Rezension des Librettos der Oper Euryanthe von Helmina von Chézy

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Wir gehen auf eine der bedeutendsten Erscheinungen, auf das k. k. Hof-Opern-Theater, über. Dieß ist die Oper Euryanthe, von Frau Helmine von Chezy, Musik von C. M. v. Weber. Wir werden ohnedieß wenig Gelegenheit haben, uns im Verlaufe dieser Blätter, welche bloß die auf den Wienerbühnen erscheinenden Dichtungen zu würdigen bestimmt sind, mit dem k. k. Hof-Opern-Theater zu beschäftigen. Seitdem die große italienische Oper das Hauptspektakel dieser Bühne geworden, seit dieser Zeit verschwinden natürlich die poetischen Erzeugnisse, welche hier zum Vorschein kommen, in Nichts, und weichen den Entwicklungen der Kunstansichten über den musikalischen Theil, welcher sehr reichen Stoff liefert, aber ganz außer dem Bereich dieser unserer Aufsätze liegt, welche sich, wie gesagt, bloß auf die Poesie beschränken. Nun ist aber bekanntlich in den Libretti’s der italienischen Opere serie blutwenig Poesie zu finden. Was in aller Welt soll man von Schöpfungen sagen, von denen man im voraus weiß, im ersten Aufzug kommt der primo Uomo aus einem Feldzuge zurück, und singt eine unendliche Arie von seinen Thaten. Im zweyten sitzt er oder die prima Donna in einem Kerker, und singt eine dito. Mittelst verschiedener Verwicklungen wird die verhaftete Person im Triumphe befreyt, und die Sache hat ein Ende. Wenn nun vollends, wie z. B. in Zelmira, das griechische Volk mit Janitscharen-Musik erscheint, wenn die ganze Bande in der Tracht der alten Hellenen, mit türkischer Trommel und Becken, mit Serpent und Piccolo zum Vorschein kommt, um ihrem befreyten König noch ein wenig vorzutrommeln, was bleibt da der Kritik noch zu sagen übrig?

Um so mehr zog uns unter diesen Umständen die Erscheinung einer echt deutschen Oper, wo auch der Dichtkunst ihr Recht widerfährt, durch ihren holden Zauber den schönsten Verein der Kunst zu bilden, an. Das Buch der genannten Oper, Werk einer geschätzten deutschen Schriftstellerinn, nahm unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Aber – wir müssen gerecht seyn, sey es auch auf Kosten der Galanterie gegen eine Dame – wir fanden unsere Erwartungen nicht befriedigt. Wir wollen vorher eine Übersicht des Inhaltes geben, und dann unsere Bemerkungen über die Bearbeitung des Stoffes darauf basiren.

Die Geschichte der schönen Euryanthe von Savoyen ward schon im Jahre 1804 aus einem Manuscripte der Pariser Bibliothek übersetzt, und in Schlegels Dichtungen aus dem Mittelalter in das Publicum eingeführt. Die Dichterinn erzählt in einer in Nro. 134 der hiesigen Theaterzeitung eingerückten Entgegnung über einige in derselben Zeitschrift enthaltenen Angriffe:* Weber selbst habe diesen Stoff, den sie ihm nebst einigen anderm zur Durchsicht übersandte, für seine Oper gewählt, und denselben außerordentlich schön gefunden. Das mag seyn, indessen ist des großen Tonkünstlers Wahl in solchen Dingen auch nicht als Authorität anzuführen. Mag er immerhin diesen Stoff gewählt haben, daß er übel wählte, hat der Erfolg bewiesen. Übrigens erzählt Frau von Chezy, sie habe den Stoff eilf Mahl bearbeitet, bis er dem Meister anständig gewesen sey! Diese eilfte Bearbeitung ist es nun, welche vor uns ¦ liegt, und nach welcher wir unsern Lesern den Inhalt der Oper mittheilenT.

Die Zeit der Handlung ist das zwölfte Jahrhundert. Wir erblicken beym Beginne der Oper, König Ludwig den VI., umgeben von Frauen und Rittern, ein fröhliches Fest feyernd. Gesänge zum Lob des Friedens und der Schönheit erschallen. Adolar, Graf zu Nevers und Rethel, preiset in einem Minnelied die Treue seiner Herrinn und Braut: Euryanthe von Savoyen. Am Ende des Liedes wird der ritterliche Troubadour bekränzt. Lysiart Graf von Forest, ebenfalls für Euryanthen entglüht, sucht durch Hohn Adolarn zu reitzen. Übermüthig behauptet er, es gäbe keine Weibertreue. Die Damen entfernen sich alle entrüstet über dieses Wort, der Streit der Männer wird lebhafter, und schließt endlich damit, daß Lysiart sich erbiethet, Euryanthens Herz von Adolar abzuwenden, und es für sich zu gewinnen. Adolar geht die Wette ein, und die beyden Ritter setzen ihre sämmtlichen Güter zum Preis der Wette ein. Die Scene kehrt sich nun in den Burggarten zu Nevers. Ein Gruftgewölbe zeigt sich zur Seite. Euryanthe und Eglantine von Puyset, die Tochter eines dem Gesetze verfallenen Empörers, nun Gesellschafterinn Euryanthens, aber heimlich sie hassend, weil ebenfalls Liebe zu Adolar ihr Herz erfüllt, zeigen sich. Eglantine dringt mit heuchlerischer Freundschaft in Euryanthen, ihr zu gestehen, warum Trauer ihren Blick umschleyere, da doch ihr Geliebter siegreich aus dem Kampfe zurückgekehrt sey, warum sie allnächtlich nach dem Gruftgewölbe walle, und verstört zurück kehre? Euryanthe gibt den Bitten der vemeinten Freundinn nach, und entdeckt ihr, daß sie dort allnächtlich für den Frieden der hingeschiedenen Schwester Adolars, Emma, bethe, welche am letzten May in der Trennungsstunde, in welcher Adolar sich von Euryanthen losgerissen, um in den Streit zu ziehen, den Liebenden erschienen war, ihnen kündend, daß sie als Selbtmörderinn (sie hatte als ihr Geliebter, Udo, in der Schlacht gefallen war, den Tod aus einem gifterfüllten Ring gesogen) keine Ruhe im Grabe gefunden habe, und sie nicht eher finden werde, bis dieser Ring von der Thräne der Unschuld im höchsten Leid benetzt werde, und die Treue dem Mörder Rettung für Mord biethen würde. Gewicht’ge Kunde! ruft Eglantine für sich. (Warum?) Euryanthe klagt sich, dieses Geständniß sogleich bereuend, an, sie habe ihren Eid gebrochen, und Adolars Geheimniß verrathen. Eglantine beruhigt sie mit Versicherung ihrer Liebe. Als Euryanthe abgegangen ist, spricht sich Eglantine über ihren Vorsatz aus, Emmas Gruft zu durchsuchen (Warum?), und über die Hoffnung, Adolar werde vielleicht noch reuevoll an die Brust der Verschmähten sinken. (Warum?) Sodann erscheint Lysiart, wie er auf Befragen Euryanthens verkündet, als Abgesandter des Königs, die schöne Euryanthe als Krone des Festes an den Hof zu führen. Hier schließt der erste Act. Der Beginn des zweyten Actes zeigt abermahls den Burggarten. Lysiart verzweifelt schon am Gelingen seines Vorhabens. Da erscheint unter Sturm und Blitzen der Gewitternacht Eglantine, aus dem Gruftgewölbe stürzend, in welchem sie den Ring von dem Finger der Leiche Em|mas gezogen hat, und nun triumphirt, da sie Euryanthens Glück zu vernichten gewiß ist. (Warum?) Lysiart, welcher sie belauschte, biethet sich ihr zum Beystande an, die beyden Feinde der Liebenden vereinen sich zum festen Bündniß, und Lysiart sagt Eglantinen seine Hand zu. Die Scene wendet sich nun in die Königsburg. Lysiart erscheint nun, erklärt seine Wette für gewonnen, überreicht zum Zeichen der Wahrheit seiner Worte Emmas Ring, und beginnt noch die Worte: In heller Mondennacht, am letzten May, – um zu zeigen, daß Euryanthe ihren Eid gebrochen, und ihn in das Geheimniß eingeweiht hat. Adolar frägt: Euryanthe hast du mich verrathen? Brachst du deinen Eid? Ich that es, antwortete diese, ohne sich weiter zu rechtfertigen. Auf der Stelle wird die arme Euryanthe nun vom König und allen Rittern als schuldig erklärt, Lysiart mit Adolars Gütern belohnt, und dieser ruft: Komm Euryanthe! und stürzt ab. Euryanthe folgt ihm. Ende des zweyten Actes. Der dritte Act zeigt uns eine wilde Felsenschlucht. Adolar erscheint ganz schwarz gerüstet. Euryanthe folgt ihm, erschöpft und matt. Er eröffnet ihr nun, er habe sie hieher entführt, sie zu ermorden. Als er im Begriffe steht, diese Heldenthat zu verüben, erblickt Euryanthe eine große Schlange sich heranwälzen, sie stürzt vor, und will mit ihrem eigenen Leben den Geliebten retten, er aber bekämpft als Held das Ungeheuer selbst, erlegt es, sagt, daß er nun, da Euryanthe ihr eigenes Leben für ihn opfern wollte, sie nicht mehr tödten kann, stürzt ab, und überläßt Euryanthe ihrem Schicksal. Sie sinkt erschöpft an der Quelle hin. Der König erscheint mit Jagdgefolge. Man findet Euryanthe. Nun entdeckt sie den Verrath Eglantinens (etwas spät). Der König ist gleich überzeugt, und verspricht alles gut zu machen. Vor Entzücken sinkt sie leblos hin. Der Chor beweint ihren Tod. Die Bühne verwandelt sich in einen freyen Platz vor der Burg Nevers. Adolar erscheint ermüdet bey einer Bauernhochzeit. Er vernimmt, daß Lysiart und Eglantine ebenfalls ihr Vermählungsfest feyern. Der Hochzeitszug beginnt. Eglantine wird plötzlich irrsinnig, und spricht laut von ihrem Vergehen. Adolar tritt vor, schon will der Kampf zwischen ihm und Lysiart entbrennen, da erscheint der König, Euryanthens Unschuld, aber auch ihren Tod verkündend. Eglantine triumphirt bey dieser Nachricht. Lysiart ersticht sie, da sie ausruft:

Schnödes Werkzeug meiner RacheDich schleudre ich in dein Nichts zurück.

Er selbst wird fortgeschleppt, Euryanthe, welche nur ohnmächtig, nicht todt war, wird im Triumph von den Jägern gebracht, der König vereinigt die Liebenden, und auch Emmas Geist ist nun versöhnt, da der Unschuld Thräne den Ring benetzte, und Treue dem Mörder Rettung für Mord both.

Wir glauben, daß die Leser aus dieser Inhaltsanzeige hinlänglich erkennen werden, welche wesentliche Mängel dieses Süjet in sich trage? Ihm mangelt das erste wichtigste unerläßlichste Postulat an ein gutes Opernbuch. Verständlichkeit und Klarheit der Handlung. Welche Dunkelheiten zeigen sich nicht gleich im ersten Aufzuge unserm Blick? Warum wird Euryanthe so wunderbar bewegt, und bereut es so bitter, nachdem sie Eglantinen das Geheimniß entdeckte? Warum findet sie solche Wichtigkeit darinnen? Welche Hoffnungen schöpft Eglantine daraus, daß sie sogleich die Gruft durchsuchen will? Das wird Niemanden klar, und kann also bey Niemanden Theilnahme erregen. Die so schwer angeklagte Euryanthe könnte mit einem Worte die Anklage vernichten, sie dürfte dem Könige nur im zweyten Aufzuge sagen, was sie ihm im dritten sagt, und die Sache wäre abgethan, aber da tritt ganz derselbe Fall ein, welchen wir oben bey Beurtheilung des Töpferschen Lustspiels* bemerkbar machten, die Personen dürfen eben nicht reden, weil erst der zweyte Act ist, und sonst kein dritter nachkommen könnte. Euryanthens Scheintodt, die Klagen darüber, und ihre Wiederkehr ins Leben, sind nichts als matte verbrauchte Theatercoups, welche durchaus keine Wirkung hervorbringen konnten. Zwar ist die Dichterinn von diesem Vorwurfe frey zu sprechen, denn in ihrer oft erwähnten Vertheidigung in der Theaterzeitung erklärt sie ausdrücklich diesen verunglückten Coup als eine Idee des Herrn von Weber, „von welcher sie ihn nie abzubringen vermocht habe.“ ¦ Eine wahrhaft üble Figur spielt der König in dieser Oper. Er ermangelt jeder Haltung und Würde. Er glaubt alles, urtheilt nie, u. s. w. Kleinere Mängel, als z. B. daß Adolar im dritten Aufzug im schwarzen Harnisch erscheint, wobey sich natürlich dem Zuschauer die Frage aufdringt: Wo hat sich denn der Herr Ritter umgekleidet, wo hat er unterdessen das Fräulein gelassen, welches ihm am Ende des zweyten Actes folgte, und am Ende des dritten wieder mit ihm erscheint, warum er überhaupt im schwarzen Kleide erscheint u. s. w. wollen wir nicht weiter rügen, indessen können wir, so unlieb es uns auch in vieler Beziehung seyn muß, nicht umhin, unser oben ausgesprochenes Urtheil zu wiederhohlen, daß die Bearbeitung dieser an und für sich wahrhaft romantischen Dichtung als Opernbuch verunglückt sey. Was die Form betrifft, so hat Frau von Chezy Vorzügliches geleistet. Die Verse sind wohlklingend und schön, die Sprache zart und edel.

In dieser Beziehung ist das Werk sehr gelungen, und dürfte außer Kinds Freyschützen, unter den gegenwärtigen Operntexten keinen Nebenbuhler finden. Das Verdienst der Frau von Chezy als lyrische Dichterinn und Erzählerinn ist längst anerkannt. Möge dieser Versuch in einer für sie so neuen, und in jeder Hinsicht so schwierigen Gattung sie ja nicht abschrecken einen zweyten zu machen. Der Preis am Ziele ist wahrlich lockend, und wer auf der schönen Bahn so weit vorgeschritten ist, kann bey Beharrlichkeit und Ausdauer desselben unmöglich verfehlen.

[…] F. C. Weidmann

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Bandur, Markus

Überlieferung

  • Textzeuge: Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst, Jg. 14, Nr. 143 (28. November 1823), S. 763–764

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