, so wie aller Hauptstädte Deutschlands folgte, und für dessen hinterlassene Familie eine Benefiz-Vorstellung veranstaltete*. Dies hatte am 23. November im Theater des Odéon’s, das allein das Verdienst hat, Weber’s Schöpfungen hier bekannt gemacht und in die Scene gesezt zu haben*, statt, und der | würdige Direktor desselben, Hr. Frédéric*, versäumte nichts, um dieselbe so anziehend als ergiebig zu machen. Zu diesem Ende wurde der Freyschütz, welcher seit dem November‡ 1824 nahe an zweyhundert Vorstellungen erlebt hatte, mehrere Monate ganz liegen gelassen, und an jenem Abende theils interessanter besezt, wie früher, theils auch neu dekorirt, und mit glänzendem Erfolge gegeben. Voraus ging Weber’s Pretiosa, hier unter dem Titel la Bohèmienne bearbeitet*, und den Beschluß dieser anziehenden, in dem Gemüthe des gefühlvollen Zuschauers so manchen traurigen Gedanken erweckenden Vorstellung machte ein, von mehreren Ballet-Mitgliedern der großen französischen Oper gegebenes Divertissement. Das Interessante des Schauspiels und der damit beabsichtigte, wohlthätige Zweck lockte eine sehr große Anzahl Zuschauer herbey, so daß der geräumige Saal des Odéon’s überfüllt war, und die Einnahme die Summe von 6000 Franken überstieg. Die Oper la Bohèmienne, deren Text nach der hiesigen Bearbeitung nicht sehr interessant ist, und die vor länger als einem Jahre bereits, und zwar unter ihrem ursprünglichen Namen Pretiosa gegeben worden war*, wo sie leider gleich Anfangs nicht ansprach, hatte auch jetzt kein sehr günstiges Schicksal, und wurde daher, obgleich einige Musikstücke rauschenden Beyfall erhielten, im Ganzen lau vom Publikum aufgenommen. Wie ist dies aber auch anders möglich, wenn einer Schöpfung von K. M. v. Weber ganz ein anderer Text unterlegt, wenn diese mit mehreren Musikstücken aus einer seiner, in frühern Jahren geschriebenen Oper (Sylvana) gemischt wird, und sich noch überdem das Produkt eines italiänischen Komponisten (Mercadante) hineinschwärzt, wodurch dem Werke gleichsam alle Identität geraubt wird? – Erwägt man dabey noch, daß in Paris das Gelingen einer Oper in der Regel vom Gedichte abhängt, und daß, wie ich oben schon erwähnt, das Buch der Bohèmienne gar wenig Interesse bietet, so ist es durchaus nicht zu verwundern, daß dieses Werke nicht sonderlich gefallen habe. Doch sind nach der ersten Vorstellung einige, zum Theil langweilige, zum Theil lächerliche Scenen gestrichen worden, und so gewährten denn die folgenden Vorstellungen mehr Vergnügen; daher sich diese Oper doch wohl eine Zeitlang auf dem Repertoire erhalten wird, wenn sie gleich nie ein Kassenstück werden dürfte.
Herr Hieronymus Payer, Kapellmeister aus Wien, zeigte, nach Beendigung der Bohèmienne, in einer freyen Phantasie, auf dem Pianoforte sein Talent als fertiger Klavierspieler und tüchtiger Harmonist, und wurde durch den Applaus des Publikums gebührendermaßen belohnt.
Wenige Minuten später begann die Ouverture des Freyschützen (Robin des bois). Nach der andächtigen Stille, die im ganzen Saale herrschte, und nach dem tobenden Applaus, der diesem Meisterwerke folgte, hätte ¦ man glauben sollen, man höre dieselbe an jenem Abende zum ersten Male; und dennoch kennt fast alle Welt dieses originelle Meisterstück, so wie die meisten Gesänge der ganzen Oper beynahe auswendig. Dieser Enthusiasmus beweist, daß der Freyschütz in Frankreich sein zweytes Vaterland gefunden habe. – Die rühmlich bekannte Sängerin, Mde. Schütz aus Wien, trat in demselben zum ersten Male in der französischen Oper auf, nachdem sie bereits ein Jahr lang Mitglied des hiesigen italiänischen Theaters gewesen war, den 1. November vorigen Jahres es aber verlassen hatte. Wenn Mad. S., durch öftere Kränklichkeit sowohl, als auch durch das Zusammentreffen widriger Umstände, nicht im Stande war, bey der italiänischen Oper ihr ausgezeichnetes Talent gehörig geltend zu machen; so feyerte sie dagegen an jenem Abende in der Rolle der Anna, hier Maria genannt, einen außerordentlichen Triumph, der sich bey allen Musikstücken, in welchen sie mitwirkte, und ganz besonders in ihrer großen Scene, die sie meisterhaft, und ganz in dem geiste des verewigten Komponisten vortrug, und wofür ihr eine dreymalige Salve von Beyfallsbezeugungen zu Theil ward, deutlich aussprach. Diese Vorstellung, zu deren wohlthätigem Zwecke allein Mde. S. ihr schönes Talent mit vieler Bereitwilligkeit auf der, ihr bis jetzt fremd gewesenen Scene glänzen ließ, bewirkte ihr ein sehr brillantes Engagement bey diesem Theater, woran sie bey dessen Betreten keineswegs dachte […].
Das am Schlusse des Freyschützen hinzugefügte, und von den Ballettänzern der großen französischen Oper aufgeführte Divertissement, wurde, da es erst gegen Mitternacht an die Reihe kam, von einem großen Theile des Publikums gar nicht gesehen, und selbst von dem noch anwesenden Theile eben nicht zu beyfällig aufgenommen.
Indem ich diesen Bericht schließe, kann ich nicht umhin, einige Worte zum Lobe des Hrn. Frédéric, jetzigen Direktors und Administrators des Odéons hinzuzufügen. Nicht ihm, sondern seinem Vorgänger, Herrn Bernhard, welcher die Direktions dieses Theaters erst zu Ostern vorigen Jahres niederlegte, hat der Freyschütz große Summen getragen; mithin verdient Hrn. Frédérics edles Benehmen doppelte Schätzung.
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Ziegler, Frank
Tradition
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Text Source: Hesperus. Encyclopädische Zeitschrift für gebildete Leser, Nr. 40 (15. Februar 1827), pp. 159f.
Text Constitution
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“November”sic!
Commentary
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“… hinterlassene Familie eine Benefiz-Vorstellung veranstaltete”Zuvor gab es Benefizvorstellungen für die Familie von Weber in London (17. Juni 1826, Coventgarden Theatre, Oberon), München (28. Juli 1826, Hof- und Nationaltheater, Freischütz), Kassel (18. August 1826, Freischütz) und Berlin (6. November 1826, Königliche Schauspiele, Freischütz).
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“… die Scene gesezt zu haben”Keines der Werke wurde im Original gegeben: Freischütz und Euryanthe in Bearbeitungen von Castil-Blaze als Robin des bois (7. Dezember 1824) bzw. La Forêt de Sénart (14. Januar 1826), Preciosa in einer Übersetzung von Thomas Sauvage (17. November 1825).
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“… würdige Direktor desselben, Hr. Frédéric”Frédéric du Petit-Mére, 1826/27 Directeur privilégié des Théâtre Royal de l’Odéon.
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“… dem Titel la Bohèmienne bearbeitet”Les bohémiens, Pasticcio von Thomas Sauvage (Text) und Pierre Cremont (Musik).
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“… Namen Pretiosa gegeben worden war”Die Idee einer Umarbeitung der Preciosa vom Schauspiel mit Gesang in eine Oper hatte Crémont Weber bereits brieflich unterbreitet, der in seiner Antwort vom 7. Januar 1826 allerdings skeptisch reagierte.