Friedrich Wilhelm Jähns an Ida Jähns in Berlin
Dresden, zwischen Donnerstag, 9. und Dienstag, 14. August 1838

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[…] Ich ging immer an der Elbe entlang, so daß die ganze Pillnitzer und Loschwitzer Bergreihe mit den Hunderten von Häusern und Villen mir gerade gegenüber lag; neben mir der glänzende Strom, darüber hinaus das sanft ansteigende Land im schönsten Sonnenlichte, hinter mir Dresden in geheimnisvollen Duft gehüllt. So kam ich an die köstlichen Wiesen, an Körners und Schillers Haus, und keinen Schritt tat ich, ohne Deiner zu gedenken, meine Ida! Ach, wenn es auch manchmal infolge der Erbärmlichkeiten, mit denen unser Leben gleich einem kritisch zu lesenden Buche durchschossen ist, scheinen sollte, als habe ich über die schlechten Bemerkungen, über die leeren Seiten oder über die unverständliche, unlesbare Handschrift eines oder des andern Hineinschmierens den Haupttext vergessen, so weißt Du das doch besser; Du weißt, daß Anfang, Mitte und Ende des Buches Deinen Namen trägt […]

In Loschwitz wurde ich, wie immer, von Max und Alex mit Salven empfangen, und dann gings gleich zu Tisch. Wir waren alle heiter und es wurde viel Freundliches gesprochen. Die Weber ist doch eine sehr geistreiche Frau und namentlich als Erzählerin höchst anziehend. Jedem Dinge weiß sie eine reizende Pointe abzugewinnen, und wenns auch nur durch den Ton wäre, in dem sie etwas sagt – so ist es doch wunderhübsch und klingt so herzlich. Als wir abgegessen hatten, setzten wir uns auf den Rasen; die Weber lag im Grase, und nun plauderten wir wieder viel Liebes. Namentlich wurde Euryanthe durchgenommen. […] Dann begleitete ich Max auf sein Zimmer, sprach mit ihm über sein Leben und entnahm doch aus manchem, daß auch er mir wohl herzlicher ergeben ist als ich glaubte. An Alex hast Du noch immer den alten Verehrer; er hat Dich recht gut aus der Erinnerung gezeichnet und bewahrt Deine Briefe wie ein Heiligtum in der blauen Tasche*.

Gegen Abend stiegen die Knaben mit mir zu Brauer hinauf, der in der Nähe, nur noch höher als die Weber wohnt. Wir hatten einen schönen Blick von einer Höhe über seinem Hause, von der sogenannten Kuhkanzel* aus und stiegen alle zusammen dann in sein Zimmer hinab. Hier machte ich nach 4 ½ Tag Ruhe zum erstenmal wieder Musik; meine Stimme klang wie Gold, und jeder Ton des Instruments hob mich; der Freischütz lag da und machte uns so lebendig, daß wir die Weber heraufholten. – Und nun sang ich vieles; zuerst die Introduktion, dann Maxens Arie, dann den Burschen, dann Agathens Arie, dann die Wolke und zuletzt wurden alle schöne Stellen noch besprochen und hervorgezogen. – Die Weber sang immer mit. – Das war eine schöne, schöne Stunde! – Nur eine kleine Wendung des Kopfes von dem vor mir liegenden Freischütz, und die Frau und die Kinder des Komponisten saßen mir zur Seite, noch eine wenig mehr und das ganze wunderschöne Tal lag mit der sonnenbeglänzten Elbe zu den Füßen des Berges, der sich noch hoch über unsere Häupter erhob. Wie damals flimmerte in der Ferne die Elbe durch die Dresdener Brückenbögen.

Nach ungefähr einer guten Stunde stiegen wir alle wieder hinab, währenddes ich mit der Weber viel Inniges sprach. Sie war ganz liebenswürdig; der Gedanke an ihn und seine Musik haben auch die leiseste Spur von der, ich möchte sagen, geistreichen Härte, hinweggenommen, die mir oft eine gewisse Scheu aufgelegt hat. Ich fühle mich frei, heiter; ich lebe; nichts fehlt mir als Du! – Wohl weiß ich, es wartet der alte Gang der Dinge auf mich; aber wieviel drückender, peinvoller würde mir das unveränderte Fortleben in ihm sein ohne diese Unterbrechung. Allen Lebenstrieben gibt die Veränderung neue Schwungkraft, und in der Stille der Einsamkeit steigt Dein geliebtes Bild in aller Frische und von allen lieben Erinnerungen freundlich umglänzt hell in mir auf. […]

Im Hosterwitzer Weberhause traf ich den Besitzer, den alten Felsner, der diesmal sehr gesprächig war. Er erzählte folgendes: Den Brunnen zwischen Haus und Laube hat Weber, als er hinzog, machen lassen, ebenso die Laube selbst, den Pferdestall und den Wagenschuppen. Tagelang saß er schreibend in der Laube, zuweilen bis gegen 11 Uhr abends, und der Blick von dort war ihm so lieb, dass er einen der steinernen Pfeiler wegnehmen und durch eine Eisenstange ersetzen wollte, um noch freier ausschauen zu können. Die Laube war ganz und gar mit Blumen umgeben, und nur wenn Gesellschaft kam und sie sich zu eng erwies, saß man unter dem Baum am Brunnen. Nicht genug konnte Felsner Webers Einfachheit und Güte rühmen. Oft habe er freilich schnell aufgebraust; gleich aber sei er wieder gut gewesen. Wenn Felsners Junge, der damals die Geige spielen lernte, falsch gespielt habe oder das Instrument verstimmt gewesen sei, da habe er allerdings manchmal bös geschimpft; aber oft sei er auch geduldig hinaufgegangen und habe die Violine selbst gestimmt. Gern habe Carl Maria im Schatten eines Baumes lang ausgestreckt im Rasen gelegen, die Gattin neben ihm, und da sei ihm sein häusliches Glück vom Gesicht zu lesen gewesen. In dem Jahre, als er starb, hatte er das Haus kaufen wollen. […]

Apparat

Zusammenfassung

Bericht von der Reise nach Dresden (ab 3. August 1838), über die Wiederbegegnung mit der Familie von Weber und Felsners Erinnerungen an Weber

Incipit

… Ich ging immer an der Elbe entlang

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler

Überlieferung

  • Textzeuge: Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 151–153

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Heiligtum in der blauen Tasche“Am 7. Juli 1836 waren Friedrich Wilhelm und Ida Jähns das erstemal gemeinsam nach Dresden (und von dort weiter nach Teplitz und Prag) gereist; auf der Hin- wie der Rückreise (9. August) hatten sie intensiven Kontakt zur Familie von Weber; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 132–134.
    • „… Hause, von der sogenannten Kuhkanzel“Aussichtspunkt unweit des Schlosses Wachwitz.

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