Amadeus Wendt: Ueber Weber’s Euryanthe. Ein Nachtrag, BAMZ, 1826, Teil 4/6

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Ueber Weber’s Euryanthe.

(Fortzsetzung.)

Das Finale dieses Akts beginnt prächtig und in breiter, bequemer Bewegung, F-dur, (2/3 Allegro Moderato) mit dem Chor der Ritter, von Paukenwirbeln eingeleitet. Zwischen den lieblichen schimmernden Tönen der Geigen dringen die ernsten Stimmern des Männerchors mit angenehmen Kontraste hervor – nur dass die Melodie der letztern da, wo sie sich allzunah kommen und fast drängen, etwas verkümmert und somit dem Texte nicht ganz angemessen ist, nämlich in der Stelle, wo die Worte: „Stern der Anmuth, hold or Allem, strale mir durch jede Nacht,“ zum dritten Male wiederholt sind, und die Modulation von C nach F und von da zweimal nach B, und dann von F durch G-moll hindurch geht. – Der auf diesen Chor folgende, unbedeutende und dem Recitative sich nähernde Satz, in welchem der König Euryanthen bekomplimentirt, verwischt einen Theil des Eindrucks des Vorigen wieder, denn es giebt durch steife Deklamation manchen An|stoss. (Man lese nur die Gesangstimme bei den Worten: nichts trübe deine Ruh – es schützen mich die Stralen deiner Huld – bald heissen sie Euch alle willkommen.) Mit dem Eintritte Lysiarts (aus C nach Des-dur) geht die Handlung und mit ihr die Musik rascher vorwärts. Besonders trefflich gelungen ist es dem Tonsetzer, das bange Erwarten der Entscheidung (in der vom Fagott und den tremolirenden Tönen der Geigen begleiteten Modulation, in dem Gebiete von Des-dur) auszudrücken. Mit jedem Schritte begegnet man im weitern Fortgange dieses Musikstücks grossen Zügen in der musikalischen Karakteristik. Die steigenden Oktavgänge in den Geigen, gleichsam der Ausdruck des erregten Zorns des Adolar, welcher öfter in diesem Satze wiederkehrt, die abgebrochenen bang fragenden Töne Euryanthe’s, die Antwort Adolars durch die schon im ersten Finale und in der Ouvertüre, aber hier unter anderer Tonart, vorkommenden Melodie, welche das ritterliche Vertrauen ausspricht (schade dass es bei der Unterlage des Textes heisst: komm an mein Herz); das Staunen der Ritter in den furchtsam abgebrochenen Tönen des Chors; der sich (in gleicher Melodie) wiederholende Hohn Lysiarts, das angstvolle Gebet Euryanthe’s (in welchem der Tonsetzer in dem Kreise von Ges-dur so höchst meisterhaft und eindrucksvoll modulirt und die Posaune den Bass unterstützt) müssen jedem Aufmerksamen diesen Vorzug des Tonsetzers klar vor Augen stellen; aber was die Karakteristik in diesem ganzen Satze durch Wechsel der einzelnen Melodieen und der Modulation gewinnt, das hat nach meiner Ansicht das Tonstück an Einheit verloren. – Mit majestätischer niederschlagender Wirkung drückt der Chor seinen Unwillen aus in dem Ausrufe: Ha, die Verrätherin! (Des-dur) – und unmittelbar darauf im Piano den Schauder vor dem vereinten Verrath. Hiermit beginnt der schönste Theil des Finales, in welchem Alles mehr durch Harmonie und Melodie verbunden ist. Die Harmonie des Stimmquartetts (C-dur ¾ Larghetto) in welchem die Empfindungen der Handelnden einen ¦ Ruhepunkt suchen und der Chor die Begleitung bildet, ist äusserst schön, aber für die Stimmen so schwer, dass das Sinken einer Stimme das Ganze zur furchtbarsten Disharmonie machen kann, wie ich aus Erfahrung gesehen oder vielmehr gehört habe. Der Schluss

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ist unbeschreiblich schön. Im Anfange stört die unnatürliche Beugung der Melodie

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In dem folgenden Satze, in dem sich die Ritter erbieten, Adolar zu folgen, (nachdem Lysiart die Belehnung mit diesen Gütern empfangen) sind Solostimmen und Chor vortrefflich verbunden. Die unharmonische Folge aber

BAMZ, 1826, Nr.5, S.38, unten

stört das Ohr. – In dem Verlaufe dieses Satzes ist es interessant zu sehen, wie der geistvolle Komponist den Wechsel der Empfindungen motivirt. Der Chor singt: wir all’ sind dein mit Gut und Blut! und fällt dann zurück in die Verwünschung Euryanthens. Diesen Wechsel hat der Tonsetzer dadurch motivirt, dass er an die letzten Töne des Chors eine | Sextole, die sich gleichsam grollend mehrmals wiederholt, in den Orchesterbässen anschliessen lässt; darauf treten nun, diese Bewegung vollkommen erklärend, zuerst die Bässe des Chors ein: Ha die Verrätherin, und die übrigen Stimmen folgen nach. Freilich müssen die anfangenden Stimmen sicher eintreten, wenn diess den gehörigen Effekt machen soll.

Mit der bei Weber häufig vorkommenden Harmoniefolge,

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die durch scharfe Instrumente oft peinlich wird, kann mein Ohr sich nicht versöhnen. Der Schlusssatz hat eine Kraft u. einen Glanz, der Alles mit fortreisst. Die reissenden Figuren in den Violinen, das Einsetzen der Blasinstrumente, – alles verkündet, dass die Handlung einen Gipfel erreicht hat.

(Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Berlin, „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 23. Dezember 1825: Fortsetzung. Teil 4/6

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Berliner allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 3, Nr. 5 (01. Februar 1826), S. 37–39

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