Aufführungsbesprechung der Oper Euryanthe von Carl Maria von Weber in Leipzig am 20. Mai 1825 (Teil 1/3)

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Am 20. Mai wurde uns endlich der hohe Genuß, Webers Euryanthe zu hören. Der Klavier-Auszug hatte uns fürchten lassen, wir würden bei vielem Genialem und Trefflichen zugleich auf manches Bizarre und Gesuchte stoßen, aber wie anders fanden wir das in der Ausführung! Hier, wo im Zusammenklang der Saiten- und Blasinstrumente die Zeichnung des großen Tonbildes erst Farbe und Leben gewann, erschien keine Note bedeutungslos, und was uns im Tongerippe des Klavier-Auszuges bizarr vorkam, war hier in melodischer und harmonischer Beziehung ein charakteristischer Theil des genialen Ganzen. Wir fühlten von neuem, Deutschland könne sich glücklich preisen, einen Tonkünstler wie Karl Maria v. Weber zu besitzen. Wenn auch die Euryanthe das Volksthümliche des Freischützen nicht aufweisen kann, so dürfte sie sich doch an Tiefe und Gehalt mit ihm messen, ja vielleicht an dramatischem Werthe im musikalischen Theile ihn noch übertreffen. Die Ouvertüre hat viel Schönes, vorzüglich kunstreiche kontrapunktatorische Sätze, doch dünkt sie uns nicht das Schönste der Oper. Die Thränodie, welche die Allegro’s trennt, ist uns für eine Introduktion zu lang vorgekommen. Wie herrlich dringt aber der melodische Doppel-Chor in’s Gehör, womit der erste Akt beginnt! Wie gefühlvoll und lieblich tönt das Minnelied: „Unter blüh’nden Mandelbäumen.“ Dann wie dramatisch die mit den Chören untermischten Recitative zwischen Lysiart, Adolar und dem König, ¦ die mit der herrlichen Stelle des Adolar schließen: „Ich bau’ auf Gott und meine Euryanth’!“ Bei dieser im Gesang oft wiederholten Stelle war uns der Apostroph ein wenig störend. Die Dichterin, die den Reim auf and zu lieben scheint, hat ihn oft und namentlich im Schlußchor des 3ten Aktes wieder gebraucht. Wir können, bei aller Anerkennung ihrer Verdienste wegen Wahl und zum Theil auch wegen Behandlung eines für eine romantische Oper gewiß recht passenden Stoffes, nicht umhin, ihr zuzurufen:

Auf Unterpfand und Hand Zu reimen Euryanth’ Madam, das ist ein Uebelstand, Von Müllner Nürnberger Häkchen* genannt.

Die Cavatine: „Glöcklein im Thal,“ ist eine Melodie, welche ergreifen wird, so lange noch deutsche Herzen schlagen. Dlle. Sonntag trug sie höchst seelenvoll vor. Die darauf folgenden Gesang-Dialoge zwischen Euryanthe und Eglantine hätte die Dichterin kürzer fassen sollen. Das Orakel von Emma’s Geist, der nicht eher Ruhe findet, als bis den gifterfüllten Ring, aus welchem die Verstorbene aus Verzweiflung den Tod trank, der Unschuld Thräne netzt im höchsten Leid, und Treu’ dem Mörder Rettung beut für Mord, ist eine Erfindung der Frau v. Chezy, die die einfach-liebliche Fabel ganz verwirrt. Warum ließ es die Dichterin nicht bei dem Veilchenmal der Euryanthe, das von Eglantinen dem Lysiart verrathen wird? Es brauchte ja eben nicht, wie in der Novelle, unter der linken Brust sich zu befindenT.

Ein herrliches Duett schließt die Scene zwischen Euryanthen und Eglantinen, worauf letztere eine Arie singt, in welcher sich die höchste Leidenschaft malt. – Dann folgt das meisterhafte Finale, reich an melodischen mit Tanz vermischten Chören. – In dem Schlußchore: „Fröhliche Klänge,“ unterbrochen durch das Quartett: „Sehnen, Verlangen,“ hat der Componist italiänischen Wohllaut mit deutscher Harmonie vermählt. Wir fühlten uns bei der Lieblichkeit der Passagen, die Dlle. Sonntag mit unendlichem Zauber vortrug, an Rossini’s glanzvolle Chöre erinnert, doch erschien uns sein Genius hier mit deutschem Eichenlaube bekränzt.

Der zweite Akt beginnt mit Recitativ und Arie des Lysiart. Sie drückt die Qual sehnsüchtiger, verschmähter Liebe und deren Uebergang in Haß und Rache, in meisterhaften Klängen aus. An sie reihen sich Recitativ der Eglantine und ihr Duett mit Lysiart, das mit der heftigsten Brandung empörter Tonwellen schließt.

Nun leiten Flöten, Oboen und Fagotte zu der sanften Cavatine des Adolar ein: „Wehen mir Lüfte zu,“ sic welche, was Deklamation und Innigkeit betrifft, nichts zu wünschen übrig läßt, worauf das Duett zwischen Euryanthe und Adolar: „Hin nimm die Seele mein,“ in den liebeathmendsten Klängen zum Herzen tönt. Das nun beginnende Finale enthält so vieles Schöne, daß es unsere Feder vergebens zu schildern versuchen würde. Man erwarte nur hier keine in’s Ohr fallenden Melodieen, denn es galt, die traurige Lage zu schildern, in welcher die arme, gekränkte, von Allen verachtete, und selbst von dem Geliebten verstoßene Euryanthe sich befindet.

(Die Fortsetzung folgt.)

Apparat

Generalvermerk

Zur Reaktion Chézys auf diese Besprechung in Nr. 151–152 vgl. das Manuskript einer geplanten Veröffentlichung

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Bandur, Markus

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 9, Nr. 151 (25. Juni 1825), S. 604

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