Amadeus Wendt: Ueber Weber’s Euryanthe. Ein Nachtrag, BAMZ, 1826, Teil 6/6

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Ueber Weber’s Euryanthe.

(Schluss.)

Ein Kulminationspunkt des Gefühls ist nach der in abgebrochenen Tönen gegebenen Erklärung Euryanthe’s und nach den tröstenden Worten des Königs und seiner Ritter das Aufraffen des jungfräulichen Gemüths in einer fast unbegreiflich erscheinenden Stärke der Hoffnung und des Entzückens. Hier erhebt sich auch der Gesang zu kühner Steigerung und die Sätze haben mehr melodischen Zusammenhang. Man muss sich hier die gespannte Empfindung einer Athemlosen denken; dann erhält die Deklamation BAMZ, 1826, Nr.7, S.54, oben erst ihre vollkommene Bedeutung und Rechtfertigung.

Das Ausserordentliche der Lage hat auch zu ausserordentlichen Mitteln veranlasst, z. B. die Modulation BAMZ, 1826, Nr.7, S.54, unten das Hinstürzen Euryanthe’s, die Klage der Ritter schliesst diese Scene. Nach dieser Scene sticht die eigne und doch klar, heitere Melodie der Landleute hervor – der Rhythmus in der Mitte des Ritornells, in welchem die summenden Töne des Fagotts ganz eigenthümlich klingen, ist verwickelter und künstlicher, als es diese Melodie vertrug. – Gar freundlich antworten sich Ober- und Unterstimme am Schlusse der Melodie und bei diesen Maientönen verweilt das Ohr mit Vergnügen.

Die Scene zwischen Adolar und den Bauern, welche der matten Entwickelung der Handlung dient, hat wenigstens für die Musik das Gute, dass sie die unerträglichsten Kontraste auseinanderhält. Der Komponist hat sich dabei sehr klug benommen und in dieser mehr deklamirten Scene die Mittel gespart. Der Bau¦ernchor: „Vernichte kühn das Werk der Rache“ kann freilich die Aufmerksamkeit auf diesem Punkte der Handlung ebenfalls nicht mehr fesseln. Aber ganz zieht die Aufmerksamkeit des sich an musikalischer Karakteristik erfreuenden Hörers der nun eintretende Marsch auf sich, in welchem äusserer Glanz und innerer Zwiespalt auf’s meisterhafteste verschmolzen sind. Die schreienden Instrumente wirken dazu mit; stechende Dissonanzen und ein schwerer Rhythmus kündigen „das Frevlerpaar“ an.

Das Recitativ Eglantinens, in welchem sie dem Irrsinn nah ihren innern Zustand unwillkürlich verräth, ist in Hinsicht der Karakteristik eines der glänzendsten. Hier erhebt sich Weber zu der Höhe der shakespear’schen Schilderung im Makbeth. Die eigenthümliche Wendung der Posaunen in diesem Monolog; die Wiederholung der, die Geiststimme bezeichnenden Harmonie an dieser Stelle; der Ausdruck des Entsetzens im Chor, sind herrliche Züge dieser Schilderung. Wie ein luftreinigendes Gewitter wirkt darauf der majestätische Chor, in welchem alle Stimmen und Instrumente gegen die Frevler toben und brausen: „Trotz nicht Vermessener!“ Hier erscheint der Chor auf seinem höchsten Gipfel. Den Violinen ist viel zugemuthet. Das Ganze ist pompös; auch die in einander gehenden Septimenakkorde thun hier gute Wirkung. – Der Effekt ist kaum mehr zu überbieten.

Es ist Schade, dass hier noch einiges Gespräch, der dramatischen Entwickelung wegen, vorkommt, was zu einer fortlaufenden Melodie keine Gelegenheit bot. Denn das stete Einsetzen andrer Rythmen und Melodien und die nicht ruhende Modulation macht das Ohr bei aller karakteristischen Beziehung des Einzelnen doch endlich so matt, wie der stete Wechsel neuer Gegenstände den eilend Reisenden.

In dem Moderato assai, in welchem sich Eglantine expektorirt, ist das Ne quid nimis im Moduliren offenbar überschritten. Hier folgen in 13 Takten 13 verschiedene Akkorde, und darunter die grellsten Fortschreitungen: | BAMZ, 1826, Nr.7, S.55, oben 1 Alles bis zum Schlusse der Oper Folgende hängt in der Idee gut zusammen, erscheint aber äusserlich etwas abgebrochen. Dahin rechne ich jedoch nicht das kräftige Einsetzen der Jagdhörner nach dem Verhallen der klagenden Akkorde Adolars: BAMZ, 1826, Nr.7, S.55, oben 2 wol aber den Schluss der Vision Adolars und das darauf folgende Schlusschor. Dieses tritt nach dem ausgehaltenen C-dur-Akkord BAMZ, 1826, Nr.7, S.55, mitte 1 unmittelbar mit: BAMZ, 1826, Nr.7, S.55, mitte 2 ein, was mir immer einen unangenehmen Eindruck macht.

In dem vorher mit Wirkung wiederholten Duett finde ich die kleine melodische Phrase in Euryanthes’ Partie: BAMZ, 1826, Nr.7, S.55, unten 1 (und noch einmal wiederholt) nicht edel genug. – In dem rauschenden und dem Karakter nach ganz zweckmässigen Chore finde ich die rythmische Behandlung des Textes: BAMZ, 1826, Nr.7, S.55, unten 2 etwas anstössig, was um so mehr auffällt, da die letzten Worte, welche so kurz wegkommen, ein andermal auch so behandelt sind: BAMZ, 1826, Nr.7, S.55, unten 3 was natürlich richtiger ist. ¦ Indessen, der Schluss ist doch wirkungsvoll. –

Ueberblicken wir nun das Ganze, so müssen wir staunen über die ungemeine Reichhaltigkeit dieses grossartigen Werkes an Melodien, Rythmen und Modulationen, deren sich der geniale Tonsetzer in der Schilderung der verschiedenartigsten Stimmungen, welche sein Text veranlasste, bedient hat; und niemand wird ihm das Verdienst streitig machen können, das Höchste in der Schilderung durch Töne gethan und mit kühner Kraft gewagt zu haben. Aber wie es an sich begreiflich ist, dass wer bis an die Gränze eines Gebiets vordringt, die Mitte leicht verlieren kann, so ist auch hier nicht zu verwundern, dass die grossen gewaltigen Anstrengungen und das rastlose Vorwärtsschreiten zu immer neuen Schilderungen in dieser Komposition die Empfänglichkeit des Zuhörers zuletzt auf ähnliche Weise berühren, wie die physische Thätigkeit der Sänger und Spieler sich am Schlusse berührt finden muss. Es ist unmöglich für einen gebildeten Zuhörer, der den Wechsel der Stimmungen und Lagen der Personen aufmerksam verfolgt, durch diese Oper gelangweilt zu werden, aber leicht kann er durch dieselbe auf’s tiefste nnd mannigfaltigste ergriffen und doch ermüdet sein. Hier kann nur der Grad der Auffassung und Gewöhnung einen Unterschied hervorbringen. Indem aber der Tonsetzer unaufhaltsam den Gegenständen seines Textes karakterisirend nechgegangen ist, ist auch der Zusammenhang der Musik oft mehr durch diese Gegenstände, als durch die musikalische Entwickelung des Mannigfaltigen aus einer Empfindung bestimmt worden. Hierdurch in Verbindung mit den häufigen Scenen-Verwechselungen, Ausbesserungen und Trugschlüssen, welche nur einem sehrgewöhnten Ohre leicht aufzufassen sind, erkläre ich mir den Vorwurf, den Einige dieser Oper gemacht haben, dass es ihr an Melodie fehle. Ich finde diesen Vorwurf ungegründet, wenn von melodischen Sätzen überhaupt die Rede ist; indem ich vielmehr einen so grossen Reichthum neuer melodischer | Sätze in diesem Werke finde, dass ich kaum ein anderes der neuesten Werke damit zu vergleichen wüsste; – dagegen kann man wol Fluss der Melodie in diesem Werke vermissen; das heisst: die innere Entwickelung der melodischen Sätze aus einander, und aus grossen melodischen Grundgedanken (was die Musiker oft Durchführung oder Ausführung des Thema[s] nennen) ist in demselben weit seltener wahrzunehmen. Durch eine ausgebildete, nicht flüchtige vorübereilende Melodie interessirt der Tonsetzer vornehmlich in dem ersten Chor, in der Romanze Adolars: „unter grünen Mandelbäumen,“ in der Kavatine Euryanthens, der zweiten Hälfte des Duetts zwischen beiden Frauen und dem Finale des ersten Akts; dann in dem Andante der Arie Lysiarts im zweiten Akte, vornehmlich aber in der Arie Adolars, in der Kavatine Euryanthes: „Hier dicht am Quell,“ in dem Jägerchor, ihrer grossen Arie und in dem Mailied. Ausser diesen Stücken ist eine ausgesponnene (nicht gedehnte und naturlich entwickelte Melodie nicht anzutreffen. Meint man, das dies am Texte liege, so bedenke man doch auch, dass dieser Stoff im ganzen ein Minnestoff ist. –

Hierin liegt nach meiner Ansicht die schwächere Seite dieser Musik. Aber fragt man nun wieder, welcher jetzt lebende deutsche Komponist Pracht und Glanz und volksmässige Einfalt so klar und kräftig in der Musik wiederzugeben weiss und mit so poetischer Reflexion die ihm überlieferten Mittel verwalte und zur Karakteristik anwende, dann lernt man unsers Tonsetzers starke Seite kennen. Denen aber, die seine sinnige Arbeit nach einem äussern Maassstabe und durch Vergleichung mit andern, die sich in ihrer Gunst befestigt haben, zu beurtheilen geneigt sind, brauchen wir nur das Sprichwort zuzurufen: „Es ist gut, dass nicht allen Bäumen eine Rinde gewachsen ist!“

A. Wendt.

Nachsatz.

Nach der erschöpfenden Auseinandersetzung unsers hochverehrten Herrn Mitarbeiters bleibt für jetzt nur Raum, die meisterhafte Aufführung der Oper in Berlin zu rühmen. Unter dem wohlthätigen Einflusse des Herrn Grafen von Brühl ward sie so sinnvoll und dabei so glänzend ausgestattet, dass man schon durch das Aeusserliche in jene entlegene romantische Zeit und Umgebung entrückt war und der vorherrschenden Intention Webers, den Zeit- ¦ und Ortskarakter treu darzustellen, zugeneigt werden musste. Dass von Seiten aller Ausführenden, namentlich der Madame Schulz, Herrn Baders und Herrn Blume’s alles geschehen, die Oper gelungen und würdig auszuführen, ist schon bekannt. Die höchste Auszeichnung in Gesang und Spiel verdient aber Madame Seidler, die neben dem längst an ihr bekannten Liebreiz, in der Rolle der Euryanthe so innig gefühlten Ausdruck, so seelenvolle Belebung darlegt, dass wir nicht mehr blos der schönen Frau mit schöner Stimme, sondern der wahren Künstlerin unsere freudige Huldigung darbringen und bei aller Verehrung, die wir mit Herrn Hofrath Wendt dem Fräulein Sonntag zollen, nicht zu wünschen Ursach finden, Euryanthe durch eine andre Sängerin, als Madame Seidler kennen gelernt zu haben.

Marx.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Berlin, „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 23. Dezember 1825: Fortsetzung. Teil 6/6

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Berliner allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 3, Nr. 7 (15. Februar 1826), S. 54–56

Textkonstitution

  • „n“sic!
  • „e“sic!
  • „u“sic!

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