Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 17. August 1817: Van Dyks Landleben von F. Kind

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Am 17. August (auf vieles Verlangen) im Königlichen Hoftheater in der Stadt: Van Dyck’s Landleben. Diese sechste Vorstellung war von denjenigen, welchen der Verfasser des Stücks beigewohnt hat, nach seiner Meinung, die im Ganzen gerundetste und gelungenste. Konnte schon bei selbiger, weil sie schnell beschlossen worden war, die von ihm für den Druck vorbereitete und der Direktion mitgetheilte Handschrift noch nicht benutzt werden, so fanden doch einige von ihm gewünschte Abkürzungen statt, und die Aufmerksamkeit der auch diesmal sehr vollzähligen Versammlung bewährte zur Gnüge, daß sich der Dichter in seinem Vertrauen zu dem kunstliebenden Dresdner Publikum, so wie überhaupt zu ächten Freunden und Freundinnen der Kunst, nicht geirrt habe. Die Besetzung der Rollen war, mit wenigen Ausnahmen, die bisherige; mithin bezieht sich Referent diesfalls auf die schon in frühern Blättern dieser Zeitschrift befindlichen Urtheile eines bewährten Kenners, womit auch seine Ansichten größtentheils übereinstimmen. Aber zu dem öffentlichen Anerkenntnisse dringt ihn sein Gefühl, daß auch diesmal sämmtliche Künstler ihre Rollen mit großer Liebe und rühmlichen Wetteifer darstellten. Aus diesem Grund enthält er sich denn auch, kleine Uebersehen hier zu rügen, mancher, wohl noch zu erfüllen übrig gebliebenen Wünsche zu gedenken, ja selbst, so schwer ihm dies letztere fällt, Mehrere vorzugsweise zu nennen. Nur in Hinsicht Lenchens und ihres Verlobten sey ihm eine Ausnahme gestattet. Die Darstellerin der ersten Rolle empfange den Kranz für die Uebrigen mit, wie auch die Kunst liebende und übende Versammlung – außer andern vorzüglichen Durchreisenden waren Oehlenschläger und Achim von Arnim in unserer Mitte – ihr denselben am öftersten zuerkannte; über die letztere ist hier um deswillen etwas zu sagen, weil sie in Hinsicht auf Oekonomie des Stücks nicht unwichtig und neu besetzt ist. Frau Schirmer hat schon vom Anfange her in der Rolle des Lenchens ihr allgemein anerkanntes, seltnes Talent sattsam bewährt; diesesmal überraschte sie selbst nicht selten den Dichter – und welch’ ein schwer zu befriedigendes Völkchen die Dichter seyn sollen, ist ja in jetzigen Zeiten oft besprochen worden. – Lenchen, ein reizendes Flamländisches Naturkind, steht im Gegensatz zu der auch niederländischen, aber vornehmeren Helena Rubens, noch weit schärfter aber zu Paola, der geistreichen, nur dem Himmel zugewandten Italiänerin; hier gilt es Niederländische und Italiänische Schule, reizende Wirklichkeit in zwiefacher Abstufung und hohe, ans Ideal streifende Schönheit. Dies, eine der Haupt-Ideen des Stücks, hob die treffliche Künstlerin diesmal noch weit lichter hervor, als früherhin, weil sie in den ersten Scenen Lenchen noch mehr, als das mit erlerntem Anstande und vornehmer Sitte unbekannte, zu Zeiten verlegen werdende Landmädchen darstellte. Allerdings ward hierdurch ihre Aufgabe um so schwieriger; aber die Besiegung die ¦ ser erhöheten Schwierigkeit mußte auch um so rühmlicher werden. Der allmählige Uebergang von ländlicher Unbefangenheit und Lustigkeit zur Berechnung mit sich selbst, von der Freude bei dem Gedanken, daß sie daß Van Dycksie liebe, zu der Ahnung, daß sie als Verlobte und Tochter unrecht handler, ihr Erschrecken, da sie nun an Van Dyck’s ernstlichen Absichten nicht mehr zweifeln kann, eine Ueberzeugung, die sie auf der andern Seite erhebt und zum offenen Geständniß in Gegenwart der Fremden ermuthigt, ihr Kampf zwischen Liebe und Pflicht (wo sie zuletzt nicht blos zu weinen schien), endlich der Sieg, den ein reines, tugendhaftes, frommes Gemüth gar wohl über sich selbst erringen kann – alles dieses in fast unmerklichen Abstufungen, und noch so Manches, was eine schärfere Zeichnung und genauere Zergliederung erheischen würde, als die Zeit gestattet, ward von ihr wahrhaft meisterhaft vor die Augen des Gemüths geführt, und der sie mehrere Male unterbrechende, zuletzt laut und allgemein ausbrechende Beifall muß sie überzeugt haben, daß das hier Angeführte nicht blos individuelle Meinung des Dichters sey. – Herr Wilhelmi, welchem anjetzt die Rolle des Niclas zugetheilt ist, hat in selbiger ganz den wackern, treu liebenden, tief gereizten, übrigens gar nicht unbedeutenden jungen Landmann – unbedeutend kann er nicht seyn, denn Humprecht, ein sehr ehrenwerther, und bis auf die Anwandlung des Hochmuths auf die Ehre, Regierer des Dorfs zu seyn, sehr einsichtsvoller Alter, hat ihn nach sich zum Schöffen bestimmt, Lenchen hat ihn geliebt, liebt ihn noch; sein Schicksal geht ihr nahe, es bestimmt sie! – ganz den frommen Sohn, ganz den, das Uebergewicht seines Nebenbuhlers fühlenden und offen eingestehenden, ja zuletzt um Lenchens Willen selbst zur Entsagung bereitwilligen Jüngling dargestellt, den die Dichtung verlang, und so wird wohl kein Vernünftiger dem Dichter den Vorwurf machen, daß man Lenchen dieses Purschchens wegen bedauern, daß man ihr schon um dewillen einen baldigen Tod wünschen müsse!*) – Bei einer etwa künftig statt findenen Wiederholung werden die vom Verfasser hie und da vorgenommenen Verbesserungen hoffentlich den bessern Beweiß abgeben, daß er freundliche Winke und gründliche Bemerkungen zu ehren wisse, und für den ihm gewährten Genuß Einheimischen und Fremden manche herrliche Schätze der Kunst, wovon unser Elb-Florenz einen so reichen Antheil in sich schließt, in einem, leicht übersehbaren und belebten Bilde, vor’s Auge zu führen, oder mit andern Worten, in Verbindung mit so talentvollen Künstlern eine dichterische Gemählde-Ausstellung zu geben, keineswegs unerkenntlich sey.

Th. Hell.

[Originale Fußnoten]

  • *) Etwas über die Lächerlichkeiten mancher namenloser Berichterstatter und Berichtiger, doch nur im Allgemeinen, vielleicht bald in einem für diese Blätter bestimmten Aufsatze: Ueber die Wiederkehr der Kritik zur Ehre.
    K.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Van Dyks Landleben“ von Fr. Kind am 17. August 1817

Entstehung

vor 28. August 1817

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Veit, Joachim

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 206 (28. August 1817), Bl. 2v

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