Aufführungsbesprechung Dresden: “Preciosa” von Carl Maria von Weber, 27. Juni 1822
(Schluß) Dresden.
Die dritte gastirende Künstlerinn war die, uns schon von früheren Zeiten und noch vor wenigen Jahren her liebgewordene Frau von der Klogen. Sie eröffnete ihr Gastespiel mit der Johanna in der Jungfrau von Orleans. Wenn ich gleich zugebe, daß es ganz falsch ist, aus der Heldenjungfrau einen Heldenjunggesellen zu machen, so kann ich doch die Ansicht der Frau von der Klogen, die durch das ganze Stück bloß ein schmachtendes, schwärmerisches Hirtenmädchen war, nicht ganz billigen, da sich Johanna doch in manchen Momenten zur gottbegeisterten Kämpferinn für König und Vaterland erhebt, und sich dann nothwendig Sprache und Mimik zum höchsten Affect steigern muß. Das Publicum war deßwegen auch sehr kalt gegen die verdienstvolle Künstlerinn; desto wärmer und liebevoller nahm es die zweyte Rolle derselben, Preciosa in dem gleichnamigen Stück von Wolff auf, welches wir hier zum ersten Male sahen.
Was auch gallsüchtige Recensenten gegen dieß Schauspiel einwenden mögen, es ist und bleibt eines der besseren neueren. Es ist wahr: die Fabel des Stücks ist vielleicht schon unter zwanzigerley Gestalt da gewesen, aber so anziehend, so zart und lieblich ausgeführt gewiß nie. Die Handlung, deren Interesse mit jedem Acte wächst, hält die Aufmerksamkeit bis zum Schlusse fest, die Sprache ist rein, fließend und bilderreich, Aug’ und Ohr stets wohlthätig beschäftigt, und so muß das Schauspiel, wenn es gut einstudiert ist, der Dialog, ohne Lücke, Schlag auf Schlag geht, überall gefallen. Übrigens will ich nicht in Abrede seyn, daß an allen Orten, wo Preciosa bis jetzt gegeben wurde, in Berlin, Hamburg u. s. w. die Musik unseres trefflichen C. M. von Weber ein Haupthebel des Beyfalls war, den sie sich im hohen Grade zu erwerben wußte. Freylich ist aber auch diese Musik ein neuer Beweis von der außerordentlichen Erfindungsgabe und Vielseitigkeit des Componisten. Jedes Musikstück, von der ersten bis zur letzten Note, ist so bezeichnend, die Ouverture so originell erfunden als ausgeführt, die Art, das Melodram zu behandeln, so neu und effectvoll, die Chöre so sangbar und vortrefflich, als man sie von dem Tondichter des Freyschützen erwarten konnte, die Ballete so charakteristisch und tanzbar, das Ganze so aus einem Gusse, daß sich auch hier der Beyfall bis zum Enthusiasmus steigern mußte, so war sie eine der besten, ¦ die ich hier sah. Frau von der Klogen hatte die Individualität der Preciosa so schön aufgefaßt, und gab die ganze Rolle mit so viel Zartheit, Innigkeit, Wahrheit und Wärme, so unverkünstelt und ergreifend, daß das allgemeine Herausrufen, welches ihr zu Theil wurde, nur eine gerechte Würdigung ihres Verdienstes war. (Wir freuen uns, Frau von der Klogen nun unser nennen zu dürfen.) Hr. Devrient (Alonzo) stand ihr würdig zur Seite, nur schien er noch nicht ganz mit seiner Rolle vertraut zu seyn, Mad. Hartwig (Wiarda), Hr. Hellwig (Zigeunerhauptmann), Hr. Burmeister (Don Carcamo) zeichneten sich vortheilhaft aus, Hr. Pauli (Schloßvoigt Pedro) war eine der ergetzlichsten Callot’schen Fratzen, die Ballets hatte Hr. Gärtner, der sich in einem Pas-de-deux mit Mlle. Lautenschläger verdienten Beyfall erwarb, mit Geschmack und Einsicht angeordnet, die neuen Costumes waren schön und kleidsam, die Decorationen neu und sorgsam ausgeführt, besonders die Schlußdecoration des vierten Acts, die wirklich einen überraschenden Anblick gewährte, kurz Alles war vereinigt, um uns einen hohen Genuß zu gewähren, und nicht leicht verließ das Publikum eine Vorstellung so befriedigt, wie diese.
Außer der Preciosa wurden von neuen Stücken gegeben: […]
P. W.
Editorial
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Amiryan-Stein, Aida
Tradition
-
Text Source: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Jg. 7, Nr. 91 (30. Juli 1822), pp. 733–734