Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Tonna, Mittwoch, 14. September 1814 (Nr. 19)

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Seit langer Zeit zum erstenmale wieder, mein gutes theures Mukkerl, kann ich dazu kommen vor Schlafengehn ein 4tel Stündchen mit dir zu plaudern, und dir dann eine gute Nacht aus der Ferne zuzurufen. der ewige Sturm und Drang von Ein und auspaken, Visiten geben und nehmen, Gesellschaften schlukken und spielen und singen pp brachte eine Ermüdung hervor, die dem Geiste gebieterisch befahl die wenigen Stunden der Ruhe dem Körper zu gönnen und zu überlaßen. ich habe nun 2 Tage geruht, und wohl mir daß ich mit Fug und Recht jezt dieses Stündchen mein nennen und darüber disponiren kann.      Wann und Wie dieser Brief weggeht weiß ich nicht, denn ich lebe hier wie auf einer wüsten Insel, aber mag Er zu dir kommen wann er will so wird er immer als Merkzeichen meiner Liebe und ewigen Beschäftigung mit dir, seinen, und somit nicht blos als vom PostTage gebieterisch abgefodert erscheinen.      das Uralte Schloß in dem ich hause und in deßen schauerlichen Gemächern beym Klappern aller Fenster und Thüren ich diese Zeilen schreibe, – umfaßt mich recht wohlthätig mit seiner öden Stille, und giebt mir im Geistvollen Umgange des Herzogs eine gewiße gemüthliche Ruhe, in der ich recht viel zu arbeiten und zu leisten im Stande wäre wenn ich lange genug da hausen könnte, und nicht gewiße anderweitige Gefühle mich hinweg landeinwärts zögen, und sich gar lieblich zudringlich in alles Denken und Trachten einmischten.      Wenn ich dich so zu mir herzaubern könnte! – So heraus aus all dem Geschäfts und Kollegen Geschichten Verdruße und Gepatsche – Was gäbe ich darum, und meine Lina würde sich auch in die Einsamkeit finden und mit Ihrem Carl begnügen. – doch ich schwazze da ins Zeug hinein, und Mukkerl weiß nicht einmal wo das gute alte ehrliche Tonna stekt. also zum Bericht.      d: 11t Wurde ich noch durch mancherley verdrießliche Geschäfte bis gegen Mittag in Weimar aufgehalten, so daß ich troz dem besten Fahren erst Abends 9 Uhr nach Gotha kam, und zu meinem großen Verdruß erfuhr daß der Herzog nicht da sey.      Es war also weiter nichts zu thun als sich schlafen zu legen, und den anderen Morgen weiter zu sehen was zu thun wäre.      d: 12t erfuhr ich dann daß der Herzog noch in Tonna, 4 Stunden von Gotha das Bad brauche [und] sobald noch nicht zurükkomme, worauf ich meinen Karren abermals [an]spannen muß und heraus kutschirte mit der gewißen ängstlichen Empfindung die ich immer habe, wenn ich Jemand lange nicht gesehen habe, und vielleicht kälter als ich erwarten zu können berechtigt zu sein glaube, empfangen würde.      dieß war nun aber hier ungegründete Furcht denn der Herzog empfieng mich so herzlich als man, nur empfangen werden kann. Nachtische fuhr ich gleich mit | ihm nach Langensalza, wo ein NaturalienKabinet besehen [und] der Thee bey einem H: v: Seebach eingenommen wurde.

d: 13t componirte ich 2 neue Lieder, ordnete meine Papiere, und brachte von 10 Uhr Morgens den ganzen Tag bis 11 Uhr Nachts beym Herzog zu, wo natürlich auch Gurgel und Finger herhalten musten. Heute d: 14t repetirte sich der Gestrige Tag, und nun erlaube mir daß ich dir erst ein wenig den Kopf wasche über deine Nachläßigkeit, und daß du meine Briefe nicht ordentlich liesest.

ich hatte vergebens dich um die Papiere wegen der Pensions Angelegenheit deiner Mutter gebeten, du hast mir nicht einmal darauf geantwortet. Um nun nicht ganz die Zeit und Gelegenheit zu versäumen erzählte ich Heute dem Herzoge die Sache soviel ich davon wuste, und das ich confus genug vorbrachte, da ich nicht einmal den Familien Namen deiner Mutter wuste. Genug troz dem, ist die Sache so weit eingeleitet daß der Herzog davon weiß, sich dafür intereßirt und da ich in Gotha auch noch mit dem Minister sprechen und ihm die Sache ans Herz legen werde, so zweifle ich nicht daß wenn die Ansprüche deiner Mutter ganz richtig sind, sie alles erhalten wird, und ich vielleicht die Freude habe, Ihr in etwas nüzlich gewesen zu sein*. –      Von meinem baldigen Wegreisen will der Herzog nichts hören, und kann ich also noch gar nichts bestimmtes darüber sagen.      d: 19t oder 20t gehn wir nach Gotha, wo ich bey Hofe spielen werde, und von wo aus ich dir dann noch berichten werde.      Die Güte und Liebe des Herzogs ist wirklich außerordentlich, und so anziehend und brillant sein Wiz ist, so oft habe ich auch Gelegenheit sein gutes Herz zu bewundern, das nur zu oft verkannt wird, da Er allerdings oft etwas scharf mit seinem Wizze die Thorheiten der anderen geißelt.      In diesen Tagen sind große Gesellschaften hier welches mich etwas ennuyirt und wo ich mich so oft wie möglich in mein gothisches Kämmerlein flüchten werde.

     Nun gute Nacht mein theures Leben, schlafe so wohl und glüklich als dein Carl es dir wünscht und die Engelein werden dich um deinen Schlaf beneiden.      Träume und denke dann auch an deinen treuen Carl Gute, Gute Nacht.

Apparat

Zusammenfassung

über die Ankunft in Gotha, dortiges Quartier u. die herzliche Aufnahme beim Herzog von Gotha

Incipit

Seit langer Zeit zum erstenmale wieder, mein gutes

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Dresden (D), Sächsisches Hauptstaatsarchiv (D-Dla)
    Signatur: Körner-Nachlaß, Kö Mappe 16

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
    • Echtheitsvermerk am unteren Blattrand der Versoseite von Max Maria von Weber: „Eigenhändiger Brief meines Vaters Carl Maria von Weber, gerichtet an seine damalige Braut (nachmalige Gattin) Caroline Brandt. Wien 28 Juni 1875. M. M. von Weber
    • mit angehängtem Zettel: „Geschenk v. Sohn Max Maria v. Weber an das Körner-Museum 28. Juni 1875. Dokument 68. dabei zwei Briefe v. M. M. v. Weber“

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Kopie: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (D-B)
      Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 51

      Quellenbeschreibung

      • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
      • Abschrift von Max Maria von Weber

      Provenienz

      • Weber-Familiennachlass
    • Worbs 1982, S. 60–62
    • Muks, S. 113–116 (Nr. 17), (nach Abschrift in D-B, Mus. ep. C. M. v. Weber 51)
    • Anonym, Aus Carl Maria von Weber’s Briefen, in: Niederrheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler, Jg. 12, Nr. 43 (22. Oktober 1864), S. 339 (unvollständig!)

Textkonstitution

  • „seinen“durchgestrichen
  • t„l“ überschrieben mit „t
  • das„daß“ überschrieben mit „das

Einzelstellenerläuterung

  • „… etwas nüzlich gewesen zu sein“Vgl. die Tagebuchnotiz vom 3. Januar 1815.

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