Rezension: Oberon, romantische Oper in drei Akten, nach dem Englischen des J. Planché, von Theodor Hell, Musik von Karl Maria von Weber. Berlin bei Schlesinger (Teil 3 von 3)

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Oberon, romantische Oper in drei Akten, nach dem Englischen des J. Planché, von Theodor Hell, Musik von Karl Maria von Weber. Berlin bei Schlesinger

(Schluss.)

In dem Duett zwischen Fatime und Scherasmin mischen sich die Karaktere des orientalischen und des heitern, gemüthlichen, aber derben europäischen Naturlebens mit einander. Fatime vertritt jenes, Scherasmin dieses; aber sei es, dass uns das Fremdartige noch reizt, wenn uns das Heimische derselben Sphäre schon etwas gemein dünkt, sei es, dass wir als Männer uns mehr durch eine weibliche, einfache Natürlichkeit, als durch ein derbes männliches Naturkind angezogen fühlen, – kurz Scherasmin verliert das Spiel gegen Fatime vollkommen. Die Zeichnung des erstern kommt mir etwas gewaltsam, karrikaturartig vor; das feine Bild der letztern hat dagegen etwas ungemein Anziehendes. Es beginnt von den Worten „An dem Strom, des Bunt Emir,“ u. s. w., bis zum Eintritt des „a due“. Dieses selbst macht auf das Ohr der Menge den ¦ schnellsten und wohlthuendsten Eindruck; mir nicht aber so. Ich finde Webers Manier *) darin zu schroff hervortretend, und die Behandlung des Ganzen fällt im Karakter etwas ins Gemeine.

Ich wäre nun mit denjenigen Stücken fertig, die ein neues, fremdartiges Element in sich tragen, wodurch der Komponist auch in der Gattung, nicht bloss im Einzelnen der Erfindung, sich als selbständig schaffend hervorgethan hat. Man sieht, es sind der Stücke so viele, dass sie über den hohen Werth der Oper an und für sich schon entscheiden mussten. Der übrige Theil ist indessen offenbar der schwächere; wir fühlen ihm an, dass er mehr nach vernünftigen Betrachtungen gemacht, als der freien Kraft der Erfindung göttlich entsprungen ist. Namentlich sind es drei Karaktere, in denen sich der Komponist auszusprechen hatte, Rezia (Wielands Amanda), Hüon und Oberon. Das beinahe unumgängliche Gesetz der heutigen Oper ist, dass Bravourpartien darin enthalten sein sollen; daher wird oft ein ganzer Karakter durch eine Bravourarie entstellt. Weber hat das sehr rühmliche Bestreben gezeigt, der Bravour Karakter zu geben; im Hüon. ist dies männlicher Heroismus, in der Rezia weiblicher, nämlich Feuer und Begeisterung in der Liebe und durch dieselbe. Dies verleiht den Arien dieser beiden Hauptfiguren zwar ein Interesse, welches gewöhnliche Bravourarien nicht zu haben pflegen; doch auf der andern Seite stören uns einige Stellen, denen man den beabsichtigten Effekt zu sehr anhört, theils die Menge der Passagen, besonders da wir diesen anfühlen, Weber schrieb sie nicht à bon grè, wie Rossini, sondern sehr contre coeur. (Der Deutsche hat keine Worte, um diese Zustände so bestimmt zu nüanciren, daher verzeihe man mir die französischen). Deshalb sind die Arien nicht glücklich gerathen, sondern | mischen sich aus Karakterzügen und unwesentlichem Passagenwerk; wir können indess, nicht Webern zum Trost, sondern dem Publikum, das ihn mit Recht so liebt, versichern, dass wir hier den höchsten Maasstab der Foderungen an gelegt haben, und uns daher auch noch Niemand in diesem Punkte genügt hat, als Mozart. Er ist der einzige Komponist, der einen solchen Reichthum, und eine solche Bildsamkeit der Erfindungen hatte, dass sie selbst in der Gestalt von Passagen für die Bravoursängerin noch Bedeutung behalten. – Der getadelten Stücke im Oberon sind wenige; denn, nur Beispielsweise will ich die Preghiera, ein äusserst inniges Andante ausnehmen; die mehrstimmigen Sachen z. B. das vortreffliche Quartett: „Ueber die blauen Wogen" u. s. w. gar nicht gerechnet. Sehr glücklich hat bei dem letztgenannten Stück der Komponist die Umgebung, das reiche Bild der Natur, die blaue frisch bewegte Fluth, das stolze Schiff mit schwellenden Segeln, den endlosen Himmel, mit ins Spiel zu ziehen gewusst, und sich so aus dem historischen Bilde beider Liebespaare ein Genrebild geschaffen, welches seinem individuellen Talent mehr zusagt.

Die mindest bedeutende Figur in der Oper ist Oberon selbst. Dies liegt aber vorzüglich am Dichter, und zwar schon an Wieland. Töne können uns wohl einen mächtigen, nur durch Anmuth herrschenden Geisterfürsten, dessen äussere Gestalt aber fast die eines Kindes sein soll, vor die Seele führen; allein sobald die Verwirklichung auf der Bühne eintreten soll, entsteht ein Missverhältniss der Ideen und der Wirklichkeit, das ich nicht näher auszuführen brauche, weil es jedem von selbst einleuchtet. In der Musik hat sich Weber zwar viel Mühe gegeben, durch künstliche Begleitung und Instrumentirung die Erscheinung des Geisterfürsten immer scharf von der der Erdensöhne zu sondern, allein es liegt in der Natur des Wunderbaren, dass es nicht dauernd, nicht oft wiederholt wirken kann. Schon dem Geist des Comthur im Don Juan haben es tiefsinnige Aesthetiker **) nicht ganz mit Unrecht ¦ zum Vorwurf gemacht, dass er zu lange verweile; und welche Mittel bietet hier die Situation, bietet Mozarts unendlicher Genius dar, um den schauerlichen Eindruck zu erhalten! Wie viel schwerer musste es sein, (ja es ist unmöglich) den freundlichen Geist Oherons immer so einzuführen und zu halten, dass uns die Verehrung vor seiner höhern Macht nicht verlassen kann! Statt also hier den Musiker zu richten, wollen wir lieber den Dichter tadeln, der mit den höchsten Mitteln zu verschwenderisch umging, und so eine unlösbare Aufgabe stellte. – —

Wir wären mit dem, was wir über das Einzelne dieser Oper zu sagen uns vorgenommen, nun fertig; nur noch einige Worte vergönne man uns über das Verhältniss dieses Werks zu Webers frühern Arbeiten. Man hat unserm hingeschiedenen Freunde nicht mit Unrecht, besonders in früherer Zeit, ein Aufsuchen des Seltsamen, eine zu grosse Entfernung von den rein schönen Formen, um sich den bizarren anzunähern, vorgeworfen. Wir dürfen indess im Ganzen über ein solches Bestreben eines Künstlers nicht zu leichtsinnig richten; gewisse Geister müssen gewisse scharf bestimmte Richtungen nehmen, obwohl sie selbst vielleicht anerkennen, dass es nicht die höchsten sind. Mehr oder weniger haben die ausgezeichnetsten Genien aller Zeiten dies gethan; wir nennen nur Tacitus, Michael Angelo, Jean Paul, Beethoven. Mir däucht, keiner von diesen allen dürfte Vorbild werden, so mächtig ihre geniale Kraft auch anf die künstlerische Seele wirkt, uud wirken soll. Unser Freund, wiewohl diesen Heroen nicht zu vergleichen, musste, vom innersten Drang getrieben, einen ähnlichen seltsamen Weg gehen, den ihm ja niemand nachwandeln soll. Wir geben zu, dass er sich oft darauf verirrte; oft aber erfreute er uns auch durch überraschend schöne Blicke, die er von seinem Standpunkt aus in die Geheimnisse der Kunst that, und sie uns durch sinnvolle Tonschöpfungen mittheilte. Viele Genien gingen eine ähnliche Bahn wie er; fast alle aber entfernten sich, je weiter sie kamen, immer mehr von dem wahren Ziele der Kunst; dahin gehören aus unsern Tagen Cherubini, | Spontini, Spohr, ja sogar Beethoven. Weber aber näherte sich allmählig mit den fortschreitenden Jahren mehr und mehr dem geläuterten Schönen. Er hielt seine Individualität fest, schliff jedoch nach und nach die zu scharfen Ecken derselben ab. In diesem Sinne können wir mit Recht behaupten, Oberon sei sein bestes Werk. So eigentümlich es ist, so viel Gelegenheit ihm der Stoff bot, gerade hier seinen Lieblingsausschweifungen den Zügel schiessen zu lassen, so erblicken wir doch viel mehr als in frühern Arbeiten des Komponisten, den klaren Sinn, das künstlerische Bewusstsein, welches mitten in der Begeisterung ruhig bleiben, die fortbrausenden Mächte und Kräfte zügeln, auf ein bestimmtes Ziel hinlenken soll; wie ein kühner Pilot, der die gefährlichste Fahrt durch Klippen, Sturm und Wogen zwar begeisterten Muthes unternimmt, in der Ausführung aber, kalt und besonnen dem kleinsten Segel, der leisesten Aenderung des Windstriches, die schärfste Aufmerksamkeit widmet, und so mitten in dem tobenden Gewühl allein ruhig und klar bleibt, und nie über irgend ein Mittel, sei es das gewaltsamste, entscheidendste, seinen Zweck aus dem festen Blick des Auges verliert. —

Haben wir im Freischütz ein zwar äusserst keckes, aber oft barockes Entfernen von dem Schönen zu rügen, finden wir in der Euryanthe häufige Spuren fast konvulsivischer Anstrengungen, um gewisse Wirkungen zu erreichen: so bietet uns dagegen Oberon das schönere, edlere Bild gezügelter Kräfte, die von einer gereinigtem Klarheit des Geistes geführt werden, dar. Nur Momente erinnern an die Mühsamkeit und gesuchte Anstrengung früherer Arbeiten (z. B. der Sturm); grösstentheils aber zeigt und behält der Komponist feines Gefühl für Maas, Klarheit, Einfachheit und Natürlichkeit der Mittel, (z. B. die Wahl der Tonarten, und die Modulation), so dass er durch dieses unschätzbare Werk höher und geläuterter vor uns steht, als durch irgend ein früheres. Und es musste sein letztes sein! Sollten wir darüber trauern? Sollten wir klagen, dass er so in der Blüthe der Kraft schied? Nein! ¦ Auch nicht der Gedanke, dass er noch höhere Stufen des Kunsttempels erklimmen konnte – doch nur ein Vielleicht – darf uns so schmerzlich berühren, dass er das erhebende Bewusstsein, den Stolz auf einen so seltenen Mann, den wir Landsmann, ja Freund nennen durften, überwiegen sollte. Jedem ist sein Ziel gesteckt, sein Maas beschieden; ein Geist, selbst der höchste, vollendet das Gebäude der Kunst nicht; was mit einem Jahrzehend längeren Wirkens durch Weber geleistet worden wäre, möchte viel für ihn sein, aber es schwindet, wenn wir es gegen den Fortschritt halten, der aus dem allgemeinen Leben und Wachsthum der Kunst erzeugt wird. Was Weber unvollendet liess, werden im Lauf der Jahre tausend und aber tausend Hände fördern. Das Geschick der Kunst kann also durch seinen Verlust, so hoch wir seinen Werth anschlagen, nicht gefährdet werden. Es bliebe uns also nur der Freund zu betrauern! Soll aber der Schmerz um ihn die Freude über die theuren Denkmale, die sein Genius sich gesetzt, überwiegen? Nein! Gewiss nicht! Das eben ist das schöne Loos edlerer Naturen, dass sie nur grossartige Freude, nur Erhebung der Seele erzeugen, selbst wenn sie aus der Welt der Wesen ausscheiden; und in diesem Sinne ist auch die Freude die höchste Empfindung, die die menschliche Brust fassen kann. Also keine niederbeugende Trauer! Aber doch Thränen wollen wir dem Hingeschiedenen weihen, solche, die das reine Zeugniss der Empfindung für Grosses und Schönes sind. Die glückliche Liebe, die edelste Freundschaft weint; das Entzücken bricht im Strom heiliger Thränen aus; der Bewunderung glänzt die schimmernde Perle im Auge, jedes Hochgefühl schwillt aus der vollen Brust herauf, und verdunkelt den Blick mit unwiderstehlich andringenden Tropfen. Gewiss eine dieser edlen Empfindungen, oder ein Gemisch aus allen, regt sich wehmüthig in uns, wenn wir des Freundes gedenken; und darum dürfen wir ihm eine Thräne zollen ohne sie zu verbergen.

L. Rellstab.

[Originale Fußnoten]

  • *). Ich brauche wohl nicht zu erklären, dass ich unter Manier immer etwas nicht Gutes verstehe; Styl und Individualität (Manier ist die leise Karrikatur dieser Eigenschaften) sind mir dagegen äusserst schätzens-werthe, ja nothwendige Eigenschaften eines wahren Künstlers.
  • **) J. Paul Friedrich Richter, im besondern Gespräch mit mir über diesen Gegenstand.

Apparat

Zusammenfassung

Rezension über Webers Oberon einschl. Beschreibung der Charaktere und einzelner Musiknummern; untersucht Bedeutung Oberons

Generalvermerk

Zuschreibung: namentlich gezeichnet

Anmerkung des Herausgebers: Eine nachträgliche Bemerkung zu diesem Artikel von A. B. Marx findet sich in Nro. 51 vom 17. Dez. 1828, Sp. 481–482 in derselben Zeitung

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schaffer, Sebastian

Überlieferung

  • Textzeuge: Berliner allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 5, Nr. 50 (10. Dezember 1828), S. 473–475

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