Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater, 16. und 17. Januar 1819: „Aschenbrödel“ von Isouard (Teil 1 von 2)
Den 16. und 17. Jan. Zum ersten- und zweitenmale: Aschenbrödel, Zauberoper in drei Akten, nach dem Französischen des Etienne, komponirt von Nicolo de Malte, oder, wie er seinem Familiennamen nach hieß, von Isouard. – Wenn die in kurzer Zeit auf einander folgenden Vorstellungen der Zauberflöte und des Aschenbrödels bisher die ihnen gebührende Würdigung in diesen Blättern nicht erhielten, so mag die Schuld bloß darauf gelegt werden, daß ein, mit diesen Anzeigen beauftragter, urtheilsfähiger Tonkünstler durch äußere Verhältnisse bis jetzt abgehalten wurde, eine Beurtheilung mitzutheilen, wie sie von ausgezeichneten Leistungen billig gegeben werden mußte. Sie kann nicht ausbleiben und auf sie dürfen wir unsere Leser mit Zuversicht hinweisen. Hier nur in voraus ein Wort im Allgemeinen. Wie viel ist die dramatische Ton-Kunst, wie viel das Publikum dem rastlosen Eifer des Königl. Kapellmeisters Maria von Weber, wie viel der bethätigenden Sorgfalt der Direction selbst schuldig! Wer hätte vor zwei Jahren, als die deutsche Oper erst hier geschaffen wurde, auch nur hoffen dürfen, daß in so kurzer Frist so Vieles und so Gutes werden könnte? Zwar sind wir weit entfernt, zu glauben, daß der Plan, den Hr. v. Weber gleich Anfangs faßte, auch nur zur Hälfte schon ausgeführt sey. Der geniale, aber auch die Mittel zu seinen Zwecken wohlberechnende Mann weiß wohl am besten und zuerst selbst, was noch zu wünschen übrig sey. Aber Meister ist hier und überall, wer mit wenigen Mitteln Großes erzweckt. Ein Musikchor von der vielseitigsten Brauchbarkeit ist ohne bedeutende Kosten fest begründet, eine verhältnißmäßig große, ja überraschende Zahl älterer und neuerer Opern tüchtig einstudirt, das Talent, selbst da, wo es kaum eigentlich ein Singvermögen genannt werden mag, durch verständige Anwendung und Uebung gehoben, da, wo es noch unentwickelt schlummerte, hervorgerufen, und ein erfreuliches Zusammenwirken und Eingreifen selbst solcher Kräfte, die eine Scheidewand von der deutschen Oper zu trennen schien, mit Erfolg eingefügt worden. Nur übler Wille oder ein sich selbst beschämendes Vornehmthun könnte so seltene Anstrengungen verkennen oder übersehn wollen, und diesem hat der Mann, dessen belebender Hauch dieß alles ordnet und durchdringt, vor kurzem in der Leipziger musicalischen Zeitung nichts verschwiegen. Wir ¦ dürfen versichern, daß jene Abfertigung den Beifall aller Unbefangenen in unserm Publikum völlig hat. Die jetzt neueinstudirte und lieblich ausgeschmückte Oper hat als Cendrillon und Cendrilla seit Jahren die Hauptstädte an der Seine und Themse ergötzt und ist auf deutschen Bühnen als Aschenbrödel längst einheimisch gewesen, ja auch hier schon von einer eigenen, damals noch bestehenden Privatunternehmung auf dem Sommertheater neben dem Linkeschen Bade oft gegeben worden. Aber wie ganz anders erscheint sie nun auf unserm Hof-Theater! Ueber die Leistungen der Sänger und Sängerinnen dabei, gebührt uns kein Urtheil. Dem. Julchen Zucker wurde als Aschenbrödel bei der zweiten Vorstellung hervorgerufen. Dankbare Anerkennung hätten, nach sachverständigen Urtheil, auch Dem. Funk als Clorinde und selbst Mad. Mieksch als Thisbe verdient. Die Präcision und Rundung, womit überhaupt alle Singpartien* und Chöre bei einer Oper ausgeführt wurden, die dem französischen Character gemäß nur anmuthig aufregen, aber, wer deutsche Tiefe und Gefühl sucht, wohl nicht ganz befriedigen kann, die vollendeten Leistungen des Orchesters dürfen da, wo ein Weber einübt und dirigirt, nicht erst erwähnt werden. Hier stehe nur noch die Bemerkung, daß die lieblichen Genien- und Amorinenscherze mit und ohne Flugwerk, die wahrhaft an Feerei gränzende Entrückung der Psyche-Aschenbrödel in jenem von Liebesgöttern umschwärmten Blumenkorb, in welchen sich ihr demüthiger Sitz am Kamin urplötzlich verwandelt hat, der mehr als anständig costümirte und geordnete Turniraufzug und der am Schluß in fröhlichem Farbenreiz und mannigfaltigen Kindergruppirungen sich eröffnende Hymens-Tempel einen neuen Beweis ablegen, daß trotz aller Beschränkung und Hindernisse, welche hier nicht bloß der beengte Raum, sondern auch das achtungswürdige Gebot der Sparksamkeit solchem bloß das Auge fesselnden, nur zu oft die Kunst durch Kunstverschlingenden, Zauberspiel entgegenstellt, doch durch Decorationswesen, Maschinerie, Costüms, Gruppenstellungen, und was sonst das weite Reich der bloßen Schaulust umfaßt, unsre Bühne auch von dieser Seite einen Ehrenplatz behauptet und daß die muntere Harmonie der Anordnenden und Ausführenden alle nur nicht Unmögliches fodernde Erwartung übertrifft, oder, wie der Grieche sagt, den Obelus zur Drache erhebt und ausgiebt.
(Der Beschluß folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Aschenbrödel“ von Isouard (Teil 1 von 2). Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 25 (29. Januar 1819), Bl. 2v
Einzelstellenerläuterung
-
„… Rundung, womit überhaupt alle Singpartien“Neben den Genannten waren besetzt: G. Bergmann (Ramir), L. W. Toussaint (Alidor), J. E. Metzner (Dandini) sowie C. T. Geiling (Montefiascone); vgl. Tagebuch der deutschen Bühnen (1819, S. 69).