Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 28. Januar 1817

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Am 28. Januar. Maria Stuart. Histor. Trauerspiel in 5 Aufzügen von Schiller.

Recht erfreulich war es, zwei Meisterwerke unsers einzigen Schiller, sein frühstes und unreifstes dramatisches Produkt, so wie eines seiner spätern und reifsten Trauerspiele so schnell hinter einander auf unsrer Bühne erscheinen zu sehen und wer kritischen Sinn in diese Darstellungen mitbrachte, mußte sich zu höchst interessanten Vergleichungen fortgezogen fühlen, ohngefähr so, wie wenn er eines der Gemälde Raphaels, als er noch bei Meister Peter in Peruggia arbeitete, neben seine Madonna auf unsrer Gallerie gestellt sähe. Doch für diesen Raum und unsern Zweck würden Betrachtungen dieser Art zu weit führen. Wir müssen bei der Darstellung selbst und der Art wie sie geschah, stehen bleiben. Aber auch hier beschränkt uns der Raum. Wie könnten wir uns sonst enthalten, der trefflichen Künstlerin, welche die Maria Stuart gab, nicht ein ausgezeichnetes und durch Zergliederung ihres Spiels, welches in jedem Momente gemüthvoll und geistreich zugleich war, belegtes Lob zu spenden. Doch ist Mad. Hartwig als Darstellerin der Maria schon zu bekannt, um dieser Würdigung noch zu bedürfen. Auch über Demoiselle Christ, welche als Elisabeth viele sehr gelungene Momente hatte, müssen wir schweigen, da uns Herr Wilhelmi, welcher den Mortimer als Gastrolle gab, als eine neue Erscheinung in diesem Kunstkreise besonders beschäftigen muß. Er hatte in den beiden, dem heitern Gebiete und der Dichtkunst angehörenden Rollen, welche er hier bereits gegeben, unsern Beifall durch ein ihn begünstigendes Aeußere, Gewandheit und Innigkeit erhalten, nicht ohne gutes Vorurtheil sahen wir ihn als Mortimer auftreten, und fanden bestätigt, was wir gehofft haben. Seine Erscheinung war jugendlich angenehm, und dürfte sein Gesicht auch nicht für den Ausdruck der höchsten tragischen Erhabenheit sich eignen, so malte sich doch darinn mit gut neben einander gestellten Farben, der Uebergang aus einer Empfindung in die andere, in einem Style wie er der Tragödie angehört. Oft war auch seine Deklamation dieser angemessen, doch riß ihn der Augenblick nicht selten mit sich fort, und er fiel aus der gehaltenen Sprache des Kothurns in den leichten Ton des Sokkus, welcher unrettbar den hohen tragischen Eindruck zerstören muß. Gern möchten wir einmal ausführlicher darüber sprechen, wie schwer es überhaupt deutschen Künstlern gemacht wird, von welchen man fodert, daß sie im leichten Lustspiel frei dahin gleiten, im sentimentalen Drama Rührung erwecken, und in der Tragödie die höchsten Leidenschaften erregen und wieder kräftig stillen, ja vielleicht selbst sogar in der Oper noch durch ihren Gesang ergötzen sollen, während unsre Nachbarn in Westen und Süden für jede dieser so bestimmt geschiedenen Gattungen ihre besondern Künstler wählen, und solche Universalität, zum großen Vortheile des Kunststudiums und wohl der Darstellungen selbst, nicht verlangen, wenn nur hier dies geschehen könnte. Einzig sind wir Deutschen auch darinn, und wohl giebt es Männer, denen der Scherz wie die Trauer gelingt, die die komische Maske, wie den tragischen Dolch in gleich kunstreicher Hand führen können. ¦

Doch je seltner sie sind, um so mehr ehre man sie. Nun zu Herr Wilhelmi zurück.

Sein Vortrag des metrischen verräth eine gute Schule, und wir erinnern uns keiner Stelle, die er nicht dem Sinne gemäß richtig wiedergegeben hätte. Im ersten Akt in der Unterredung mit Marien schien er am befangensten zu seyn, und es wäre wohl möglich daß ihm einige Aenderungen im Text, welche hier für nothwendig erachtet worden sind, die Freiheit der Deklamation geraubt haben könnten, dagegen hat er uns im 2ten Akte in der Unterredung mit der Königin um so mehr gefallen, je kunstreicher er hier die innre Gluth, welche fortdauernd in ihm lodert, mit dem glatten Mantel des Höflings verdeckte, und nur erst dem edlen Ingrimm wieder freien Lauf ließ, als die Königin sich entfernt hatte. In der darauffolgenden Unterredung mit Leicester gelang ihm am wenigsten der höchstbedeutende Ausruf, wenn er diesen mit stummen Entzücken das Bild der Maria betrachten sieht: „Milord, nun glaub‘ ich Euch.“ Er sprach dies zu leicht hin: aber was liegt nicht alles in diesen Worten! Schmerzhafte Resignation, da er sieht, daß L. doch Marien liebt, und doch auch wieder der edlen Seele frohe Hoffnung, daß nun der Lord etwas für die Gefangne thun werde, Besiegung des Zweifels unmittelbar aus dem schärfsten Blick hervorgehend. Die Folge der Unterredung beruht auf diesem stark zu bezeichnenden Wendepunkte. Die als höchst schwierig anerkannte Scene mit Marien, nach der Unterredung mit der Königin, gab Herr Wilhelmi mit Wärme, welche doch ihre Gränzen kennt, verdienstvoll. Wir fürchten jedoch, daß uns der Darsteller in diesen Momenten nie ganz genügen wird, da das Zartgefühl zugleich mit der Wahrheit nur beim Lesen dieser Scene, wohl kaum beim Darstellen, wo körperliche Bewegungen sie begleiten müssen, verbunden bleiben kann. So begrüßten wir auch Herrn Wilhelmi freundlich bei seiner letzten Scene im vierten Akte, wo uns nur das Einwickeln in den Mantel nicht gefallen wollte. Schiller sagt blos: Mortimer kommt in der heftigsten Unruhe und blickt scheu umher. Die in den Mantel gehüllte Gestalt wäre gewiß den Wachen eben deshalb verdächtig gewesen. Und weshalb dieselbe, die freie Bewegung der Arme hemmende, Einhüllung noch ferner beibehalten, als er Leicester gefunden hat, und sich ohne Zeugen mit ihm findet. Eben die heftige Unruhe, in welcher Mortimer sich befinden soll, kann diese Beschränkung gar nicht dulden, und die Bewegung widerspricht durch sie der Rede. Mit Kraft und Freiheit sprach Herr Wilhelmi dagegen die letzten Reden an die Wachen, die ihn freilich nicht ganz ästhetisch fortzogen. Viel besser muß sich die Gruppe machen, wenn Mortimer die letzen Worte mehr im Hintergrunde – wohl eigentlich knieend im Gebete des letzten Augenblicks – spricht; dann, wie es Schiller sagt, den Wachen in die Arme sinkt, und nun vor einer gutgeordneten Gruppe der Vorhang zu dem darauf folgenden Zimmer der Königin herab sich senkt.

Dies einzige müssen wir noch erinnern, daß Herr Wilhelmi zweimal, Graf Aubespin aussprach, da es doch Aubespine – wenigstens in unserm gedruckten Exemplar – heißt.

Th. Hell.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden: „Maria Stuart“ von Friedrich von Schiller am 28. 1. 1817 mit besonderer Würdigung des Schauspielers Georg Wilhelm Wilhelmi

Entstehung

vor 6. Februar 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 32 (6. Februar 1817), Bl. 2v

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