Rezension der Modulationslehre von Heinrich Christoph Koch

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Versuch aus der harten und weichen Tonart jeder Stufe der diatonisch chromatischen Tonleiter vermittelst des enharmonischen Tonwechsels in die Dur und Moll Tonart der übrigen Stufen auszuweichen. Von H. Ch. Koch. Rudolst. Hof- Buch- und Kunsthandlung. 1812. 16 Bogen Querquart.

Eine Sammlung und sehr ausführliche Musterkarte von enharmonischen Ausweichungsformeln, aus jedem Ton in jeden andern (die ganz gewöhnliche Ausweichung in die Dominante und Unterdominante ausgenommen), nützlich für den Mindergeübten, um sich im Fall des Bedürfnisses daraus Raths erholen, und das zu seinem Zwecke passende Muster copiren zu können.

Die Ausweichungsformeln, sämmtlich in Notenbeispielen von 2 bis 4 Tacten vierstimmig auf zwey Notenlinien im G und F Schlüssel ausgeschrieben, sind unter folgenden Rubriken geordnet:

1. Abschnitt. Ausweichung aus den harten Tonarten in andre Dur-Tonarten.

2. Abschn. Ausweichung aus den harten T. A. in die Moll-Tonarten.

3. Abschn. Ausweichung aus den weichen T. A. in Dur-Tonarten.

4. Abschn. Ausweichung aus den weichen T. A. in Moll-Tonarten.

5. Anhang.

Der Verf. begnügt sich aber nicht, von der Ausweichung aus der Tonart Einer Stufe (z.B. den gewöhnlichen Normal-Tonarten C dur und A moll) nach allen andern Dur- und Moll- Tonarten, Muster zu geben, sondern gibt Ausweichungsmuster aus allen Tonarten in alle andern, und über manchen dieser vielen Specialfälle finden sich sogar noch zwey | verschiedenartige Formeln angegeben, im Ganzen wohl über 700 Formeln!

Daß diese große so weit getriebene Ausführlichkeit, wie der Verf. in der Vorrede behauptet, ihren eignen Nutzen habe, will Rec. nicht widersprechen; allein er ist überzeugt, daß das Werk dennoch an Brauchbarkeit und Faßlichkeit gewonnen haben würde, wären die verschiednen Formeln anders geordnet, und sämmtlich auf Ausweichungen aus zwey Normal-Tonarten reducirt worden.

Sucht man z.B. die verschiednen unter vierzehn Rubriken des Werks zerstreuten Formeln zum Uebergang aus einer harten Tonart in die harte der zunächst darüber liegenden Taste auf, so findet man: 2 Formeln von C nach Cis, 2 von CDes, 1 von CisD. 1 von Des nach D, 2 von D nach Es, 1 von Es nach E, 1 von E nach F, 1 von F nach Fis (warum keine nach Ges?), 1 von Fis nach G, 1 von G nach As, 1 von As nach A, 2 von A nach B, 2 von B nach H, 2 von H nach C.

Also 20 Formeln für 14 im Grunde doch gleichartige Fälle, welche sich sämmtlich unter Eine Rubrik hätten subsummiren lassen: denn offenbar könnte doch eine Ausweichungsformel von C nach Cis als Muster des Uebergangs von F nach Fis, von Des nach D, von Es nach E u. s. w. gelten. Es ist überall derselbe Fall, nur auf eine andre Stufe transponirt, und in der That sind denn auch jene 20 Formeln bloße Transpositionen von den vier ersten Blattseiten; so ist der Uebergang von F nach Fis, S. 8, eine bloße Transposition des gleichen Falles von C nach Cis, S. 1, und der von G nach As S.11 eine pure Transposition des Falls von C nach Des.

Ja, die Ausweichungsformel um eine kleine halbe Stufe aufwärts von C nach Cis, könnte gar füglich auch auf die Fälle der Ausweichungen um einen großen halben Ton aufwärts dienen, und es wäre nicht einmal sehr nöthig gewesen, eine eigene Formel von C nach Cis und eine eigne von C nach Des auszuschreiben, indem jeder auch nur irgend Geübte gar leicht diese in jene umschreiben wird, und umgekehrt.

Denn ganz so wie der Verf. S.1 von C nach Cis dur geht, eben so kann man mittelst bloßem Umschreibens nach | Des dur gehen, und umgekehrt ist der S. 1 befindliche Uebergang von C nach Des dur.

7 6 b7
5 4 b5 b5 6 b7 b5
3 3 3 2 | b3 b3 b4 b5 | b5
C, A, *G, bA | bG, bE, bA, bA | bD

(eigentlich:

6
bb5
b3
C, A, *G, bA | bG

u. s. w.)
leicht umzuschreiben in einem Uebergange von C nach Des dur:

7 *7
5 *6 *5 *7 *6 *5 *5
3 3 3 5 | *3 *3 *4 *3 | *3
C, A, *G, *G | F, *D, *G, *G | *C.

Ja sogar die Uebergangsformel aus Cis dur nach Es dur: S. 2:

7 6 6
*5 *5 *5 *5 b7
*3 *3 *3 *2 b4
*G, | *C, *C, *H, C | bH; bH

(eigentlich:

7 6
*5 *5 *5 b5 6
*3 *3 *3 b3 b4
*G | *C, *C, *H, C | bH

u. s. w.)
läßt sich auf die höchst einfache Formel aus C nach D:

*6 *6 7
3 3 3 b7 5 4 *3
G | C, C, H, bH | A, A

reduciren, und hätte sich leicht aus ihr deriviren lassen; und eben so die Formel von Cis nach As, S.3:

|
*6 6 b7
*5 5 4 5 6 b7
*3 *3 *2 b5 b3 b4 b5 b5
*C, ’C, ’D, bE | bD, bH, bE, bE | bA.

(eigentlich:

*6 *6
5 bb5 b5
*3 b3
*C, *C, *D, bE | bD,

u. s. w.)
(wo der enharmonische Uebergang von Cis dur nach Des dur schon beym Schritte vom 3ten zum 4ten Akkord durch bloße Rückung geschehen ist, und dann erst eine 2te Wendung von Des nach As dur geschieht) auf die ganz gewöhnliche Ausweichung in die Dominante:

6
b5 6 7
3 3 3 7 4 *3
C, C, D, D | C, A, D, D | G.

Das bisher Gesagte zeigt, wie manchfacher Abkürzung die Tabelle der Ausweichungen aus harten Tonarten nach andern Tonarten empfänglich gewesen wäre.

Aber nicht größerer Kürze allein würde der Gewinn einer derartigen Anordnung gewesen seyn. Wie vieles würde das ohnehin schon so brauchbare und gemeinnützige Werk noch gewonnen haben, wenn die verschiednen unter verschiednen Special-Rubriken zerstreuten, aber zu einem und demselben Zwecke dienenden Formeln alle in Eine Tabelle zusammengestellt wären und zusammen überschaut werden könnten. So z. B. bestehen die vom Verf. gegebenen Formeln zu Uebergängen in die Tonart der nächsten halben oder kleinen Stufe aufwärts (die bloßen Transpositionen nicht mitgezählt), aus den vier folgenden:

*7
*6 6 *5 *6 *5 *5
3 7 5 4 *3 *4 *3 *3
1. C, C, G, G | *F, *F, *G *G | *C.
*7
*6 6 *5 *6 *5 *5
2 7 5 4 *3 *4 *3 *3
2. C, A, *G, *G | *F, *D, *G, *G | *C.
b7
b5 b5 6 b7
3 3 3 7 2 b3 b3 b4 b5 b5
3. G | C, A, *G, bA | bG, bE, bA, bA | bD.
b6 b7
3 3 b7 2 b3 b5 b5 b5
4. G | C, H, bC, bh, bg | bD, bA, bD.

Diese, zu Erleichterung der Anwendung auf andere Fälle, aus Tonarten mit Kreuzen auch noch verwandelt und umgeschrieben in Tonarten mit Beeen, und umgekehrt

6
bb5 bb6 b5 6 b7
3 7 b3 b4 b3 b4 b5 b5
5. C, C, G, bbA | bG, bG, bA, bA | bD.
6
bb5 b5 b5 6 b7
3 3 7 b3 b3 b3 b4 b5 b5
6. C, A, *G, bA | bG, bE, bA, bA | bD.
*6 *7 *7
5 *5 *5 6 *5 *5
3 3 3 7 3 *3 *3 *4 *3 *3
7. G | C, A, *G, *G | *F, *D, *G, *G | *C.
*6 *7
*4 *6 *5 *5 *5
3 3 b7 3 *3 *3 *3 *3
8. G | C, H, H, *a, *f | *C, *G, C.

würden (allenfalls in der Ordnung: 1, 2, 7, 8, 3, 4, 5[,] 6) eine nicht nur vollständige Tabelle der Ausweichungsformeln für alle ähnliche Fälle geben, woher sich dann leicht durch bloße Transposition Ausweichungen von C nach Des, von Cis nach D, von Des nach D, von D nach Es, von Es nach E; von E nach F, von F nach Fis oder Ges, von Fis oder Ges nach G, von G nach Gis oder As, von Gis oder As nach A, von A nach B, von B nach H oder Ces, von da nach C, und nach Belieben auch in noch fremdartigere | Tonarten, z. B. von D nach Dis u. s. w. nachbilden ließen, sondern es würde durch Zusammenstellung aller zu Gebote stehenden Formeln auf einem Platze dem Anfänger noch obendrein die weitere Uebersicht gewährt, daß er, um nach der Tonart der nächst obern Taste auszuweichen, unter den beysammenstehenden Formeln die Wahl habe, und daß er überdies diese Art von Modulationen nach Belieben in die Form entweder von Ausweichungen, um einen großen oder um einen kleinen halben Ton, ausführen und schreiben könne, je nachdem die eine oder andre Form etwa eine allzuungewöhnliche Bezeichnung erfordern würde, oder je nachdem die eine oder andre den demnächst folgenden Harmonieen am schicklichsten zusagt.

Und wollte man dann, wie denn der Verf. gethan hat, und auch wirklich von reellem Nutzen ist, diese Formeln in Beziehung auf weiche Tonarten alle auch noch einmal besonders ausschreiben, so wäre gewiß alles gethan, was Ausführlichkteit mit Anschaulichkeit und Vollständigkeit verbunden, leisten können, und dabey könnte das Werk doch noch allenfalls durch größere Manchfaltigkeit von Formeln, z. B. (um immer bey den oben ausgehobenen Fällen der Ausweichungen in die nächst höhere Taste zu bleiben)

5 b5 *5 *5 *4 *4 *4
5 3 3 *2 *3 8 *7 *5
3 6 *6 *6 *7 *6 *5 *3
C, H, C, a a | *G, *G, *G, *G | *C.

oder:

b7 b7
7 b6 b5 6 b5
*2 *3 b4 b3 b4 3
C, bH, A, bA | G, bA, bA, bA |

u. dgl. bereichert werden.

Übrigens ist der Satz überall rein und korrekt (Kleinigkeiten, wie z. B. S. 61 fünftes Beyspiel, können ja übersehen werden!) – das Aeußere der Auflage beweis’t die Aufmerksamkeit, welche die Verlagshandlung dem Werke des geschätzten Schriftstellers schuldig zu seyn geglaubt: doch ist das kleine ¦ Erraten-Verzeichniß nicht vollständig. Vergl. S. 61 vierte Formel.

Mannheim.

Gottfried Weber.

Apparat

Zusammenfassung

1813-Gottfried-14: Rezension der Modulationslehre von Heinrich Christoph Koch

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur, Bd. 6 (1813), Heft 29, S. 449–455

Textkonstitution

  • „Manchfaltigkeit“sic!

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