Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 29. Juli 1817 (Teil 3 von 4)

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Shakspeare als Liebhaber.

(Beschluß.)

Mad. Schirmer hatte ihre kleine Rolle mit der ihr eigenthümlichen Klarheit aufgefaßt. Sie erscheint im Hauskleid, weil sie zu Hause ist, also nicht im Costüm als Schauspielerin. Doch waren im Schnitt der Ermel, im Haarputz, überall Andeutungen an jene Zeit. Selbst die Haltung der übereinandergeschlagenen Arme erinnerte an Porträts aus Holbeins Zeiten. Ruhige Unbefangenheit in harmloser Unschuld. Daher wird es erklärbar, daß sie nicht in Verlegenheit geräth, wenn Shakspeare unangemeldet hereindringt. Er kommt ja in seinem Beruf, sie zu belehren. Daher hält sie die heftigste Ekstase seiner Eifersucht blos für poetische Vision zur Vollendung seiner Rolle des Othello und bringt ihn durch unerkünstelte Ruhe in jene komische Verzweiflung, die ohne diese ruhige Haltung der Schauspielerin alles Ergötzliche verlöre. Mit ungeschminkter Resignation tritt sie selbst die Lieblingsrolle der Nebenbuhlerin ab, läßt aber doch, der Intention des Dichters sich fügend, früher einen leisen Anflug von Empfindlichkeit merken. Der Uebergang in die Reverie, wo sie sich die Liebe zu Shakspeare gesteht, von Jenny aber ganz mißverstanden wird, in der folgenden Scene, wurde fein ausgemahlt. Wohl möglich, daß die wackere Künstlerin unter den Umständen, wie das ganze Stück eingelernt werden mußte, in den aus Richard III. dem ungestümen Lehrer vorzudeclamirenden Versen, einmal unsicher stockte. Allein, was so Fehler wäre, würde Verdienst werden, wenn sie den Blick plötzlich auf den Brausekopf gegenüber, der ihr die Rolle abhört, heftend und einen Augenblick innehaltend, ihre Störung so motivirte. Die fertigste Schauspielerin kommt bei einer solchen, ihrem Herzen so nahen Situation aus dem Concept, oder sie ist blos Schauspielerin. Aus Shakspeare in seiner komischen Wuth durch Vorlesung des Briefs, den er an den verhaßten Nebenbuhler Wilson gerichtet glaubt, sie zu zermalmen gedenkt, holt sie ihm selbst das Licht zum Vorlesen. Ein herrlicher Lichteffect durch den Reflex auf Evelinens Gesicht zeigt uns nun ihre erlaubte Schadenfreude, ihr schalkhaftes Lächeln in voller Verklärung. Dieser von dem Dichter nicht angegebene Zug machte die schönste Wirkung und beurkundeten den feinen Tact der Künstlerin, die nirgends eines Einhelfers bedarf. – Mlle. Christ, als Jenny, überwand bald die anfangs sehr bemerkbare Verlegenheit und legte so viel Schalkhaftigkeit und Munterkeit in diese unbedeutende Nebenrolle, als ihr immer möglich war. Das Erschrecken, als sie in der letzten Scene Shakspeare’s Stimme hörte, gelang ihr ¦ vollkommen. Schade, daß sie einen der witzigsten Einfälle des Stücks: „Richard der dritte kommt zu spät, Wilhelm der Eroberer ist ihm zurvor gekommen“, den sie dem ausgeschlossenen Wilson durch die Thüre zuzurufen hat – bei Duval spricht diese Worte mit Pariser Infatuation und Selbstgenügsamkeit Shakspeare selbst – durch allerlei Störung nicht genug hervorheben konnte, so daß sie für die Zuschauer völlig verloren gingen.

Es wurde bei dieser ersten Vorstellung überall nach Möglichkeit geleistet. Dies Stück wurde in drei Tagen vertheilt und eingelernt, da man dem auf einer Reise anwesenden Dichter sich gern wohlgefällig zeigen wollte. Nur wenig Theater möchten in so kurzer Zeit auf den ersten Wurf solches hervorzubringen im Stande seyn. Mit fortdauernder Liebe gepflegt, wird es lange ein Liebling unsers Publikums bleiben.

B.

Am 29. Juli. Als zweites Stück: Die großen Kinder, Lustspiel in zwei Akten (in Alexandrinern), von A. Müllner. Mit vollem Rechte hat der geistreiche Dichter dies Stück seinem Almanach für Privat=Bühnen auf’s Jahr 1817 einverleibt. Denn vieles, was er am Schlusse dieses Almanachs über das Spiel auf dem Privattheater und über die da allein zu erreichende Rundung und Vollkommenheit gewisser Darstellungen bemerkt hat, mag ganz besonders von diesem sehr witzigen, sehr genialen Scherzspiel gelten, das nur bei dem reinsten Zusammenklang aller Mitspielenden, bei wahrer Vornehmheit in Haltung und Anstand mitten durch die Ausgelassenheit der Situation, bei ächtem Adel in den Gesinnungen, trotz alles Herabsteigens zu Kindereien, aus welchen doch eine dreifache Mißheirath (im bürgerlichen Sinne) hervorgeht, ganz gelingen kann, und welches zugleich mit einer seltenen Kunst im stummen und doch hochberedten Zuspiel, mit der höchsten Sicherheit und Raschheit (möglichst ohne Soufleur) bei dem schnellsten Wechsel von Keckheit und Schüchternheit, Selbstzuversicht und Verlegenheit und dem blitzschnellen Durchkreuzen des mannigfaltigsten Dialogs ausgeführt seyn will. Man kann daher dies Stück eine wahre Schauspielerprobe nennen, in der es freilich gar viele Stufen der Annäherung zur Vollkommenheit und schon darum eine Unzahl von Schwierigkeiten giebt, weil auch der beste Schauspielerverein auf öffentlichen Bühnen durch hundert Zufälligkeiten gehemmt ist. Man darf indeß vermuthen, daß der sonst sehr schwer zu befriedigende Dichter der heutigen Vorstellung seinen vollen Beifall nicht verweigert haben würde.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden Beschluß: „Shakespeare als Liebhaber“ nach Alexandre-Vincent-Pineau Duval am 29. Juli 1817 / „Die großen Kinder“ von Adolph Müllner am 29. Juli 1817

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 190 (9. August 1817), Bl. 2v

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