Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertortheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, November/Dezember 1821

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Notitzen.

Schauspiele.

(Kaiserl. Königl. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthore.) Carl Maria v. Webers Oper: „Der Freyschütze,“ erfreut sich noch immer eines recht zahlreich versammelten Auditoriums, und dieser große Beyfall ist unstreitig eine Folge ihrer echt romantischen Stellung von Seiten des Dichters und Compositeurs.

Wenn die Musik in den ersten zwey oder drey Vorstellungen dem Publicum gleichsam wie ein neues Gewand erschien, was auf keiner Seite recht passen wollte und an einigen Orten zu knapp anlag, an anderen aber wieder zu weit für unsere alltägliche Gewohnheit sich zeigte, so war diese Erscheinung in unserer, an neuen Erscheinungen so armen Zeit, deßhalb von günstiger Vorbedeutung, weil wirklich eine recht lebhafte Sehnsucht nach einem Producte eines schaffenden Geistes durch die lange Übersättigung mit italienischen Fabricaten schon in allen denkenden und fühlenden Herzen rege geworden war, und ihre ganze unbestreitbare Macht äußerte.

Rossini’s Zauberstab zeigt sich in allen seinen Opern beynahe mit denselben bunten Farbenbändern umwickelt, und vernichtet durch diese nichtcachirte, uniforme Fabriksgestalt nach und nach einen großen Theil der Macht, die dem reichbegabten Melodienschöpfer sowohl zu Gebothe stehen sollte, als sie auch dem so glücklichen und eben nicht allzu gewissenhaften Erkenner alles in der Musik von anderen Geistern hervorgebrachten Schönen, eigentlich gar nicht entgehen könnte. ¦

Deßhalb ist unserem Gefühl eine so neue Form, als sie Weber in seiner Oper zum Theil wirklich erfunden, zum Theil von alten, bey uns schier in Vergessenheit gerathenen Meistern entlehnt hat – imposant und regt unsere Aufmerksamkeit in hohem Grade auf. Aber zugleich ist der Zauber des Reitzenden, Sinnlichen, Lieblichen beygemischt und dadurch der mehr angenehme Eindruck auf das menschliche Gemüth gesichert.

Es ist also das Ohr des Musikfreundes durch tiefe, gehaltvolle Kraft sowohl interessant zur Aufmerksamkeit ermuntert, als auch die Kraft und Kunst des Sängers durch singbare und anmuthsvolle Melodien – die theilweise dem ziemlich originellen Ganzen eingewebt sind – zu immer neuem muthigem Schwunge erweckt und zu dankbaren Anstrengungen ermuntert wird.

Der Hauptreitz liegt wohl bey dieser Oper im Chor, der durch Maße imponirend, zugleich den Vorzug vor den Soloparthien hat, daß bey der Mitwirkung einer solchen Gesammtheit von Stimmen nicht die störende und oft widerliche Individualität uns entgegentritt, welche bey Soloparthien und ihrer so verschiedenen, von ungleich gebildeten Individuen bewirkten, Execution bisher gefunden wurden.

Wenn die eine Solo-Stimme durch allzutiefe Intonation unser musikalisches Gefühl beleidigt, die andere durch ein trockenes, hölzernes Organ verletzt, die dritte durch falsche Aussprache des Textes dem Ganzen den Reitz der Verständlichkeit nimmt, so liegt doch immer im Chor eine weit größere Gewißheit, daß durch or|dentliche Zusammenwirkung die hervorgehende Tonmaße, je nachdem sie sanft oder stark sich ausspricht, ihren Eindruck auf Ohr und Herz nicht verfehlen werde.

Dieß bewährt sich vollends gut in solchen Perioden, wo der Chor durch präcise Mitwirkung gern darthäte, welch unentbehrlicher Bestandtheil der Oper er sey.

Aber in der That, die Soloparthien werden in dem „Freyschützen“ mit eben solchem Glück behandelt.

Die junge, anmuthsvolle Dlle. Schröder hat hier rechte Gelegenheit, ihre Innigkeit, ja man möchte sagen, ihre anscheinend große Tiefe des Gefühls zu zeigen. Der Gesang der Agathe ist ja immer mit einem mehr sentimentalen Schleyer bedeckt, durch den der Frohsinn der Liebe nur matt schimmert. Sie gibt diese Charakteristik mit Kraft und ziemlicher Sicherheit in der Ausführung, und reitzt bey einigen Stellen des Gesanges zum Enthusiasmus.

Hr. Rosner gibt den jungen Jägerburschen recht brav und verleiht der Rolle durch hübschen Vortrag seiner Gesänge viel Reitz. Man kann behaupten, daß die Lösung der Rolle im zweyten Acte in der Wolfsgrube schon eine recht ernste Aufgabe für einen jungen Opernsänger ist. Hr. Forte gibt aber auch die Parthie des Kasper mit sehr viel theatralischer Gewandtheit und arbeitet ihm deßhalb sehr gut in die Hand.

Übrigens sind die in diesem anziehenden theatralischen Bilde vorkommenden Nebenfiguren so gut mit alterthümlichen Farben gezeichnet und werden so zweckmäßig von den Darstellenden aufgefaßt, daß man jeden Abend mit Vergnügen der Vorstellung beywohnt und immer wieder das Neuere darüber vergißt.

[…]

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Kärtnertor, Kaiserl. Königl. Hoftheater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 14, Nr. 2 (3. Januar 1822), S. 7–8

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