Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Leuchtthurm“ von Ernst von Houwald am 24. April 1820 (Teil 3 von 3)

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Der Leuchtturm.

(Beschluß.)

Das war keine bloß klingende Declamation, als sie mit den „wachet auf ihr Millionen!“ als Pristerin in Gottes großem Dome zu stehen schien. Der lauteste Beifall brach von allen Seiten hervor. In der Unterredung mit Walther konnte freilich das Erglühen der Rose im ersten Hinsinken an des Geliebten Brust noch hingebender dargestellt werden. Es verschwindet ja der Liebenden – darauf legt es der Dichter selbst an – so Hören als Sehen. Indeß hat zarte Sitte ihr Recht, welches die mäßigende Grazie auch auf der Bühne nie überschreitet. Vortrefflich gelang ihr im zweiten Akte die malerische Scene auf dem Felsenvorsprunge. Durch den mannigfaltigen Wechsel des leidenschaftlichen Ausdrucks, wo sie bald in bangender Sorge um den Geliebten vorstrebt, sich bald an den Vater (der wohl hier rascher eingreifen mußte) furchtsam oder liebkosend aufschmiegt, macht sie uns vergessen, daß diese Scene, die vom Dichter allerdings auf die Wahrscheinlichkeit der indeß vor sich gehenden Rettung berechnet wurde, bei allen Schönheiten im Einzelnen doch überfließt. Sie versteht es zu gruppiren. Wie ganz anders war wieder ihre Stellung, als sie zum zweitenmale mit Walther auf der Felsenspitze steht. Selbst ihr Costum war wohl erdacht, als Schiffermädchen in blaugestreftem weißen Gewande. So tritt sie als eine flinke Ruderlenkerin, keck im Erklimmen der Felsen, zierlich und doch ihrer Lebensweise gemäß, hervor. Diese Angemessenheit wird vielleicht mancher in Herrn Julius, der die Rolle Walthers spielte, und in einem Frack nach neuem Schnitt auftrat, vermissen wollen. Vielleicht wäre ohne die Erwähnung des freien Amerika’s alles in eine frühere Vorzeit zurückzuführen gewesen. Doch dieß bleibt Nebensache. Wie wahr erzählte er Dorotheen seine Abkunft und Schicksale. Da war nicht die geringste Zurüstung. Alles scheint nur dem Drange des Augenblicks zu entquellen. Wie oft wechselt hier der Ton nach der vorherrschenden Empfindung. Man sah es, wie die, anfangs wohl nur rhetorische, Declamation zum gefühltesten ausdrucke schmolz! – Seit langer Zeit hat kein Stück so stark zugleich auf alle Classen der Zuschauer gewirkt. Die höchste Stille bewieß die gespannteste Aufmerksamkeit. – Ein mehrere Minuten fortdauerndes Klatschen und Rufen machte am Ende der beklommenen Brust Luft. Es giebt aber eine innere Stimme, die nicht durch Zunge noch Lippen gebildet wird. Mit dieser brachte jeder dem lieben Dichter, der uns durch seine nächsten Umgebungen in seiner Loge den zärtlichsten Freund und Familienvater darstellte, ein inneres: Lebe! Dichte!

Nach einem solchen Stücke ist die Zugabe schwer zu bestimmen. Viele meinten: „hier müsste die Tonkust ihr Bestes thun.“ Eine Idylle, wie Kind’s Waldbrunnen, hätte vielleicht am beruhigensten gewirkt. Wenn nur nicht so manches Andere in der Scenerei zu berücksichtigen wäre! – Man hatte Kotzebue’s Eifersüchtige Frau zum Nachspiele gewählt, worin Mad. Werdy auch diesmal als Frau v. Uhlen die ganze Tactik der lächerlichsten Eifersucht-Paroxismen sehr ergötzlich darstellte, Hr. Werdy aber als Hans v. Bosen ¦ die derbe, ehrliche Landjunker-Natur in kräftiger, nicht geleckter Holzschnitt-Manier gab. Den gequälten Ehemann gab uns als Debüt-Rolle Herr Baudius. Was wir schon früher an ihm belobten, festes Durchführen des Charakters in der Art, wie er einmal ergriffen wurde, und verständiger Gebrauch der ihm von der Natur verliehenen Mittel, machten auch heute sein Spiel lobenswürdig. Ueber das Zuviel oder Zuwenig im Einzelnen wollen wir nicht rechten. Wir sahen in seinem Anstande den Regierungsrath zu wenig. Gut ausgedacht und mit Beifall aufgenommen war der Einfall mit dem in’s Sacktuch eingewickelten Hute, als er seinem Hausdrachen davon laufen will. Aber da, wo Fräulein Henriette eingetreten ist, war doch des Gukkens nach der Thüre, die zum Zimmer seiner Frau führt, etwas zu viel. Denn so wird es unbegreiflich, wie ihn die Frau dennoch beschleichen kann. Mit einem Anhorchen und Gucken durch’s Schlüsselloch wäre sogleich vieles abgemacht worden.

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Chronik der Königlichen Schaubühne zu Dresden:

Der Leuchtthurm, Beschluß, gezeichnet: Böttiger

Nachspiel: Kotzebues Eifersüchtige Frau

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Aida Amiryan-Stein

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 4, Nr. 107 (5. Mai 1820), Bl. 2v

        XML

        Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
        so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.