Aufführungsbesprechung Leipzig: Oberon von Carl Maria von Weber am 24. Dezember 1826 (Teil 4 von 4)
Aus Leipzig.
(Beschluss.)
In der vorletzten Scene schwebt Oberon, unter meisterhafter Begleitung des Tongewebes, in den Wolken, Abschied nehmend, aufwärts. Das Reich des Phantastischen ist hier also schön und kräftig abgeschlossen; der nachfolgende Auftritt springt demnach in die Wirklichkeit über; und soll diese im Verhältniß zu jenem nicht verlieren, muß sie natürlich ein gleichmäßiges Aufgebot von Bedeutendheit und Schmuck zu Ueberraschungmitteln haben; aber nicht so hier: Einige Ritter und Pagen treten in den altgothischen Saal, während dem der Tonsetzer meisterhaft und unerreichbar, wie immer, die Musik alsbald in die nöthige, ich möchte sagen deutsche Charakteristik, in einen ergreifenden Marsch hat überspringen lassen, einige Trompetenstöße – Kaiser Karl besteigt den Thron – Chor der Ritter (bloße Männerstimmen) Hüon und Rezia kommen, knieen nieder an des Thrones Stufen. Hüon allein singt: „Sieh’, Herr! seinem Eid getreu &c.“ – der Chor der Ritter fällt ein, Kaiser Carl spricht kein Wort, legt bloß die Hände der Liebenden in einander und so fällt der Vorhang. Einzig durch die Musik gehoben ist dieser Auftritt: dann Carls Stummbleiben, Rezia’s Schweigen, die geringen Mittel des Männerchores: mit einem Worte: der Dichter hat hier nichts gethan, um der großen Handlung auch einen großen entsprechenden Schlußstein beizulegen. Einzig der Componist hat hier gewirkt, und weil hier offenbar zu sehen ist, daß diesem allein überlassen ward, die Nacktheit mit seinen reichen Mitteln zu decken, so macht dieß nach all den Scenen von Pracht, Zauberei, Ueberraschung &c. für die Handlung einen unvortheilhaften Eindruck. Meines Dafürhaltens sollte Planché die vorletzte Scene mit der letzten verschmelzen. Oberon mit seinem Feenchore schwebt auf, unten wird Carl in Majestät und Pracht auf seinem Throne sitzend, sichtbar – großer Chor der Ritter, eingeflochtener Zweigesang Oberons‡ und der Rezia, die an die Stufen des Thrones knieen, gedämpft dazwischen der Doppelchor der in den Wolken schwebenden Elfen und Oberons‡, und so endet die Handlung, das Zauberhafte, Phantastische mit dem Prachtvollen der Wirklichkeit in einander fließend, zum imposant sich abschließenden Gesammteindrucke. Und so wäre denn die Schlußscene nicht abgerissen. Indessen kann ich mich auch irren, und will erst die Abänderung erwarten, welche, wie ich höre, von Seiten der Direction bei den nächsten Vorstellungen dießfalls getroffen werden soll*.
Dem. Canzi, als Rezia, sang ganz vortrefflich, im Spiele aber griff sie wirklich störend in das Heiligthum des Ganzen. Sie sprach mit einer solchen Gefühl- und Theilnamlosigkeit, ja mit einer solchen Jämmerlichkeit, daß besonders die Art, wie sie am Scheiterhaufen, die Worte: „Komm, mein Geliebter, und sterbe mit mir,“ sprach, lautes Gelächter erregte. Und das ist eine Entheiligung unsers hohen Festes gewesen, das verdient eine ernste Rüge, um so mehr, da es bloß die leidige Bequemlichkeit, sich nicht über den Alltagston erheben zu wollen, zur Quelle hat. Ich werde von nun an Dem. Canzi in diesem Punkte immer scharf beurtheilen, weil ich überzeugt bin, daß dieses nicht in der Beschränktheit ihres Gefühles liegt, weil sie zu andern Zeiten mit Feuer und Leben spie¦len kann. – Dem. Erhardt, als Puck, so wie Mad. Devrient, als Fatime, sind aller Auszeichnung werth; auch Herr Fischer (Scherasmin) wäre durchaus zu loben, hätte er weniger „Spaß gemacht.“ – In ihrer kleinen Parthie war Mad. Miedke als Roschana sehr ausgezeichnet. Eben so wirkte Herr Stein als Emir, und Dem. Lauber als Droll, in ihrer schöngesprochenen Erzählung, lobenswerth mit, und es gab auch von den übrigen Seiten, mit Ausnahme des Gerügten, keinen argen Verstoß. Das Orchester war recht brav, eben so flink, rasch und ohne Störung ging die Maschinerie.
Und so danken wir denn unserer Direction diesen herrlichen, außerordentlichen Genuß in einer Ausstattung, deren sich unser Theater vor keinem andern deutschen zu schämen hat, und Leipzig kann darauf stolz seyn, das letzte Meisterstück unsers vaterländischen, unsers großen deutschen Tondichters vor allen andern Theatern, denen zum Theil reichere Mittel zu Gebote stehen, mit angemessener Würde und Pracht zuerst auf die Bühne gebracht zu haben und die erste Heroldin von der Größe dieser Composition auf dem Continente zu seyn.
Ihm aber, der alles dieses geschaffen, der dieß Feuer entzündet, unter dessen belebender Kraft sich das Uebrige veranschaulichte, Ihm, der in seiner stillen Gruft, weit, dort über dem Meere im fremden Boden, es nicht ahnt, nicht fühlt, wie seine Brüder, seine Stammverwandten in der Herrlichkeit seiner Schöpfungen jauchzen, ihm, der, ach! für ewig stumm und verschlossen, kein Zeuge seines heimischen Triumphes seyn, der sich selbst nicht hier entzücken konnte an der Hoheit seines Triumphes – Ihm unsern heiligsten, reinsten Dank! Sein Andenken lebt ewig, Sein Name tönt ewig unter uns; denn Er hat uns Lieder gegeben, die ewig von ihm zeugen! –
Ueber die nächstfolgenden Darstellungen, über noch so manches Herrliche dieser Tage des ehesten ein Mehreres von Ihrem
L. Ottwald.Apparat
Zusammenfassung
Teil 4 von 4
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Bartlitz, Eveline
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 11, Nr. 20 (23. Januar 1827), S. 80