Heinrich Stieglitz an Carl Maria von Weber in Dresden
Berlin, Donnerstag, 12. Januar 1826
Settings
Show markers in text
Context
Absolute Chronology
Preceding
- 1824-01-08: from Weber
Following
- 1826-02-20: from Weber
Direct Context
Preceding
- 1824-01-08: from Weber
Following
- 1826-02-20: from Weber
Hochwohlgeborner
Hochzuverehrender Herr Kapellmeister;
[am rechten oberen Rand der Rectoseite von Webers Hand:] erhalten Dr. d. 16: Jan: 1826. - - - -
betw eodem
An jenem mir unvergeßlichen Morgen hätte ich nicht geglaubt, daß ich so bald schon wieder vor Sie treten würde, verehrter Mann. Nach Ihrer Rückkehr in das Vaterland, hofften wir, mein Freund Lerche und ich, Sie mit einem sauber gestochnen Heftchen der Ihnen zugeeigneten „Stimmen des Frühlings“ begrüßen zu können*, wozu ich dann noch eine kleine Auswahl andrer Lieder zu fügen gedachte, die sich — denn so ließen Sie mich hoffen — vielleicht einst der schönsten Weihe erfreuen dürfen. Und das empfind’ ich tief in der Seele:
Auch nur ein Lied mit Webers Tönen,
Auch nur ein Hauch von seiner Melodie!
Das ganze Leben würd’ es mir verschönen,
Durchdräng’ mich solchen Liedes Harmonie. —
Und diese dem schönsten Zwecke bestimmten Liedchen mögen denn der Zeit entgegenwachsen, wo sie zu dem reichgeschmückten Heimgekehrten; unsern Stolz und unsre Freude, wandern dürfen. Ja, ich hege noch kühnere Hoffnungen. Vielleicht gelingt der wachsenden Kraft des Jünglings im Laufe der Zeit eine Oper, die — o lassen Sie mich das beseligende Wort freudig aussprechen Verehrter! — die ein Weber seiner Töne nicht unwürdig achtet. Jede Andeutung des Stoffes, der Art, jeder hingeworfne Wunsch von Ihrer Seite sollte mir ein Wink seyn, dem ich treu nachzukommen mich bemühen würde. Ich hab’ in dieser Zeit meinem Freunde Lerche einen Versuch in zwei Akten geliefert, den er nicht ungern aufgefaßt; einem für Sie bestimmten würd’ ich freudig alle Kräfte, jede Minute der besten Muße widmen; ja, ich fühle, schon der Gedanke der Bestimmung würde mich zu solcher Schöpfung kräftigen daß sie mir nicht mislingen könnte. —
Doch ich komme ganz von dem Zwecke dieses Briefes ab. Ein andrer Freund, Zur Hoven aus Cölln, dem ein ernstes Studium der göttlichen Kunst das Herbe seiner Jurisprudenz versüßt, hat mich mit der Composition des zu einer größern Reihe (Bilder des Orients*) gehörigen „Mameluckenknaben“ beschenkt*. Ich habe eine so warme Freude darüber empfunden, daß ich das Werkchen würdig hielt dem trefflichen Meister zugeeignet zu werden, und hierzu des Freundes Wunsch bestärkte. Nun haben wir das Ganze neulich in einer kleinen musicalischen Gesellschaft aufgeführt, die wir uns hier gebildet. Da ist es denn der jungen Schöpfung eigen ergangen. Trotz der vielleicht zu schwachen Besetzung — und die Chöre sind doch wohl für eine Mehrheit von Stimmen berechnet —, trotz des Nothdürftigen der Solo’s, — Damen und Herren sangen prima vista — waren einige, und gerade die wärmsten Freunde der Musik, | die dem Gegebenen eine warme Theilnahme schenkten und es mit warmer Freude aufnahmen; andere dagegen ließen ein so laues, zum Theil so absprechendes Urtheil vernehmen, daß mein Freund, ohnedieß von stillem schüchternen Gemüth, sich ganz verstimmt und wirklich unglücklich fühlte, da er sich doch eines so redlichen Strebens bewußt war. Gestern machten wir einen zweiten Versuch, auf welchen einzugehn ich nur mit Mühe ihn bewogen hatte. Dieser gelang in der Ausführung besser; auch war die warme Aufnahme allgemeiner; aber ganz ihn auf’s Klare mit sich selbst zu bringen — und bei seiner ächten Liebe zur Kunst hielt ich das für Pflicht — hab’ ich zur Hoven vermocht, mir das Ganze zur Uebersendung an den geehrtesten Meister zu überlassen, dessen Urtheil er als höchste Entscheidung ansehn will. Sie können denken, Edler, Trefflicher, mit welcher bangen Ungeduld der Freund diesem entgegensieht, wie sehr es dem Fortgang seines ganzen Strebens Noth thut. Dieses möge mich entschuldigen, wenn ich mit meiner Sendung eine kostbare Stunde Ihrer höhern Thätigkeit entziehe; aber ein solcher Geist schenkt gern einem nach dem Rechten strebenden Jünger eine Stunde, wo es Zurechtweisung, Aufmunterung gilt; und bei der Schärfe und Schnelle des Meisterblickes raubt es auch wohl weniger Zeit. Uns genügen einige Zeilen von Ihrer theuren Hand; um unbedingte Strenge bitten wir; auch wüßt’ ich nicht was Sie bestechen könnte; aber im günstigen Falle dürften Ihre Worte mit der Aufmunterung des Freundes zugleich auf die Geneigtheit des Verlegers wirken, dem, wenn Ihnen das Zugeeignete seiner Weihe würdig erscheint, wir es nun bald auszuhändigen wünschen. —
Kein Mensch außer zur Hoven und mir weiß von diesem Briefe; möchte unser inniges Vertrauen dem Trefflichen nicht unwillkommen seyn! —
Des Himmels Segen über Sie! Von ganzer Seele und mit wahrer HochachtungHeinrich StieglitzBerlin
den 12ten Januar
1826.
Adr Dorotheenstraße Nro 53.
Editorial
Summary
nimmt Bezug auf Begegnung in Berlin, würde gern Operntext für ihn schreiben, bittet um Begutachtung der Komposition eines Freundes, die er ihm zuschicken wird und die im privaten Freundeskreis mit geteiltem Echo aufgeführt worden ist
Incipit
“An jenem mir unvergeßlichen Morgen hätte ich nicht geglaubt”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz
Tradition
-
Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (D-B)
Shelf mark: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (III), Bl. 30APhysical Description
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- am oberen Rand der Rectoseite von der Hand Karl von Webers: “C. M. von Webers Handschrift. | Verbürgt durch | seinen Enkel Carl von Weber”
Commentary
-
“… des Frühlings begrüßen zu können”1826 erschienen bei H. A. Probst in Leipzig; vgl. die Rezension von G. Stadler in: BamZ, Jg. 3, Nr. 20 (17. Mai 1826), S. 153–155.
-
“… größern Reihe (Bilder des Orients”Die Sammlung Bilder des Orients von Heinrich Stieglitz erschien 1831/32 in vier Bänden bei Cnobloch in Leipzig.
-
“… Orients ) gehörigen Mameluckenknaben beschenkt”Das Gedicht „Der Mamelucken-Knabe“ erschien nicht in der genannten Sammlung, sondern war bereits zuvor veröffentlicht worden in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz, Jg. 9, Nr. 196 (9. Dezember 1825), S. 981.