Rezension von Carl Maria von Webers Sinfonie Nr. 1 C-Dur (WeV M.2b)
Première Sinfonie pour deux Violons, Alto, Basso, Flûte, deux Hautbois, deux Bassons, deux Cors, deux Trompettes et Timbales, composée et dédiée à Géofroi Weber, par Ch. Maria de Weber. Offenbach, chez J. André. (Pr. 4 Fl. 30 Xr.).
Rec., indem er die Feder zur gegenwärtigen Arbeit ansetzt, fühlt sich doppelt geehrt dadurch, dass die öffentliche Beurtheilung dieser, ihm selbst vom Componisten dedicirten Symphonie, von der Redaction der allgem. musikal. Zeitg. ihm übertragen worden: ein doppelt Verhältnis, welches ihm die Pflicht strengster Genauigkeit und Freymüthigkeit im zwiefachen Maase auflegt. Er wird dieser Forderung rücksichtlos entsprechen. Da er übrigens zum Theil aus eigner Erfahrung weiss, wie wenig – und vielleicht mit Recht – weitläufige Zergliederungen neu erscheinender Instrumental-Compositionen den grössten Theil der Leser zu interessieren pflegen – zumal diejenigen, welche das besprochne Werk noch nicht selbst kennen, um die Zergliederung mit ihrer eignen Ansicht vergleichen zu können: so soll die gegenwärtige Relation weniger eine ausgeführte Analyse der Einzelnheiten, als eine Charakteristik der, die Symphonie bildenden vier Tonstücke im Allgemeinen werden.
Den Hauptcharakter des ganzen ersten Satzes kündigt gleich das, vom vollen Orchester vorgetragne, höchstkräftige erste Thema an: worauf unmittelbar das 2te von den Bässen allein pianissimo vorgetragen, ¦ und in der Folge vom Orchester aufgenommen wird, doch nicht, um es auszuführen, sondern nur, um sogleich wieder zum Hauptthema einzulenken, von wo dann der erste Theil des Allegro eigentlich erst recht anfängt, und bald mit einem allerliebsten dritten Thema ausgestattet wird: u.s.w. welches unmittelbar darauf das volle Orchester fortissimo in G dur aufnimmt und fortführt.
Vollkommen consequent und mit Feuer und Einsicht sind nun diese drey Themata zu einem Allegro verarbeitet, das, an Kraft und Leben, keinem dieses Meisters nachsteht – wol aber sehr an Anmuth. Und dies ist der große Vorwurf, den Ref. diesem Satze zu machen hat. Hätte doch der sonst so liebliche Tondichter die Zartheit und Anmuth seines 5ten Thema fester gehalten, und es öfter in verschiednen Beziehungen und Verflechtungen benutzt und wieder gebracht, oder, was ihm ebenfalls zu Gebote stand, aus dem zweyten Thema singbare und minder kunstreiche Figuren entwickelt – ein Mangel, der hier um so empfindlicher ist, da ohnehin die Art, wie Hr. v. Weber einigemal mit dem 1sten Thema arbeitet, (indem er | es nämlich viele Takte hindurch in den Bass legt, und die Violinen in gehackten Noten darüber rauschen lässt) eine etwas verbrauchte und das Gehör abstumpfende, man möchte sagen, betäubende Methode ist, und an einen veralteten Styl erinnert, den man sonst wol auch Ouverturen-Styl nannte.
So wahr indessen der obige Vorwurf seyn mag, dass im vorliegenden Tonstück des Starken zu viel, des Zarten aber zu wenig sey: so sind doch eben von den vielen Kraftstellen manche einzelne durch frappante Effecte auszeichnenswerth; z. B. da, wo das erste Thema zerstückelt in Imitationen, unter andern auch in den Blechinstrumenten erscheint –: In jeder Hinsicht stehen indessen die drey folgenden Sätze, Andante, Scherzo und Finale presto, weit höher an Gehalt und Effect.
Das Andante, wie die meisten dieses Meisters, von höchster Einfachheit, aber mit einem hinreissenden Anstrich romantischer Schwermuth ausgestattet, und mehr Phantasie, als geregeltes Tonstück, spricht eindringlich zum Herzen. Schon der schwellende Anfang: ¦ usw. stimmt das Gemüth zur Empfänglichkeit für die stille Melancholie, welche durch das ganze Andante athmet; und in schmelzenden Klagetönen der wechselnden Blasinstrumente sich ausspricht. Von erhebender Wirkung, und ein schön berechneter Contrast ist es dagegen, wenn dann, ungefähr in der Mitte des Satzes, die Klage versiegt, das Gemüth sich aufrichtet und wieder emporstrebt in einer kräftigen Dur-Stelle, aber doch bald wieder in die vorige Schwermuth versinkt. Das Ganze ist ein rührendes und doch zugleich erhebendes Bild eines, nach einem unbekannten höhern Etwas sich sehnenden Gemüths,
„So gross und so erhaben„und doch so sanft und mild.”Von der süssen Schwärmerey zurück ins rege wirkliche Leben führt uns das Scherzo-presto. Es spricht uns wieder an mit frischer, ja brausender Lebenslust, sowol im melodiösen, anmuthigen Trio, als im schroffen, bezeichnenden Scherzo selbst. – Nicht eben von besonderer Wirkung ist indessen im 6ten bis 9ten Takt des Scherzo die Reihe von, je nach zwey Viertheilen des ¾ Takts wechselnden Septimen-Harmonien, deren erste mit grosser Septime ohne Bindung auf dem leichten Takttheile eintritt: voll Wirkung dagegen der Ausfall in die fremde Tonart, h dur – so recht eine gewisse, man möchte sagen, übermüthige Ausgelassenheit bezeichnend.
Dem Charakter des Scherzo analog ist im Ganzen das Finale presto, nur dass dieses letztere vollends im höchsten Grade den lebhaftesten Ausdruck jovialer Lebenslust ausspricht. Diese verkündigt schon gleich der Anfang: | u. s. w. dessen Stoff der Tondichter eine kurze Zeit lang ausführt, aber bald, mit einem feurigen Unisono aller Saiteninstrumente, sich in den sprudelnden Strom der Lebensfülle stürzt: Doch der Rausch verbrauset, und gefälligere Tändeleyen treten an seine Stelle: So wechseln und verflechten sich im lieblichsten Reigen die verschiedentlich individualisirten Ausdrücke glücklicher Laune, bis – plötzlich, beym Anfang des 2ten Theils, eine gar altklug und ehrsam in den Bässen pizzicato eintretende Figur Miene macht, eine gemessnere und geregeltere Lebensweise einführen zu wollen; aber freylich mit keinem weitern Erfolg, als dass, wie sie sich kaum blicken lässt, freye Imitationen des ersten Thema, ihrer steifen Weisheit spottend, sie, wie muthwillige Knaben, umgaukeln, sich in ihr kunstgerechtes Gewebe zur Lust verflechten: ¦ und sie so lange und immer ärger necken und verfolgen, bis jene endlich, den Klügern spielend, dem jovialen 3ten Thema unerwartet den Kampfplatz räumt.– So wechseln Scherz und Ernst, doch mit stets entschiedenem Uebergewicht des erstern, bis zum freudigen Schlusse, wo man ausrufen möchte: die Fröhlichkeit triumphirt! verbannt ist der düstre Ernst, und im hellen Sonnenglanze stralt das Reich der Freude! –
Soll aber Ref. nun auch noch Einiges nennen, was ihm die vorliegende Symphonie sonst noch zu wünschen übrig lässt, so wär’ es etwa dies: dass nicht alle vier Sätze des Werks aus C (drey in Dur und einer in Moll) gehen sollten, was der Mannigfaltigkeit nicht günstig ist; dann, dass nicht Manches allzuschwer für gewisse Instrumente gesetzt seyn möchte, wie z. B. die Bassstimme im Finale; auch die Stelle nach der 2ten Fermate des 2ten Theils im ersten Allegro gehört unter diejenigen, welche eben nicht jedes Orchester ganz rein intoniren wird – ja selbst schon der oben abgeschriebene Anfang des Finale ist für die Hörner sehr schwer geschliffen herauszubringen, und es gelingt selten, weil auf Blechinstrumenten eben bey’m Schleifen, z. B. von e’’ zu g’’, immer der Zwischen-Ton f’’ mit ansprechen will; noch schwieriger ist aus gleichem Grunde die Imitation: wo dem Hornisten, indem er das e’’ schleifend nach e’ sinken lassen will, gar all die Zwischentöne d’’, c’’, b’, g’ mit ansprechen möchten.
Endlich thut es nicht ganz gute Wirkung, wenn zum D7 und D64-Accord die Pauke häufig G und c anschlägt, z. B.: Wollte der Verfasser hier die Pauke nun einmal nicht lieber ganz entbehren, so hätte er besser gethan, drey Pauken vorzuschreiben, in c, d, G, wie er in der Ouvert. zum Beherrscher der Geister mit d, e, A-Pauken gethan hat. Dann hätte er auch bey’m Anfange des 2ten Theils des Finale | nothwendig den Saiteninstrumenten durchgängig pianissimo geben sollen, weil sich sonst die neckischen Imitationen der Blasinstrumente nicht bemerkbar machen können, und der Sinn verloren geht.
Zum Schlusse muss Rec. die vielen Nachlässigkeiten im Notenstich bedauern, einige derselben, welche ihm, obgleich er keine Partitur vor sich liegen hat, auffielen, hier anmerken, und Musik-Directoren, deren Verbesserung (so wie auch das Beyschreiben des eben erwähnten pianissimo der Saiten Instrumente im Finale, 2ten Theil) empfehlen.
In der 1sten Violine S. 2, Z. 4. T. 7. muss vor c ein , in der 2ten muss S. 3, Z. 2. zu Anfang des letzten Takts e stehen, und S. 4, Z. 4 v. unt. den ganzen Takt hindurch h statt c. In der Viola S. 3, Z. 6. T. 3 muss im folgenden piano und im 5ten pp. stehen. In der Bassstimme, S. 1, T. 7., muss sowol in der Violoncell-, als in der Violon-Zeile die 3te Note a heissen, S. 5, Z. 2, T. 5. piano und T. 6. pp. stehn, S. 7, Z. 8 v. unt. statt H überall d und Z. 4, v. unt. T. 4. vor a ein . In der Flötenstimme muss S. 2, Z. 10. T. 1. die erste Note e heissen, dann sind S. 4, Z. 3 der 1ste und 2te Takt des 2ten Theils in Einen zu verwandeln. In der Hoboe 1. S. 2, Z. 7. Takt 5 muss die ganze Taktnote statt gis vielmehr g seyn, und Z. 2, v. unt. vorletzte Takt das as vielmehr a. S. 2, Z. 2. T. 2. der ersten und S. 2, Z. 1. T. 7. der 2ten Fagottstimme muss statt einer Taktpause eine ganze Note H stehen.
Gottfried Weber.Apparat
Zusammenfassung
Rezension von Carl Maria von Webers Sinfonie Nr. 1 C-Dur (WeV M.2b)
Entstehung
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Überlieferung
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Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 15, Nr. 34 (25. August 1813), Sp. 553–559