Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater und Linkesches Bad: 15. bis 18. August 1818 (Teil 1 von 2)
Am 15. August. In der Stadt: Cosi fan tutte. Mit Musik von Mozart.
Am 16. August. Auf dem Linkeschen Bade: Der Geisterseher. Kom. Singspiel in 2 Aufzügen, Musik von W. Müller. Eröffnete eine unerschöpfliche Quelle des Gelächters, welche durch die ganze Vorstellung strömte, und am Schlusse das Vorrufen des Herrn Geyer, als Heinzenfeld, und Dem. Julie Zucker, als Henriette, zur Folge hatte.
Am 18. August. In der Stadt. Zum erstenmale: Die Zwillinge. Trauerspiel in 4 Aufzügen, von Klinger. Für die Darstellung neu bearbeitet von August Rublack.
Wem, der mit dem Gange unsrer dramatischen Literatur nur einigermaßen vertraut ist, mußte es nicht eine sehr interessante Erscheinung seyn, hier ein Stück wieder auf der Bühne zu erblicken, das vor mehr als 40 Jahren eines Beifalls genoß, wie sich kaum eines vorher dessen auf der deutschen Bühne zu erfreuen hatte, das dem Geiste eines des glänzendsten Dichter der damaligen Periode frisch und regellos, aber um so kräftiger entströmte, und, an Shakespear wohl erinnernd, doch auch die ganze deutsche Kraft und Wärme in sich trug. Seit mehrern 30 Jahren hatte es aufgehört auf unsrer Bühne heimisch zu seyn, wohl auch auf fast allen andern. Die neue treffliche Ausgabe der Werke des genialen Klinger von 1815, mußte es selbst bei denen, die sonst leicht vergeßlich sind, wieder in Anregung bringen. Eine Beifall verdienende Achtung für ein hohes Verdienst müssen wir es daher nennen, wenn unsre Bühne den Entschluß faßte, auf dieses Meisterwerk früherer Zeit die jetzige Generation, die oft leider nur zu wenig mit ihren frühern dichterischen Heroen vertraut ist, wieder aufmerksam zu machen. Jene Sturm- und Drangperiode aber, wie sie eben auch nach einem Stücke Klingers benannt ward, ist in ihren Wortfügungen, in der Stellung des Dialogs, in unbewachten Ausdrücken, oft so sonderbar grell und, man möchte sagen, unbesorgt verwegen, daß hierbei die Frage entstand, ob man dieses Stück ganz in seiner alten Gestalt wiedergeben, oder Sprache und Haltung des Dialogs mehr dem Geschmack der neuern Zeit und selbst den jetzigen foderungen des Styls angemessen, anpassen sollte. Das Letztere schien unbedingt das Bessere, da sonst manches selbst ganz unverständlich, manches im Contrast der Gegenwart fast lächerlich gewesen seyn würde. Herr Aug. Rublack, uns schon durch ein eignes Drama bekannt, übernahm also dieses Geschäft, und er hat es, wie man ihm rühmlich nachsagen muß, mit Umsicht, Verstand und Liebe ausgeführt. Es ist im Dialog nichts Wesentliches bei den nothwendigen Verkürzungen ausgelassen, die originelle Farbengebung erhalten, und nur das allzu veraltete hinweggewischt worden. Gewiß würde selbst der wackre General Klinger, der noch jetzt in einem der ersten öffentlichen Aemter in Petersburg lebend, für Ausbildung der Wissenschaften in dem Weltreich Rußland als Curator der Universität Dorvat u.s.w. väterlich sorgt, mit diesem Theile der Bearbeitung und der dabei beobachteten achtungsvollen Schonung und Umsicht zufrieden gewesen seyn. Ob er es jedoch auch mit der Veränderung am Schlusse seyn dürfte, die der Bearbeiter unternommen hat, während alles übrige bis auf eine einzige Scene sich nahe an das Stück selbst anschließt, möchten wir wohl wissen. Warum wir es nicht ganz seyn können, legen wir offen, und mit Achtung für die ¦ gute Absicht des Bearbeiters, dar. Allerdings besteht der fünfte Akt Klingers, wie er im Original vor uns liegt, nur aus zwei kurzen Scenen, und kommt nicht mit der Ansicht überein, die wir uns von dem mit Recht machen, was sich in einem solchen größern Zeitabschnitt an Handlung oder Characteristik entwickeln soll. Es konnte aber dieser 5te Akt als 6te und 7te Scene sehr füglich, durch Abgehen Grimaldi’s und Guelfo’s in ihr Schlafgemach, und Anknüpfung desselben, nach der Verwandlung der Bühne, an die 5te Scene des vierten Akts zu einem zeitgemäßen Ganzen gemacht werden, ohne die wesentliche Veränderung vorzunehmen, die der Bearbeiter eintreten läßt, der mit richtigem Gefühl auch aus diesen zwei Akten Einen gemacht hat. Anstatt daß nämlich im Original – wie es übrigens Vorschrift der damaligen Preisaufgabe war, welcher dieses Trauerspiel, so wie Julius von Tarent und Galora von Venedig ihr Daseyn verdankten, und deren Wiederholung in ähnlicher Art mit bestimmter Tendenz wohl zu wünschen wäre – der alte Guelfo seinen Sohn tödtet, und mit dieser Handlung ohne weitern Dialog sich das Stück schließt, läßt der Bearbeiter dem jungen Guelfo von Grimaldi Gift geben, um ihn – wie er sagt – zu retten, zu heilen, und die schon zum Dolchstoß aufgehobene Hand des Vaters wird durch Grimaldi’s Entdeckung dieser That aufgehalten, Guelfo sinkt mit dem Ausrufe: Dank Dir, Du treuer Freund, Du milder Arzt! in Grimaldi’s Arme, die andern rufen einzelne Töne ihres individuellen Gefühls, und Camilla schließt das Stück, indem sie mit den Worten: glücklich sind die Todten! auf Ferdinando’s Leichnam sinkt. Abgerechnet, daß der Schluß dadurch an Kraft und Raschheit verliert, ist die Absicht des ganzen Stücks aufgehoben, zu deren Erfüllung das Rächeramt der Nemesis in die Hand des Vaters gelegt, durchaus nicht fehlen durfte. Er ist das Familienoberhaupt, nur er kann strafen; er ist rein an diesen Freveln, nur er kann richten; er ist der regierende Herzog, nur er kann retten durch den Tod, ohne selbst dem Gerichte anheimzufallen. Nur seiner Hand kann sich die Nemesis bedienen, wenn sie walten soll im ächten Sinne des Characters, der ihr gebührt, nicht der, des schwachen, selbst beleidigten, Guelfo’n, ob auch unwillkürlich, doch einwirkend zur Mordthat aufreizenden, und übrigens nur als Nebenperson im Stücke stehenden Grimaldi’s. Wir fühlen wohl, daß der Bearbeiter die Schrecken mildern wollte, wenn er nicht den Sohn vom Vater tödten ließ, aber hier galt es ein höheres Princip, wenn auch jene Milderung hätte erreicht werden können, und es scheint sogar, als ob dies nicht einmal der Fall gewesen sey, da die eintretende Hand der Gerechtigkeit – und diese ist die von Guelfo Vater, nicht die von Grimaldi – nicht dieses, sondern Ehrfurcht, ja selbst Beruhigung gewährt. Ueberdies ist durch diese Veränderung der Uebelstand herbeigeführt worden, daß Guelfo und Grimaldi nun auf der Bühne wenigstens anscheinend im Schlaf versunken bleiben, während Ferdinando’s Leiche hereingetragen wird, und Aeltern und Braut lange um sie trauern, ja der Vater selbst seine Wuth gegen Guelfo äußert, und die Mutter und er vielfach von ihm sprechen, ohne daß einer davon den Schlafenden, der doch ihnen so nahe liegt, den Mörder, den geliebten und verbetenen Sohn gewahr werden. Dieses ist auf jeden Fall unwahrscheinlich und störend, von Klinger aber weißlich vermieden, der im letzten Auftritt erst den Ritter Guelfo zu dem Leichnam hereintreten läßt.
(Der Beschluß folgt.)
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater und Linkesches Bad: 15. bis 18. August 1818 (Teil 1 von 2), dabei besonders über „Die Zwillinge“ von Klinger. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 205 (28. August 1818), Bl. 2v