Stück- und Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: “Das Haus Anglade, oder: Die Vorsehung wacht” von Theodor Hell, am 11. Oktober 1816

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Theater.

Prag. Den 11. October: Zum Besten des Pensionsfonds zum ersten Mahl: Das Haus Anglade, oder: die Vorsehung wacht, Drama in 3 Acten nach dem Franz. von Theodor Hell, für das königl. sächsische Hoftheater bearbeitet. Ein neues Product der französischen Muse, die ihre Kunst so gern an criminellen Stoffen übt, und folgenden Inhalts: Herr v. Olsan, ein junger Wüstling, Neffe der Frau von Cerval, war in Fräulein Lina v. Senesse verliebt; da er aber kein eigenes Vermögen hatte, so wies Herr v. Senesse seine Anerbiethungen zurück, und jener ging auf Reisen. Als er zurück kam und seine Tante besuchte, fand er Lina wieder, die mittlerweile Frau von Anglade und Mutter eines liebenswürdigen Sohnes geworden war, und ihren Gemahl anbethete. Die Leidenschaft, die Herr v. Alsan für vorübergegangen hielt, erwachte in seinem Herzen, und er erlag den Qualen einer hoffnungslosen Liebe. Er haßte Herrn v. Anglade, der, glücklicher als sein Nebenbuhler, durch den (vermeinten) Todesfall eines nahen Verwandten in den Besitz eines ungeheuern Vermögens gekommen, und so leicht die Einwilligung des Herrn v. Senesse erhalten hatte, und in Olsans Diensten befindet sich ein verächtlicher, habsüchtiger Kerl, René, als Kammerdiener, der alles anwendet, um seinem Herrn zum Besitz der schönen Frau zu verhelfen.

Der erste Act beginnt mit den Anstalten zu einem Feste im Garten der Frau von Cerval. Es kommen italienische Musikanten an die Gartenthüre, worunter René einen ehemahligen Spießgesellen, Fourbin, hier behält, und von der Lage der Sachen unterrichtet, weil er ihn brauchen zu können glaubt. Mittlerweile kann Olsan seine Gefühle nicht mehr bemeistern, und entdeckt ¦ Frau v. Anglade seine Liebe, welches Geständniß sie mit den bittersten Vorwürfen erwiedert. Frau v. Cerval bittet ihren Neffen, zu heirathen, und meldet zugleich, daß sie durch einen gewonnenen Rechtsstreit eine Summe von 400,000 Francs erhalten habe, die sie für ihn bestimmt hat; sie äußert endlich die Besorgniß, daß er Lina noch immer liebe, und warnt ihn. Olsan faßt die besten Vorsätze, und verläßt René, der ihm noch immer Hoffnung zum Besitze seiner Geliebten machen will. – Ein Fremder kommt mit Herrn v. Anglade zu sprechen – es ist Leon von Assendray, der todtgeglaubte Vetter, der nun sein Eigenthum zurück zu fordern kommt. Anglade ist sogleich dazu bereit, doch Leon fordert nicht nur die Zurückgabe der Güter, sondern den Ersatz aller Zinsen und Einnahmen während der Jahre des Besitzes, und will nicht einmahl auf die Wohlthaten Rücksicht nehmen, die Anglade seinen Unterthanen erzeigt hat. Er verläßt diesen endlich, mit dem Beysatze, er werde morgen wieder kommen, um Geld zu hohlen. Anglade sieht sich ruinirt, denn all sein Vermögen reicht kaum hin, Assendray’s Forderungen zu genügen. Frau v. Anglade kommt dazu, tröstet ihren Gemahl, und biethet ihm zur augenblicklichen Beschwichtigung des Herrn v. Assendray ihren sehr kostbaren Schmuck. Als Olsan das Unglück erfährt, regt sich ein edles Gefühl in seinem Gemüth, und er bittet seine Tante, die 400,000 Francs, die sie ihm bestimmt hat, der Frau v. Anglade zuzuwenden. Lina lehnt dieses kalt und bestimmt ab; er sieht sich verachtet, und entbrennt in Rachsucht, welche René so lange anbläst, bis ihm sein Herr Vollmacht gibt, zu thun, was er für gut findet, um Anglade zu verderben und Lina in seine Arme zu liefern.

Zweyter Act. Herr Anglade hat die ganze Nacht hindurch gearbeitet, um alle seine Rechnungen und Papiere in Ord|nung zu bringen; der Juwelier, den er am vorigen Abend zu bestellen befahl, wird gemeldet; aber René hat diesen Befehl erlauscht, und statt des Herrn Dumont kommt Fourbin, der den Schmuck um 80 000 Francs kaufte, und diese Summe aus einer großen rothledernen Brieftasche in Banknoten zahlt. Während Herr von Anglade nachzählt, versteckt Fourbin sowohl den Schmuck, als die Brieftasche unter ein Sophakissen und entfernt sich. Mittlerweile wird Lärm im Hause, der Frau v. Cerval ist die Summe von 400,000 Fr. gestohlen worden; der Gärtner kommt in Verdacht, die Gerichte kommen auch zu Herrn v. Anglade, um alles zu untersuchen; die Banknoten, welche er für den Schmuck erhalten, werden als ein Theil der entwendeten erkannt, auf seine Aussage wird der Juwelier Dumont gerufen, der Herrn v. Anglade nicht kennt; Alphons, der kleine Sohn des letztern, nimmt das Kissen vom Soffa, um sich darauf zu setzen, und der Schmuck und die Brieftasche mit dem übrigen Gelde (bis auf 20,000 Fr., welche Fourbin davon genommen) fällt auf die Erde. Nun wird Anglade trotz den Bitten seiner Gemahlinn, dem Zureden der Frau von Cerval und den Vorstellungen des Herrn. v. Assendray (welcher dazu kommt und sich für seinen edlen Vetter verbürgen will, dessen Charakter er Tags zuvor auf eine so harte Probe gestellt und bewährt erfunden hat) verhaftet. Herr v. Olsan befindet sich in der höchsten Verwirrung.

Dritter Act. Fourbin in Matrosenkleidung ist von seinem Genossen René in einem Pavillon des Gartens versteckt worden, wo er ihn zu einer gelegenen Zeit heraus lassen will, und hat die 20 000 Fr. unter einer zerbrochenen Stufe verborgen; René, der für sich nur 800 Louisd’or behalten, merkt dieß und will seinen Spießgesellen darum prellen, er läßt ihn endlich hinaus, bemerkt aber nicht, daß Fourbin den Schlüssel zur Gartenthür gemaust hat. Gewissensbisse foltern indessen Herrn v. Olsan. Assendray bemerkt dieses, schöpft Verdacht und dringt in Frau von Cerval, ihr ganzes mütterliches Ansehen anzuwenden, um das Geheimniß herauszubringen, und den unschuldigen Anglade zu retten. Mit zerrissenemHerzen sucht Frau von Cerval Olsan zu rühren, verläßt ihn höchst erschüttert und befiehlt ihm, auf ihr Zimmer zu kommen; Olsan will fliehen, gebiethet René, ihn zu begleiten, der aber lieber die 20,000 Francs heben und allein gehen will; über diese Arbeit wird er von dem Gärtner der Frau von Cerval und den Bedienten des Hrn. von Anglade ertappt; auch Fourbin wird gefangen, als er wieder kömmt, sein Geld zu hohlen, Hr. von Anglade wird befreyt und Olsan erschießt sich. – –

Die Vorstellung war in den meisten Theilen gelungen zu nennen. Vorzüglich zeichneten sich die Damen Liebich (Fr. v. Cerval) und Brunetti (Lina von Anglade), Hr. Bayer (Leon v. Assendray), Polawsky (Adolph von Anglade) und Wilhelmi (Hr. v. Olsan) aus. Dem Erzieher des kleinen Mädchens, welches den Alphons von Anglade vorstellte, wäre sehr zu empfehlen, dieses Kind zu einer etwas menschlichen Darstellung anzuhalten; denn hier war leider kein Zug von Natur und Kindlichkeit, und es ist ein unbegreiflicher Muthwille einiger Personen im Publicum, durch Beyfall bey Geschrey und Verzerrung das Talent dieses Kindes zu untergraben, und zum Fortschreiten auf einem ganz falschen Wege aufzumuntern. Leider fehlt es allen Kindern bey unserer Bühne an kindlichem Sinn, doch keinem in so hohem Grade; und wenn wir dieses sehen, so kommt es uns immer vor, als erblickten wir die Prima Donna einer herumziehenden Truppe durch ein Verkleinerungsglas.

Vor dem Stücke sprach Herr Regisseur Bayer folgenden Prolog von Herrn Prof. Gerle:

Wenn feindlich oft das kalte ErdenlebenBerührt des Menschen innerstes Gemüth,Wenn bange Ahnung hemmt sein kräftig Streben,Den Geist von seiner Höhe nieder zieht – ¦ Dann naht die Kunst mit heilig stillem Wehen,Beschwört den Aufruhr durch ihr zartes Lied;Den Sterblichen umschweben Huldgestalten,Und bändigen die feindlichen Gewalten.Vor allen sind der Musen zwey gewogen,Sie nahen mild in wechselvollem Spiel;Und wo das Schwesternpaar einher gezogen,Beschwichtigt bald sich jedes Schmerzgefühl;Zeigt eine uns des Schicksals wilde Wogen,So führt die and’re froher Scherz zum Ziel,Und wechselnd so, in leichtbewegten TänzenUmflicht uns dieses Paar mit zarten Kränzen.Die Muse ruft mit ernstem HimmelstoneDen Künstler auf die dornenvolle Bahn,Und mühsam kämpft er um die schöne Krone,Die er am fernen Ziele soll empfah’n;Wohl ihm! wird Eure Liebe ihm zum Lohne,Daß fruchtlos nicht sein Lebenslauf verrann;Denn all sein Thun und mühevolles WaltenWill nur des Kenners freyes Lob erhalten.Nur Euer Antheil beut dem Künstler Segen,Mit ihm verfolgt er seinen Pfad voll Muth,Und froher eilt er seinem Ziel entgegen,Bewahret Ihr ihm stets dieß hohe Gut;Er fühlt Verehrung und des Dankes Regen,Und höher flammt in ihm Begeist’rungsgluth. –Das sind die heilig und geheimen Banden,Die Kunst und Kenner liebevoll umwanden.Doch höher muß des Künstlers Brust sich heben,Und lusterfüllet lebet sein Gemüth,Wenn Anerkennung lohnt sein eifrig Streben,Ihm jede bange Sorge schnell entflieht;Und einzig weiht er dann der Kunst sein Leben,Wenn er die Zukunft sich gesichert sieht. –Die Edlen, so in Praga’s Mauern wohnen,Verstehen Kunst und Künstler zu belohnen.Gerührten Herzens nenn’ ich Euch willkommen,Verehrteste! die heut’ sich gastlich hierVersammelt, gern der Muse Ruf vernommen;Gegrüßt sey uns des Vaterlandes Zier,In deren Brust der Kunstsinn hoch erglommen,Und jubelnd ruf’ ich aus: Heil dir,Bohemia! du schönster EdelsteinIn Habsburgs glanzerfülltem Strahlenschein.

Herr Bayer sprach dieß Gedicht mit künstlerischer Vollendung und Ruhe, und erntete den lautesten Beyfall des Publicums.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Jakob, Charlene

Tradition

  • Text Source: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 8, Nr. 149 (12. Dezember 1816), pp. 611f.

    Commentary

    • zerrissenemHerzenrecte “zerrissenem Herzen”.

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