Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Das Taschenbuch“ von Kotzebue am 5. Januar 1818

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Am 5. Januar. Zum Erstenmale: das Taschenbuch, Drama in drei Aufzügen, nach einer wahren, einst zwischen dem Marquis Fouqué und Pelison vorgefallenen Anekdote.

Wir hatten an dem Titel zweierlei, an dem Stücke selbst aber nur eins auszusetzen. An dem Titel, daß der Name des Verfassers, Kotzebue, nicht genannt war, ob dies schon zu einigen artigen Vermuthungen auf ihre Lieblingsschriftsteller in dem Theile des Publikums, der sich für zu neupoetisch hält, um an den Meisterwerken Kotzebue’s noch Geschmack zu finden, Veranlassung gab, und dann, daß man eigentlich wohl nicht sagen kann, eine Anekdote sey vorgefallen, denn Anekdote ist nicht die Begebenheit selbst, sondern nur die kurze Erzählung einer vorgefallenen Begebenheit. An dem Stücke setzen wir aber aus, daß es nicht schon einen oder lieber noch mehrere Brüder und Schwestern neben sich hat, die uns eben so sanft rühren, herzlich erheben, und mild erheitern als dieses. Wir hoffen aber, daß der Dichter, der uns in diesem Werke abermals gezeigt hat, welcher Genius noch in ihm lebt, uns bald wieder und noch recht oft mit solchen Gaben beschenken werde. Von der Dichtung selbst aber auch weiter nichts als dies, denn schon ist von andern Orten her in diesen Blättern davon die Rede gewesen, und wenige Bühnen wird es geben, welche dieses brave Werk nicht schon aufgeführt hätten, oder sich noch bereiten es zu thun.

Also einige Worte blos über die Aufführung. Sie war in jeder Hinsicht eine gelungene zu nennen, und das Publikum erkannte sie auch vollkommen als solche an, indem es auch zuletzt noch, den wackern Darsteller des Mildau, Herrn Julius, und in ihm gleichsam auch die übrigen Mitkünstler herausrief. Die schwierigsten Charactere darin sind, außer Mildau, wohl unstreitig der Graf von Thurgau und der Baron Schwarzenthal. Ersterer von Hrn. Burmeister, letztrer von Hrn. Geyer gegeben. Thurgau’s Rolle erfordert besonders in den Scenen des letzten Akts einen braven Darsteller, der männliche Kraft mit tiefem Gefühl vereine, und den Uebergang von tiefer Verachtung gegen Mildau, bis zu der höchsten Achtung für denselben treffend bezeichne. Herr Burmeister that auch hier volle Genüge, und die hingerissene Versammlung brach in dieser köstlichen Scene mehr als einmal in lauten Beifallsruf aus. Schwarzenthals Rolle erheischt den täuschendsten Anstrich des Weltmanns wie des gutmüthigen Menschen bei der tiefsten Schlechtigkeit des Herzens, nur in den Monologen wirft er die Maske ab, die er freilich auch dem scharfen Blicke des Generals gegenüber nur mühsam vorhält. Alles dieses bezeichnete Herr Geyer trefflich, und selbst sein wohlgewählter Anzug, der ihm ein sehr vortheilhaftes Aeußere gab, und als Mann der großen Welt ankündigte, war recht passend. Freilich möchten wir bemerken, daß es viel¦leicht vortheilhaft für längere Erhaltung der Täuschung gewesen wäre, wenn der Schauspieler, welcher gewöhnlich die sogenannten Bösewichter giebt, diesesmal die in dies Fach gehörende Rolle nicht gehabt hätte, damit man nicht gleich bei Mildau’s ersten, ihn als braven Mann anzeigenden Scenen, schon die Ahnung einer Schlange gehabt hätte, die darunter verborgen liegen müsse. Herr Julius war als Mildau einfach, edel, glühend im Gefühl für Amalien, bescheiden wo er es bleiben durfte, aber, als es die Rettung galt, selbst keck und trotzig, um seinem Wohlthäter zu vergelten, wodurch die Schlußscene sich herrlich hob. Eine sehr schwierige Scene ist für Amalien die dritte des ersten Akts, wo sie gezwungen ist, sich Mildau selbst anzutragen. Mad. Schirmer gab sie mit gewohnter Zartheit, die um so milder ward, da sie bis zu dem Geständniß sich in lieblicher Naivetät mit dem Geliebten gleichsam neckte. Eben so schön stellte sie auch den darauf folgenden Auftritt mit dem Baron dar, wo in echter Erhebung des Gefühls sie diesem das Bekenntniß ihrer Liebe ablegt und ihn durch ihre Tugend nöthigt, auch tugendhaft zu seyn, wenigstens es in diesem Augenblicke zu scheinen. Gleiche Auszeichnung verdienen die heftiger bewegten Scenen mit Mildau im zweiten und dritten Akt. Mad. Hartwig gab als Frau Qiel ein höchst ergötzliches Bild voll Wahrheit und freundlicher Komik. Wie trefflich und allgemein anerkannt sprach sie die kleine Rede am Schluß der vierten Scene des dritten Akts, wo sie Mildau mit den Worten verläßt: „Nun es sey. Der liebe Gott mag es mir hoch anrechnen!“ Ihren Standpunkt hat der Dichter im Personenverzeichnis durch die Bemerkung, Amaliens erste Wärterin, sehr bestimmt bezeichnet, es auch noch durch mehrere Wechselreden der ersten Scene gethan. Sie ist Wärterin, nicht Erzieherin, folglich nicht aus einer höhern Classe als Gesellschafterin, sondern nur als alte treue Dienerin noch im Hause, daher sie nicht niedrig, aber durchaus auch nicht vornehm, sondern gutmüthig, freundlich, zudringlich seyn soll. Endlich sey des Künstlers gedacht, der den General Eichenkranz gab, Herrn Hellwigs. Er legte in seine Rolle das volle Gewicht, das sie hat. Der ernste Krieger ist zugleich mild, der Feind des Angeklagten ist zugleich der Freund des Biedermannes, der Befolger des harten Gesetzes haßt zugleich die, welche ihn zu dieser Befolgung zwingen. Mit edler Haltung und würdigem Anstand gab Herr Hellwig uns alles dieses, und vollendete dadurch den Kranz der heutigen Darstellung.

Hierauf folgten: Die Unglücklichen, die mit reger Laune und Lust aufgeführt wurden, besonders in den Rollen der Madame Freude, des geisigen von Sperling und der Emilie Falk, durch Mad. Hartwig, Herrn Geyer und Dem. Schubert. Einige Charactere des kleinen, immer noch ansprechenden, Stücks, möchten aber wohl eine Umarbeitung im Fortschreiten mit der Zeit erfordern.

Th. Hell.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Das Taschenbuch“ von Kotzebue

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 17 (21. Januar 1818), Bl. 2v

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