Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Der Kirchhof zu Savelthem“ von Friedrich Kind am 21. Januar 1819

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Donnerstags, den 21. Januar. Zuerst als Nachspiel zu Van Dyk’s Landleben zum erstenmal: Der Kirchhof von Savelthem, von Fr. Kind. Schon längst hatten die zahlreichen Freunde des Van Dyk gewünscht, daß dieß kleine Nachspiel, welches auch schon in Hamburg und anderwärts gegeben worden ist, einmal am folgenden Tage, wenn Van Dyk gespielt worden, aufgeführt werden möchte. Van Dyk war am 19. (in ganzem zum 9ten Male) bei einem vollen Hause gegeben worden. Mad. Werdy als Paola, Hr. Werdy als Ritter Nanny wußten durch ihr durchdachtes Spiel ihrer Rolle hohen Reiz zu verleihen. Die Begeisterung athmenden Stellen, wie die Vergleichung der flamändischen und römischen Malerschule und die Schlußrede im 5ten Akte, wurde von Mad. Werdy durch Declamation und Spiel vorzüglich hervorgehoben. Die andern Künstler bleiben sich treu und so fanden auch wir dem, was früher darüber gesagt wurde, nichts hinzuzusetzen. So eingeleitet, mußte es einen tiefen Eindruck auf die Zuschauer machen, denselben Kirchhof, auf welchem der letzte Akt des Hauptstücks spielt, heute beim Aufrollen des Vorhangs wieder zu erblicken, nur mit dem Unterschiede, daß sich hier zwei grünberaste, mit buntem Mohn und Roßmarin umpflanzte Grabhügel zeigen. Sie bergen Lenchen und ihren Bräutigam! – Das Nachspiel ist in der Leipziger Ausgabe von Van Dyks Landleben mit abgedruckt, nachdem es schon früher in No. 17. von 1817 der Abendzeitung mitgetheilt worden war, und bedarf also hier keiner weitern Exposition. Es ging unserm Dichter, wie es einst bei einem höhern Drama Schillern gegangen war. Viele, die dort in Wallensteins Tod auf Thekla’s letzten Abschied und die von Schiller deutlich genug bezeichnete Situation, nach welcher ein so himmlisch zartes Wesen den Verlust ihres Max gar nicht überleben konnte, nicht recht geachtet hatten, fragten noch immer, was denn aus Thekla geworden sey. Da sang, von Ungeduld über solche Frager ergriffen, ¦ der große Dichter seiner Thekla, eine Geisterstimme. Dem gefühlvollen Dichter des Sieges der ätherischen Liebesflamme für die höhere Kunst über die irdische Liebe, das heißt des Van Dyk’s, ging es mit seinem Lenchen nicht viel besser. Die fromme Tochter opfert der Pflicht Liebe und Leben. Die Lilienglocke ist nicht umsonst auf ihre Brust gefallen. Das Herz darin muß brechen. Das wollte nun aber vielen, die nicht aufhörten, Van Dyk’s Veränderlichkeit zu schelten, weder einleuchten noch gefallen. So entstand mehr zur Rechtfertigung seiner Ideen, als um das Stück fortzuspinnen, dieß Nachspiel, das der Dichter selbst irgendwo eine dramatische Elegie genannt hat. Und rein elegisch ist auch der Eindruck gewesen, den diese von allen Mitspielenden mit Wahrheit vorgestellte Scene bei den seiner fühlenden Zuschauern, besonders den Frauen, hinterlassen hat. Das gewöhnliche Beifallklatschen hätte sich mit dieser Stimmung nicht einmal vertragen. Wir dürfen indeß nicht in Abrede stehen, daß, wo im Stücke selbst Lenchens Rolle mit der reinen Naivität und, in den letzten zwei Akten, mit der seltnen Tiefe des Gefühls gespielt wird, wie sie uns hier durch Mad. Schirmer erscheint, Van Dyk selbst sich hoch vergeistigen und gleichsam in den Genius des Ruhms übergehen muß, um seine Nachgiebigkeit und Flucht zu rechtfertigen. Widrigenfalls wird diese jüngste Kirchhofscene zwar immer elegisch rühren, aber doch nicht alle Zweifler überzeugen können. Darüber mag nächstens das Leipziger Publikum auch seine Meinung vernehmen lassen! Wir können hier nur, ohne ungerecht zu seyn, das wahrhaft gelungene Spiel Hrn. Werdy’s, der den alten Organisten Thomas gab, nicht unberührt lassen. Er war blind. Und wie durchgriff sein Ton das Innerste, besonders in der unvergleichlich wahr gesprochenen Stelle: „Seht, Herr, ich bin ein alter, schlichter Mann u. s. w.“ Wer so spielt und spricht, mag auch in höchster tragischer Steigerung den Lear uns geben können.

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Der Kirchhof zu Savelthem“ von Friedrich Kind am 21. Januar 1819

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 27 (1. Februar 1819), Bl. 2v

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