Max Maria von Weber an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Riesa, Mittwoch, 9. Mai 1849
Einstellungen
Zeige Markierungen im Text
Kontext
Absolute Chronologie
Vorausgehend
- 1849-04-30: an Jähns
- 1848-09-30: von Weber
Folgend
- 1849-05-21: an Jähns
- 1849-09-20: von Weber
Korrespondenzstelle
Vorausgehend
- 1849-03-31: an Jähns
Folgend
- 1849-05-21: an Jähns
- 1868-03-03: von Jähns
[…] Seit Beginn der Revolution habe ich das unglückliche Dresden nur 48 Stunden lang verlassen. Meine Kinder sind schon am Freitag zu Mama nach Pillnitz geflüchtet, nachdem die Kanonade 24 Stunden gedauert hatte und die Stadt ganz in Händen der Bürger war. Da sich die wohlorganisierte Bürgerwehr großenteils auf Seite der Insurgenten stellte, und unermeßliche bewaffnete Zuzüge aus allen Teilen des Landes eintrafen, so disponierte die provisorische Regierung am Freitag Abend über 10 500 gutgerüstete Fußkämpfer, 300 Reiter, 4 Kanonen und 2 Haubitzen. – Eine Schar von 2800 kampffähigen und wohlbewaffneten Leuten, zu der auch ich gehörte, hatte sich neutral erklärt und verpflichtet, das Eigentum zu schützen und unhaltbar gewordene Barrikaden fortzuräumen; sie hat sich, nach allgemeinem Urteil, sehr nützlich gemacht. – Die große Überlegenheit der Insurgenten über die nur 3500 Mann starke Truppenmacht, zwang diese, sich auf die Verteidigung des Schlosses und des Zeughauses zu beschränken, wo sie jedoch schon Sonntag morgens Hunger litt. Trotzdem wehrte sie sich mit rasendem Kanonen- und Kleingewehrfeuer aufs Allertapferste. Während dieser beiden Tage hatte sich nun das Barrikadensystem vollkommen organisiert, und die in Masse herbeigeeilten Bergleute hatten über die Straßen der inneren Stadt Gräben gezogen und hinter diesen Stein- und Erdwälle aufgeworfen, so dass die innere Stadt eine geschlossene Festung bildete, während die als Außenwerke betrachteten Vorstädte von etwa 170 Barrikaden verteidigt wurden. Der Dienstorganismus war musterhaft; die Befehle des Oberkommandanten Heinz* und der provisorischen Regierung galten als heilig. So standen die Sachen, als am Sonntage die preußische Hilfe eintraf. Nun begann ein 22stündiger mörderischer Kampf. Die Preußen stürmten den Theaterplatz, die Sachsen den Zwingerwall. Um sie dort zu verdrängen, steckten die Insurgenten das alte Opernhaus in Brand, das mit seiner Umgebung bis zum Grunde niederbrannte. Scharfschützen der Bürger besetzten das sogenannte Turmhaus (Webers Hotel) am Zwinger; dieser selbst brannte zum teil nieder. Nun eröffneten die Truppen von der Terrasse und dem Zwingerwall ein dreistündiges Kartätschenfeuer gegen den Neumarkt, namentlich gegen die Hotels de Rome und de Saxe, und dann stürmten die Preußen diesen Platz, was allerdings manchem von ihnen das Leben kostete. – An demselben Morgen ließ die provisorische Regierung uns, d. h. der neutralen Sicherheitswache, verkünden, daß sie uns sämtlich zum Barrikadendienste und zum Kampfe zwingen werde. Da ich mich dazu nicht entschließen wollte, so brachte ich meine Frau, die mit mir in unserem Hause auf der Dippoldiswalder Gasse ausgehalten hatte, auf den nahen böhmischen Bahnhof, von wo sie nach Pillnitz fuhr, während ich zu Fuß die Richtung nach Riesa einschlug. Diese Flucht war das wunderbarste Ereignis meines bisherigen Lebens. Bis Prisnitz, wo noch Bürgergarden standen, erhielt ich von diesen zweimal Feuer; etwas weiter schoß ein Kavalleriepiket auf mich; der ehemalige Bursche eines mir befreundeten Offiziers erkannte und rettete mich, ich bekam einen Freipaß bis Kötzschenbroda, wo ich endlich die Bahn erreichte. Auf dieser Flucht war ich beinahe eine halbe Stunde in der Weiseritz gegangen und hatte volle 7 Stunden Regen ausgehalten. In 72 Stunden hatte ich 40 unter Waffen gestanden, hatte 10 nach Pillnitz verfahren und vergangen und brauchte zu meiner Flucht 12 Stunden. Sonntag abend langte ich endlich hier an und hoffte auf Ruhe. Da kommt nachts eine wüste Freischaar und steckt das Dorf Nünchritz an. Natürlich hieß es „Alle Mann raus!“; ich nahm den Schießknüttel wieder auf die Achsel und kam erst um zwei Uhr morgens heim. Inzwischen dauerte der Kampf in Dresden fort; nur mühsam und unter Verlusten drangen die Truppen vor. In Neustadt wurde das Standrecht verkündet und eine Menge Gefangener erschossen. Da kam Dienstag die Nachricht, daß die Pillnitzer Gegend von Streifzügen beunruhigt werde. Sofort machte ich mich dahin auf. Das erste, was mich in Dresden begrüßte, war bodenerschütternder Kanonendonner, der erste Anblick ein Pikett Preußen, das vier Leute hinausführte, um sie standrechtlich zu erschießen. Durch Vermittelung hoher Offiziere erhielt ich einen Paß nach der Altstadt, die ich als eine halbe Ruine fand. Auf der Terrasse standen die Brandraketen; vom Zwingerwall herab spien sechs schwere Geschütze auf den Postplatz. Heimlich gruben währenddessen aufständische Bergleute durch die Wasserschleusen unter dem Schlosse und dem Zeughause Minen, und schon hatten die Truppen beide geräumt, um nicht in die Luft gesprengt zu werden, als man auf den klugen Einfall kam, den Ausfluß der Schleusen in die Elbe zu verstopfen; dadurch wurde die Zündung der Minen verhindert. Die sächsischen Truppen räumten, indem sie die Häuser durchbrachen, die Pirnaische, Rampische und Wilsdruffer Gasse von den Insurgenten, später abends auch die Post. Da legten die Bürger hinter der Kreuzkirche Feuer an, das heut gegen 3 Uhr an fünf Stellen hoch emporbrannte. Noch gestern abend fuhr ich, fortwährend vom Widerschein der Kanonenblitze umleuchtet, nach Pillnitz, wo ich die Meinen in Todesangst traf, da sie keiner meiner Briefe erreicht hatte. Der Kanonendonner dauerte die ganze Nacht. Ein mit Geschütz und Infanterie besetztes Kampfschiff beobachtete fortwährend die Elbufer bis Pirna. Der Kampf dauerte bis heut morgen um 9 Uhr, also sieben volle Tage mit nur stundenweiser Unterbrechung. Heut früh um 7 Uhr kam ich nach Dresden zurück und um ¼ 10 steckten die Insurgenten, von neunstündigem Feuer zur Verzweiflung gebracht, die weiße Fahne auf den Rathausturm. Die Häuptlinge: Tschirner*, Präsident der provisorischen Regierung, der Musikdirektor Röckel, Dr. Mende u. a. wurden sofort geknebelt (?) nach der Neustadt gebracht. Was aus ihnen werden wird, weiß Gott. – Unser ganzes Hab und Gut steht seit Sonntag in Gottes Hand, da wir nichts mitnehmen konnten als die Kleider auf dem Leibe, und unser Haus, das zur Verteidigung requiriert war, offen blieb. Die Haustür und die Vorsaaltür wurden sogar ausgehoben. – Mein armes schönes Dresden! Morgen will ich hinein und sehen, was von unserer Habe da ist. – Den Mut haben wir nicht verloren; meine Frau hat sich so tüchtig wie ein Mann gezeigt. Selbst als ein Angriff auf unser Haus (der übriges unterblieb) von den Truppen vorbereitet wurde, handelte sie, auch in meiner Anwesenheit, mit Ruhe und Umsicht. Wie viele aber gingen ganz entzwei! Die Familie eines hohen Staatsbeamten in unserer nächsten Nachbarschaft bat mich jedesmal, wenn ich sie besuchte, flehentlich: „Bleiben Sie da mit Ihrem ruhigen Gesichte; das ist Medizin für den Papa!“ […]
Apparat
Zusammenfassung
am Tage der Niederschlagung des Aufstandes mit Hilfe der preußischen Armee berichtet Max Maria von Weber ausführlich über die Kämpfe in Dresden, die Zerstörungen, seine Flucht nach Riesa, Rückkehr nach Dresden, Besuch seiner Familie in Pillnitz zu Fuß und die Ängste seiner Familie um ihn, da sie ohne Nachricht waren
Incipit
„Seit Beginn der Revolution habe ich das“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Frank Ziegler
Überlieferung
-
Textzeuge: Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 327–330 ,