Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: „La clemenza di Tito“ (Titus) von Wolfgang Amadeus Mozart, 25. Oktober 1814

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Theater.

Prag. – Den 25. Oct.: Titus, Oper in 3 Aufzügen von Mozart. – So oft diese Oper auf der Bühne erscheint, so drängt sich uns der Gedanke auf, woher es wohl kommen mag, daß gerade dieß Werk, obschon mit derselben Zauberey ausgestattet, wie alle Compositionen des unsterblichen Tonmeisters, dennoch nicht mit so großer Gewalt das Gemüth an sich reißt, als z. B. sein Don Juan und Figaro oder die Zauberflöte; und wir glauben nicht zu irren, wenn wir die Schuld davon dem antik-historischen Stoff zurechnen, den wir durchaus nicht für die Oper günstig halten; und doch gab es eine Zeit, wo die antiken Stoffe als die vorzüglichsten, nicht bloß für die Bühnen überhaupt, sondern vorzüglich für die höhere Oper gehalten wurden. Diese Meinung gründet sich wahrscheinlich auf den alten Grundsatz, die Tragödie der Alten, von Musik und Tanz begleitet, sey mit dem Wesen der neuern Oper innigst verwandt, und werde durch diese neuere Kunstgattung ersetzt. Doch ist diese Vergleichung wohl die unpassendste von der Welt, und wer sie wagt, beweist wenig Bekanntschaft mit dem Geist der Alten. Der Tanz und die Musik der Griechen leidet wohl kaum eine Vergleichung mit dem, was wir heut zu Tage so nennen. In der Tragödie war die Poesie die Hauptsache; alles Andere war um ihretwillen da, und gleichsam ihr dienstbar; in der heutigen Oper hingegen ist leider die Dichtkunst selbst die gehorsame Zofe der Musik, und geht ganz in dieser unter. Die höchste Simplicität war der Charakter der griechischen Tragödie, da hingegen die Oper sich der fantastischsten Elemente bedienen darf, bedienen muß, um die Zuschauer in eine ganz neue, fremde Welt zu versetzen, und die Vorwürfe der Unnatürlichkeit – welche die Prosaisten in der Kunst ihr stets gemacht haben – z. B. daß ein Heros vor seinem Tode noch eine Bravourarie singt, zu entkräften. Nicht historische Personen dürfen in der Oper handeln, sondern ein fantastisches Volk muß diese poetische Welt bevölkern, und es ist die höchste Verkehrtheit, wenn man die Einfalt der antiken Tragödie in selbe übertragen will. – Leider hat auch Mozart einmahl einen Fehlgriff gemacht, und seine schönsten Gedanken an eine Dichtung gewandt, die bey weitem minder dankbar war, als die übrigen Stoffe, die er bearbeitet hat.

Mad. Eberwein gab den Sextus zur zweyten Gastrolle, und machte – obschon sie dießmahl vorgerufen wurde – dennoch bey dem kleinen Häuflein wahrer Kenner noch weniger Glück als das erste Mahl. Jedermann weiß, daß Cherubini einer von jenen Tonsetzern ist, deren Hauptaugenmerk der Totaleffect ist, und die daher auf den Glanz des einzelnen Sängers nur wenig Bedacht nehmen; daher wage man kein ungünstiges Urtheil über die Darstellerinn der Constanze (im Armand) zu fällen. Hier aber in Mozarts klangreicher Welt zeigte es sich deutlich, daß weder ihre Stimme voll und rein, noch ihre Methode neu und edel sey. Sextus war so wenig ¦ eine erfeuliche Erscheinung, als Annius (Herr Neumayer) und Servilia (Dlle. Böhler, welche sich mehr für das Schauspiel, als die Oper zu eignen scheint), und selbst Mad. Grünbaum (Vitellia) gewährt hier, wo sie sich leider so wenig, als in italienischen Compositionen des allzu reichen Schmuckes enthalten kann, weniger Genuß als gewöhnlich, obschon sie in Spiel und Geberden den Charakter der Vitellia höchst ausdrucksvoll darstellt. Es wäre in der That ein großer Gewinn für die Kunst, wenn die singenden Künstler endlich einmahl erkennen wollten, daß der große Mozart mit voller Einsicht begabt war, wo Zierde von Nöthen sey, und nicht immer mit Mad. Freude im Beruf sprechen wollten: „Da habe ich Schiller ein wenig verbessert.“

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Charlene Jakob

Überlieferung

  • Textzeuge: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 6, Nr. 187 (22. November 1814), S. 748

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