Reaktion der Chézy auf Euryanthe-Rezension
Auch ein Wort über die „Euryanthe,“ von der Dichterinn in Beziehung auf die mit Th. unterschriebene Beurtheilung in Nr. 131 dieser Zeitschrift.
Gern werde ich immer, sowohl der übereilten, als einer verständigen Kritik alle Flecken eines Werkchens Preis geben, bey welchem, wie billig bey jeder Oper, die Mängel einzig und allein dem Dichter zur Last fallen, die Schönheiten aber blos, als welche der Composition gepriesen werden; nur einen Irrthum des Hrn. Rezensenten muß ich berichtigen, den nähmlich, daß er glaubt, die wenigen Vorzüge, die er an meiner Dichtung zu entdecken vermeint, haben den Compositeur zur Wahl des Buches, vor andern, ihm zu Geboth stehenden Texten bestimmt. Seit 25 Jahren meiner poetischen Laufbahn bin ich noch nie so glücklich gewesen, Muße zu finden, irgend etwas auf gut Glück hin zu dichten, was es sey, und hätte ich sie, ich würde sie nicht zu einer Oper verwenden! Zum Besten der deutschen Oper wollt’ ich es unsern deutschen Meistern wünschen, daß Dichter (ich meine ächte Dichter) ihnen Bücher zur beliebigen Auswahl zu schicken geneigt wären, vielleicht würde Weber dann zufällig ein besseres Buch gefunden haben, als ich eigens für ihn gedichtet. Auf seine Bitte: an ihn zu denken, wenn ich einen herrlichen Stoff fände, theilte ich ihm, im Oktober 1821, unter andern Planen auch den zur „Euryanthe“ mit, nach der schönen altfranzösischen Novelle, welche ich 1804 übersetzt, und welche Friedrich von Schlegel würdig hielt, unter seinem Nahmen in seiner "Sammlung romantischer Dichtungen des Mittelalters" herauszugeben. Weber war entzückt und hingerissen von dem Stoff, der seinem Bewunderer so wenig zusagt. Ich legte ihm einen höchst einfachen und klaren Plan vor, den er zum Theil gut fand, aber gleich in der Catastrophe durch einen Scheintod der Euryanthe, von welchem es mir nie gelungen ist, ihn abzubringen, zu verzieren bemüht war. Ein bekannter Dichter, Weber’s Freund, dem er die ersten Entwürfe mittheilte, fand die einfache Erwähnung eines Geheimnisses, das Euryanthe enthüllte, und dadurch den Grund zum Verdachte gegen sich gab, einer Zeitungsnachricht ähnlich, dies Geheimniß und seine Lösung sollte mit in ihr Schicksal verflochten werden, und so entstand endlich das unverständliche Recitativ, das mit Recht allgemein getadelt wird. Die achte Umarbeitung in zwey Akten mit einer mild und beruhigend auflösenden Catastrophe, die im März 1822 in Wien recipirt war, behagte dem Compositeur im May desselben Jahres nicht mehr, die nun erschienene Umarbeitung in drey Akten ¦ ist die Eilfte; erst in Berlin, Nov. 1822, faßte ich die Idee zu dem innern Gottesgericht des strafenden Gewissens, das Eglantine unwiderstehlich antreibt, selbst ihre Frevel zu enthüllen, und Weber schrieb nun: „Herzinnigen Dank, verehrte Freundinn, für das Treffliche, was Sie mir sandten, so wird die Sache, wie sie seyn muß, und besonders Eglantine gewinnt unendlich an Wahrheit, Interesse und Neuheit – das Maylied ist ein wahres Mayblümchen, der Himmel schenke mir eine seiner würdige Weise“ u.s.w. Die endliche Gestaltung der Catastrophe und die Umarbeitung zu einem dritten Akte fand erst nach meiner Rückkehr von Berlin im Frühling l. J. aus unzähligen verschiedenen Entwürfen statt, und zwar ganz nach den Wünschen und zum Theil nach eigner Idee des Compositeurs, dichtete ich sie, gleichsam nur als Unterlage zur endlich gereiften und festgestellten musikalischen Idee, wobey ich mich mit Hintansetzung aller Eigenthümlichkeit bestrebte, seinem Wunsche Genüge zu leisten. Erst Mitte dieses Sommers wurde ich ganz mit dieser Arbeit fertig, bey der fünf Pfund Concepte beweisen, daß ich es mir ernstlich angelegen seyn ließ, eine deutsche Oper zu schreiben. Dieser Anstrengung allein muß ich es beymessen, daß mein Werk mit allen seinen Mängeln, von denen Recensent großmüthig meist nur die unwesentlichen berührt, die unschuldige Ursache wurde, daß eine Composition geschrieben werden konnte, die Recensent als ein so vollendetes Meisterwerk preiset; unter allen, die für vaterländische Musik glühn, und durch Poesie für vaterländischen Ruhm gewirket, wünscht Niemand so innig als ich, daß gewichtige Stimmen dies Urtheil bestätigen mögen.
Wien, den 3. November 1823.
Helmina von Chezy,
geborne Freyinn von Klencke.
Apparat
Zusammenfassung
Chezy verteidigt ihr Textbuch gegenüber der Kritik des Rezensenten (Nr. 131, 1. November 1823, S. 523f. ) und betont, dass die Arbeit am Text im Einvernehmen mit Weber erfolgt sei
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Solveig Schreiter
Überlieferung
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Textzeuge: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 16, Nr. 134 (8. November 1823), S. 536