Beurteilungen aus Dresden vom 9. Juni 1817

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Ueber Solbrig’s Declamatorium

am 9ten Juni.

Was wir früher über Declamatorien überhaupt in diesen Blättern aussprachen, ist auch heute noch unsere Ueberzeugung. Mißverstand oder Undank vermag da nichts zu ändern, wo man aus Gründen urtheilt. Daß indeß jenes Urtheil im Einzelnen seine Beschränkungen leidet, bewiß das von Hrn. Solbrig veranstaltete und von einem zahlreichen Publikum fröhlich aufgenommene Declamatorium. Solbrig ist ja ein alter Liebling desselben und daß er verdient es zu seyn, beweist auch dieß sein neuestes Redespiel. Da sinnig vorbereitende Intermezzo’s, zart überführende Nachklänge der Ton- und Redekunst durch Lokal und Umgebungen hier nicht bedingt werden konnten, so war das Zusammenstellen des Sinn- und Gefühlverwandten hier völlig am Orte. Die erste Abtheilung, ernsteren Inhalts, umfaßte 6 meist erzählende Gedichte. Am wenigsten gnügte wohl hier der Glockenguß zu Breslau, am meisten die geistreich ergriffene, Herzerhebend durchgeführte Sage von der Entstehung des Rafaelischen Bildes der Madonna della Sedia, wovon unsere Gallerie eine gleichzeitige, höchst schätzenswerthe Copie aufweiset, von unserm, den Dichterpinsel so kunstreich führenden, Friedrich Kind, dessen unvergleichlicher Stieglitz in veredelter Hans Sachsischer Manier natürlich auch dießmal nicht fehlen durfte und stets frisch bleibt. Der Declamator that in diesem ersten Theile sein Möglichstes. Nur vermeide er die Klippe falscher Sentimentalität im gesenkten Tone, wo der Inhalt Kraft fodert, z. B. gleich zu Anfang der Erzählung der Madonna, wo der Eremit seinen festen Glauben ausspricht. Des Spruchbeters – man erlaube uns einmal dieß alte Nürnbergische Wort für das undeutsche Declamator – wahres Talent wohnt im Komischen. Die ¦ sem war zur erquicklichsten Belustigung der Zuhörer der der längere zweite Abschnitt geweiht. Außer dem genialen Trompeterschlößchen von Th. Hell, das jeder Dresdner gern auswendig weiß, befriedigten Castelli’s Finger und bescheidenen Wünsche und das sinnig verschränkte Reimspiel von Pferd und Mädchen wohl am meisten, weil sie die feinsten Schattirungen im Vortrag darboten. Was bloß das Zwerchfell und die Lachmuskeln bewegt, ist Zugabe. Immer muß der Declamator, wenn er einzig dasteht, vor Augen behalten, daß wir dialogischer Natur sind und eine ganze Reihe von Monologen bald zur ermüdenden Unnatur wird. Darum verfehlte zum Schluß die Posse: Die Judenschaft in der Klemme, am wenigsten ihre Wirkung. Herr Solbrig entwickelte hier hinter seinem Schirm – ein Vorhang wäre freilich noch täuschender gewesen – seine ganze schon früher erprobte Vielseitigkeit in siebenfacher Selbstvervielfältigung, wobei die treue Nachahmung gewisser uns anderswoher bekannter Bühnenredner erst die rechten Rosinen in den Pudding einknetete. Ueberhaupt gebührt unserm Declamator das Lob, daß er nichts versäumt, um die der ganzen Gattung leicht anfliegende Langweile zu verscheuchen. Dahin rechnen wir die kurzen, wohl gewählten Einleitungssprüche vor beiden Abtheilungen, den wohlberechneten Wechsel zwischen Sitzen und Stehen oft in demselben Redestück, und die (noch weit größerer Mannigfaltigkeit fähige) Nachbildung einzelner Mundarten, wo doch die Pegnitz besser vorschmeckte, als der Donauarm, der in der Nähe des Leopoldstädter Theater fließt. Wenn wird uns doch der wahre Hebel einmal erscheinen! Auch den recht freundlich eingerichteten, zu solchen Zwecken jetzt mehr, als sonst einlandenden Saal des Linkeschen Bades möchten wir nicht ganz mit Stillschweigen übergehn. Er ist ein neuer Gewinn für diesen alle Augen- und Ohrenlust gern in Anspruch nehmenden Lieblingsplatz!

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: Deklamatorium von K. F. Solbrig am 9. Juni 1817

Entstehung

vor 13. Juni 1817

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Veit, Joachim

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 141 (13. Juni 1817), Bl. 2v

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