Max Maria von Weber an Ida Jähns in Berlin
Riesa, Montag, 30. April 1849

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[…] Ihr Brief, teure Freundin, war reicher Segen für mich. Hat mich doch fast noch nie aus geschriebenen Zeilen ein solcher frischer Zauber angeweht. Dergleichen bedarf es, um in einem Leben, wie es jetzt den Mann umgibt, nicht an der vernünftigen Weltordnung zu verzweifeln. Daß Ihnen mein neuliches Schreiben, das doch so zerrissen war, wie mein Vaterland, Freude gemacht hat, ist mir doppelt lieb, weil es mich überrascht […] Ihnen gegenüber legen mir Feder, Tinte und Papier einen moralischen Zwang auf, den ich, sonderbarer Weise, nicht empfinde, sobald ich mit Ihnen rede. Sei es nun, daß ich von Ihrer Fähigkeit, in meinen Mienen und meinem Wesen zu lesen, eine weit höhere Meinung habe als von meinem Darstellungsvermögen, sei es, daß ihre Gegenwart an und für sich wie die Nähe guter Geister belebend auf mich wirkt – ich fühle und schaue lebendiger, wenn ich ohne Schrift zu Ihnen spreche […]

Was meine Poesien betrifft, so finde ich, daß die ernsten Beschäftigungen sie geläutert und ihre Pläne schärfer entfaltet haben. Können Sie mir nun mit Ihrem weichen Frauensinn und ihren schlanken Holbeinschen Fingern versichern, daß meine Schöpfungen wenig an Jugendfrische und Fülle verloren haben, so will ich an den Fortschritt glauben. – In den spärlichen Freistunden, die meine streng eingeteilten Tage jetzt gestatten, bearbeite ich meine Studien über die Staatsidee in populärer Form für Frauen, wobei ich freilich Ihre Kapazität als Norm angenommen habe und also vielerlei Vorwissenschaft verlange. Es wird eine historische Übersicht der wichtigsten Theorien von Aristoteles und Plato an bis auf Dahlmann und Walcker.

Durch die heut erfolgte Auflösung unserer Ständeversammlung, bevor sie die Mittel zum Fortbau der Staatsbahnen bewilligt hatte, ist meine Existenz wieder problematischer geworden denn jemals, und morgen schon kann die Ordre zum Einstellen des Betriebes und zur Einziehung unserer Stellungen erfolgen. Wenn ich nun genau wüßte, wo die Stelle meines moralischen Falles ist, wo dieser Puff hinfallen wird, damit ich mir dieselbe mit Gummi elasticum polstern lassen könnte; so werde ich ihn wohl auf die Rippen hinnehmen müssen. Wie Gott will! […]

Apparat

Zusammenfassung

dankt mit überschwenglichen Worten für ihren Brief, in dem sie offenkundig auf literarische Arbeiten von ihm eingegangen ist; ihm fällt es leichter, mit ihr über Literatur zu sprechen als zu schreiben, arbeitet an einer Studie über die Staatsidee in populärer Form für Frauen, bei denen er sie als Norm nimmt; ist besorgt über seine berufliche Zukunft wegen der Auflösung der Ständeversammlung

Incipit

Ihr Brief, teure Freundin, war reicher Segen für mich

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler

Überlieferung

  • Textzeuge: Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 326–327

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