Aufführungsbesprechung London, English Opera House: Freischütz von Carl Maria von Weber im August 1824

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Correspondenz-Nachrichten.

Es kann gewiß nicht uninteressant seyn, in der Heimath des Dichters, wie des Componisten, etwas Näheres über die Versetzung ihres Meisterwerkes, des Freischützen, auf die englische Bühne zu hören. Man giebt dieses Stück im englischen Opernhause*, welches zwar nur den vierten Rang unter den Theatern der Hauptstadt einnimmt, jedoch über die Aufführung dieser Oper mehr als gewöhnliche Kräfte verwandt hat.

Der ungenannte Uebersetzer scheint ein gewaltiger Stümper zu seyn, der des herrlichen Kind’s Dichtung gar nicht verstanden. Er läßt den Erbförster z. B. erzählen, daß das Gelingen des Probeschusses dem Schützen das Recht verleihe, das schönste Mädchen des Dorfes zur Gattin zu wählen. Auf solche Weise ist fast das ganze Werk behandelt. Kaspar wird, da man in England schwerlich einen Sänger finden würde, der eine solche Rolle nur irgend genügend darstelen könnte, von zwei Personen gespielt, oder ist eigentlich in zwei Rollen umgeschaffen. Diese beiden Herren erscheinen zuerst, und der eine beklagt sich bitterlich, daß Samiel sich weigere, zu erscheinen, um ihm zur Auffindung eines Substituten für die nahe Höllenfahrt behülflich zu seyn, er macht nun auch, um den Zuschauer zu überzeugen, einige Versuche, schreit jämmerlich „Samiel!“ aber kein Rothmantel läßt sich blicken, und Kaspar mit seinem Double ziehen unverrichteter Sache ab. Die Bauern mit dem Max treten auf, der Königschuß fällt, Max ringt die Hände, zwei hübsche Bauermädchen bekränzen den Sieger, dem es gleich darauf gelingt, die schöne Parthie: „Schau der Herr mich an als König“ ec. auf das vollkommenste zu persifliren, und man ist froh, endlich mit dem Max allein zu seyn. Wird dieser nun gleich als dummer Bauerbursche geschildert, so wird er doch gut gesungen und diese Scene ist wohl die gelungenste in der englischen Darstellung. Hierauf sieht man die beiden Kaspar um Max bemüht, ihn für sich zu gewinnen, die Lachlust des Publikums wird hier gewiß auf’s höchste erregt, das Ende der großen Baßarie klingt wie das deutsche Lied: „Lustig! lustig! immer lustig!“ Agathe singt eine eingelegte Arie, von dem Bilde erwähnt Annchen nichts; das Duett: „Schelm, halt’ fest!“ bleibt weg, eben so auch das schöne Terzett; statt desselben singt Max eine Arie, von der man nichts versteht, als ein ewiges: „Good night! Good night!“ Im Anfange des dritten Akts kommt, nicht unpassend, eine große Jagd, wo das Jägerchor gesungen wird, Kaspar die sechste Kugel verschießt und wiederum Max und Agathe, die sich zufällig auch mit auf der Jagd befindet, ein eingelegtes Duett singen.

Als vor dem Fürsten sich Max, nachdem er den Kaspar getroffen, des Freikugel-Gießens anklagt, wird letzterer erweicht und bekennt sich als den allein Schuldigen, wird aber trotz seiner Reue von Samiel selbst in einen Höllenpfuhl gezogen.

Die Maschinerie in der Wolfschlucht ist so herrlich, wie sie gewiß auf deutschen Bühnen nicht gesehen wird; für die Musik thut das Orchester am meisten, doch ist durch die vielen, schlecht gewählten Einschaltungen ein wahres Quodlibet daraus geworden. Das von dem noch gebliebenen Trefflichen ergriffene Publikum klatsche und freuete sich herzlich des Ganzen.

Wie schmerzlich muß es den Freunden der Lite¦ratur, den Verehrern des Dichters und Componisten seyn, ein Meisterwerk von ganz Deutschland bewundert, so entstellt und verketzert der Beurtheilung einer großen Nation dargestellt zu wissen.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Amiryan-Stein, Aida

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 8, Nr. 250 (18. Oktober 1824), pp. 1000

Text Constitution

  • “Bauermädchen”sic!

Commentary

  • “… dieses Stück im englischen Opernhause”Englische Erstaufführung des Werks in der englischen Textfassung von Walter McGregor Logan und der musikalischen Bearbeitung von W. Hawes im English Opera House am 22. Juli 1824 unter dem Titel Der Freischutz, or The seventh Bullet.

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