Carl August Böttiger: Briefauszüge aus London 1826

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Maria von Weber.

(Auszug zweier Briefe aus London vom 29. Mai und 1. Juni.)

Baron Carl Maria von Weber (so wird er stets in allen öffentlichen Blättern genannt) hatte sein großes, seit einem Monate angekündigtes Konzert den 27. Mai Abends um 8 Uhr (die Morgenkonzerts sind nur für die deos minorum gentium) in den Königl. Musiksälen, die als Argyle Rooms auch für Maskeraden und andere große Reunionen gebraucht werden, und in den Logen und freien Sitzen an 1400 Personen bequem fassen können, gegeben. Da er durch seinen Freischütz und Oberon, den er 24 Mal selbst dirigirt hat, und der schon 27 Mal in Coventgarten gespielt wurde*, so wie durch seine anspruchslose Gefälligkeit, in andern Benefizvorstellungen zu spielen, der Liebling der Künstler und des Publikums geworden ist; auch wegen der noch nicht geschlossenen Parlamentssitzungen die Modewelt von gutem Tone die Stadt noch nicht verlassen hat; endlich es auch zur Genüge bekannt geworden war, daß von der Aufführung des Oberon Charles Kemble den Vortheil, Weber aber die Arbeit hatte, und man also für diesen Meister, dem Kemble nicht einmal ein Benefiz in seinem Oberon zugestanden hatte, von Seiten des feiner fühlenden Londner Publikums besondere Aufmerksamkeit zu erwarten berechtigt war: so war es höchst auffallend, daß die Konzerte nur wenig besucht (but thinly attended) und kaum die Hälfte des großen Saals angefüllt war. ¦

Und doch gab unser Weber ein für England ganz neues, auch in Deutschland kaum gekanntes großes Tonstück, das unter dem Titel: Kampf und Sieg, nach dem Frieden in Paris, während seines damaligen Aufenthaltes in Berlin, nach einem vom Schauspieler Wohlbrück gedichteten Texte meisterhaft komponirt wurde, und nur einigemal aufgeführt worden ist. Die Schlacht von Waterloo spielt eine Rolle darin, und so ist der Gegenstand dieser Cantate gerade für ein Londner Publikum eben so anlockend als vergnügend. Ein beliebter Musiktextmacher, Hampoer Napier, hatte den engl. Text dazu bearbeitet*. Der Königl. Konzertmeister Cramer leitete die Musik, Weber dirigirte. Auch war unter allen, die sie hörten, nur Eine Stimme der höchsten Zufriedenheit. Im Morning Chronicle heißt es davon: It is impossible to withhold the highest praise to this production, combining, as it does, the wild, the pathetic and the sublime. Die ersten Talente, die berühmte Mad. Caradori, Miß Cawse und Mr. Phillips, hatten große Solos und Singpartien darin. Die Hauptsänger des Oberon, der unverwüstliche Tenor Braham, die Nachtigall Miß Paton thaten ihr Möglichstes; denn Weber hatte mit Aufopferung seiner Zeit und Gesundheit auch ihnen bei ihren Benefizvorstellungen den größten Eifer bewiesen. Miß Paton war durch 27 ununterbrochene Vorstellungen des Oberon* äußerst erschöpft, und sank wirklich bei’m Benefiz von Braham, wo sie über ihre Kräfte that, in Ohnmacht. Aber hier galt es dem großen Meister, den das ganze Personal des Theaters, wo er ¦ zunächst wirkt, Coventgarten, liebt und ehrt, wahre Achtung zu beweisen. Weber aber war durch vorausgegangene Proben und die ganze englische Lebensweise, die durchaus Nacht in Tag verkehrt, auf’s Aeußerste angegriffen. Er bot seine letzte Kraft auf, um nicht unter der hochgespannten Erwartung großer Musikkenner und mächtiger Freunde, die ihn patronisirten, zu bleiben. Allein gegen den Schluß nahm seine Entkräftung so zu, daß er sich, völlig erschöpft, auf ein Sopha werfen mußte, und von dem ihm zurauschenden Beifalle nur wenig vernehmen konnte.

Unter glücklichen öffentlichen Conjunkturen würde Weber gerade in dieser Zeit, wo London noch am vollsten und genußgierigsten ist, einen unermeßlichen Beifall und auch angemessene Belohnung gefunden haben. Jetzt schränkt sich alles ein; die Manufakturisten feiern und hungern; die Gutsherren und Landbesitzer sind in Verzweiflung über die Milderung der Korntaxe; der König ist fortdauernd leidend an seiner Gesundheit, und eilt, wenn er auf kurze Zeit von Windsor in die Stadt kommt, in sein Landhaus (cottage) zurück. Das allein ist Ursache, daß alles, was man am Hofe und Stadt high Life nennt, und was sich so gern in dem Mirror of Fashion *) abgespiegelt sieht, seine Ausgaben auf’s Nothwendigste beschränkt, und wo es sonst 10 Pfund nicht achtete, über eine halbe Guinee Rechnung hält. Wahrscheinlich würde der König, der selbst ausübender Tonkunstfreund, besonders der deutschen Musik, und unter dieser wieder Webers Tonstücke achtet, wo nicht einer Vorstellung in dem weniger als Drurylane begünstigten Coventgarden, um den Oberon zu sehen, beigewohnt, doch den gefeierten Meister zu einem Privatkonzert bei sich eingeladen haben. Jetzt hatte der König aus seiner Privatkasse an 8000 Pf. zur Unterstützung der in Erwerblosigkeit hinschmachtenden Weber in Spitalfields, Manchester u. s. w. unterzeichnet, und ob das gleich, bei den unermeßlichen Mitteln, über die er gesetzlich gebietet, a trifle, eine wahre Kleinigkeit ist: so war es doch klug, sich zurückzuziehen, was überdies auch seine Gesundheit gebieterisch heischte.

Weber hat übrigens auch durch seinen Oberon, der freilich nie ein Freischütz werden konnte noch sollte, seinen Ruhm auf’s Neue unerschütterlich begründet. Bishop’s ¦ Aladdin hat trotz der unsäglichen Pracht der Dekorationen und zauberhaftesten Maschinerie kaum 10 Mal hintereinander im rivalisierenden Drurylane aufgeführt werden können*. Allein das große Verderben ist, was das alte Klagelied schon zur Zeit des Augustus bejammerte, und Horaz ausspricht:

– – es stieg von dem Ohre die Lust unsGanz zum undankbaren Aug’ und nicht’gen Geprängedes Schauspiels,

die gaffende Schaulust allein muß gesättigt, und durch immer prächtigere, alles Vorige wo möglich überbietende, Kaleidoscope auf der Bühne hingerissen werden. Man will nur schauen. Die Theaterunternehmer müssen einen ungeheuren Aufwand für Maschinerie und Dekorationen machen (Oberon so auf die Bühne zu bringen, kostete Kemble 7000 Pf.), und darüber geht jeder Kunstgenuß verloren. Tausende drängten sich in Webers Oberon, nicht um das bezaubernde Quartett zu Anfang des zweiten Akts, oder die große Arie, welche Miß Paton als Rezia singt, zu genießen, sondern um den stupenden Effekt zu bewundern, der in der 4ten Scene des zweiten Akts *[*]), wo Oberons Diener, der Spukgeist Puk, die Elementargeister citirt, dadurch entsteht, daß Hunderte von Luft- und Berggeistern aller Art und Gestalt aus einem plötzlich berstenden Felsen hervorstürzen, und in den possirlichsten Sprüngen und Purzelbäumen sich herumtummelnd den Chor anstimmen, der stets gefallen und wiederholt werden wird. Die Neuheit dieser selbst in den Londner Bühnenwundern noch ungesehenen Scene zieht immer auf einige Zeit die Aufmerksamkeit des ganzes Saales von der meisterhaften Komposition selbst ab. Wie sollen nun dagegen bloße Konzerte und Kantaten bestehen? –

Wie Unterrichtete hier versichern, wird Weber seinen Plan, in die vorzüglichsten Städte Englands noch eine Reise zu machen, ganz aufgeben, und zu Ende des Monats von London abreisen. Er sehnt sich in seinen stillen Familienkreis nach Sachsen zurück, und wird vielleicht, ohne diesmal Paris zu berühren, auf dem kürzesten Wege nach Dresden zurückkehren, wo er noch vor Ende Juni’s eintreffen könnte. Sein treuer Reisegefährte, der große ¦ Flötist Fürstenau, wird mit ihm zurückkommen. Auch er empfand die jetzige Verstimmung des Londner Publikums, und obgleich seiner Virtuosität Jeder Gerechtigkeit widerfahren ließ, und er in mehrern Musikvereinen und Konzerten vollkommen anerkannt wurde, fand er sich doch wohl auch in seinen gerechten Erwartungen getäuscht. Es soll jetzt Niemand, der nicht ein wanderndes Skelet oder ein Tausendkünstler ganz eigner Art ist, nach England auf Spekulation gehn! –

[Originale Fußnoten]

  • *) So heißt in der vormals, als sie noch Parry redigirte, allgelesenen, jetzt den Times weit nachstehenden, Zeitschrift der Klatschwinkel, gewöhnlich auf der 7. oder 8. Spalte, worin alle vornehme Routs, Bälle, Diners, Besuche auf dem Lande, und was dem gossiping scandal sonst noch Stoff gibt, mit voller Namennennung zu Protokoll gebracht werden. Anm. d. Eins.
  • *[*]) S. die vor Kurzem erschienene, von Theodor Hell in steter Berathung mit Maria Weber, seinem Freunde, dem engl. Texte untergelegte metrische Uebersetzung dieser Scene im Oberon, König der Elfen, romantische Feenoper in 3 Aufzügen, nach dem englischen Originale von Planché für die deutsche Bühne übersetzt von Theodor Hell, Dresden, Arnold. 108 S. in 12. Die hier angezogene Stelle steht S. 52f. Anm. d. Eins.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 26, Nr. 117 (19. Juni 1826), Sp. 937–941

Textkonstitution

Einzelstellenerläuterung

  • 27. Mairecte „ 26. Mai“.
  • „… Mal in Coventgarten gespielt wurde“Weber leitete selbst 12 Vorstellungen (12., 13., 14., 15., 17., 18., 19., 20., 21., 22., 24., 25. April). Danach gab es laut Anzeigen im Theatrical Observer bis zum Tag des Konzerts 15 weitere Aufführungen (27., 28., 29. April, 1., 2., 3., 4., 5., 6., 8., 9., 11., 16., 17., 19. Mai).
  • Hampoerrecte „Hampden“.
  • „… den engl. Text dazu bearbeitet“Hier irrt Böttiger; Weber führte am 26. Mai 1826 in London seine Jubel-Kantate (nicht die Kantate Kampf und Sieg) in einer Textbearbeitung von Hampden Napier unter dem Titel „The Festival of Peace“ auf. Zu Aufführungen von Kampf und Sieg kam es erst wieder nach Webers Tod am 12., 13. und 19. Juni 1826 im Drury Lane Theatre, wo das Werk bereits am 2. und 16. März 1825 gegeben worden war.
  • „… 27 ununterbrochene Vorstellungen des Oberon“Der Oberon wurde bis Ende Mai sogar 29mal gegeben: vom 12. April bis 9. Mai täglich (außer an den spielfreien Sonntagen = 24 Aufführungen); es folgten Einzelvorstellungen am 11., 16., 17., 19. und 27. Mai 1826.
  • „… rivalisierenden Drurylane aufgeführt werden können“Aladdin wurde im Drury Lane Theatre am 29. April, 1., 2., 4., 5., 9., 12., 20., 23. und 30. Mai 1826 aufgeführt (im Juni nicht mehr); die Titelpartie sang Catherine Stephens (am 30. Mai zu ihrem Benefiz); vgl. Theatrical Observer, Nr. 1372 (29. April 1826) ff. ; Rezensionen ebd. u. a. in Nr. 1373 (1. Mai 1826), 1374 (2. Mai 1826).

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