Julius Rietz an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Dresden, Sonntag, 25. Januar 1874

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

Sehr verehrter Freund.

Ihren freundlichen Glückwunsch zum neuen Jahre erwiedre ich von ganzem Herzen. In aller Schnelligkeit und im Umsehen sind wir beide alte Herren geworden u. Sie gehören zu den wenigen Jugendgenossen, die noch athmen im rosigen Licht. Man wird zwar durch das Glückwünschen zum neuen Jahre vor keiner Gefahr u. keinem Unglücke bewahrt, es bleibt aber trotzdem eine gute alte Sitte und Sie werden sehen, daß ich sie in Zukunft nicht unbeachtet gegen Sie lassen werde.      Ihrem mir empfohlenen Fräul. Römer habe ich den besten Gesanglehrer, welcher hier zu haben ist, empfohlen. Ich wünsche sehr, daß er sich Beifall zu erringen weiß. Im übrigen habe ich von der Liebenswürdigkeit u. Bildung der jungen Dame keine besonderen Begriffe bekommen; gegen mich hat sie sich so spitz, vornehm, herablassend und kurz gezeigt, daß ihr Benehmen und ungezogen sein ziemlich identisch sind: Wofür Sie allerdings nichts können! —

Meine Kompletsammlung Weberscher Kompositionen vervollständigt sich denn mit jedem Jahre immer mehr. Was gedruckt ist, besitze ich wohl alles, von dem nicht gedruckten (kleinere Theaterkompositionen, Lieder) von Partituren größerer Instrumental u. Vokalwerke (die | Sinfonien, Konzerte für Pianoforte, Clarinette, Fagott, Horn, Bratsche, Violoncell), von den Festkantaten sehr vieles, ja das meiste. Die Messe in Es und das Offertorium in Es werden eben kopirt; das Offertorium in C befindet sich laut Katalog in der hiesigen Kirchenbibliothek; es will sich aber nicht finden lassen — bis jetzt! Sollte es durchaus nicht zum Vorschein kommen, so erlaube ich mir die Frage, ob ich die Partitur für kurze Zeit von Ihnen erhalten könnte, woran ich dann gleich die zweite Frage knüpfe, ob Sie mir überhaupt nicht mit altbewährter Freundlichkeit u. Güte zur Ausfüllung der Lücken in meiner Sammlung* die Hand bieten u. mir nach und nach das dazu nöthige anvertrauen wollten? Ich würde stets für schleunigste Rücksendung sorgen u. Ihre Schätze vor jeder Beschädigung schützen.      Auf beiliegendem Zettel erlaube ich mir meine desiderata zu notiren. Die unterstrichenen Werke würden mir die zunächst wünschenswerthen sein.      Unter den Kompositionen Webers für das hiesige Hoftheater befindet sich auch in Stimmen die Musik zu König Yngurd, wie Sie wissen. Ich habe sie mir kürzlich aus den Stimmen in Partitur gesetzt u. dabei Differenzen bezüglich der Taktzahl einzelner Sätze mit der Angabe in Ihrem Kataloge gefunden. Auf einem 2ten beiliegenden Blatte, schreibe ich daher die Oberstimme der Sätzchen ab, bitte Sie, dieselbe mit der Kopie in Ihrer Sammlung zu vergleichen, das Differente zu notiren u. mir dann das Blatt gütigst zu remittiren. Das Lied der Brunhilde findet sich aber | nicht in den hiesigen Stimmen*, es darf mir aber doch wohl nicht fehlen. Bitte! Bitte! Sie verstehen mich schon! Ein Stückchen Notenpapier, eine Viertelstunde genügt für 33 Takte.      Bei vielfachem Durchblättern Ihres Kataloges sind mir denn allerlei Kleinigkeiten bemerkbar geworden, die Ihnen mitzutheilen ich für Pflicht halte.

Daß der Besitzer des Autographs der Ouvertüre zum Beherrscher der Geister Ferd. Hiller ist, glaube ich Ihnen schon gesagt zu haben.

Ebenfalls daß die Aufzählung der beim „‚ersten Ton‘“ angewendeten Instrumente unrichtig ist, indem Weber nicht 3 Trompeten zu dem Werk gesetzt hat, sondern nur deren zwei, dagegen 3 Posaunen, welche Sie im Katalog gar nicht anführen. Wobei ich denn folgendes zu erzählen habe.

In einer hiesigen Musikalienhandlung sah ich vor einiger Zeit Orchester- und Singstimmen des Chors, mit dem „der erste Ton“ schließt*. Ich kannte das Werk garnicht, nahm die Stimmen mit nach Hause u. schrieb mir auf einen Sitz eine Partitur daraus zusammen. In der Instrumentirung fiel mir die Weber nicht eigene enge u. tiefe Lage der Alt u. Tenorposaune auf z. B. Notenbeispiel etc. statt Notenbeispiel etc. Vielleicht hat er damals noch nicht mit den Posaunen gut umzugehen verstanden, dacht ich! Später finde ich in der königl. Musikaliensammlung (Fürstenau) die Stimmen des ganzen Werkes* u. unter diesen Alt u. Tenorposaune von Webers Hand geschrieben u. zwar was den Schlußchor anbetrifft, gänzlich abweichend von der gedruckten Version. Ich kann mir nun nichts anderes denken, als daß Weber das Unwohlklingende des Posaunensatzes, wie er sich in den gedruckten Stimmen findet, gefühlt u. deshalb die Posaunen neu dazugesetzt hat. | Die Baßposaune ist unverändert, wie in der Simrockschen Ausgabe. Vielleicht wußten Sie das alles u. besitzen auch die von Weber geschriebenen Posaunen. Wenn aber nicht — wünschen Sie selbige zu haben? es soll mir ein Vergnügen sein, sie Ihnen zu kopiren.

Das Autograph des kleinen Musikstückes zu Donna Diana (no: 220 des Katalogs) ist mit der ganzen andern unächten Musik beim Brande des Theaters mitverbrannt*. Es lag im Theater, weil vorkommenden Falles daraus dirigirt wurde!!!

Das Lied „Sei gegrüßt, Frau Sonne mir“ (no: 225) steht nicht unter no 693 in Härtels Liederlexikon vom Jahre 1865 sondern „singet dem Gesang zu Ehren“. Vielleicht in einer späten Ausgabe.

Unter den zweifelhaften Kompositionen finde ich die Signale für die sächsische Armee nicht. Sie haben viel Webersches an sich u. nicht selten wird behauptet, sie seien von Weber, so daß sie wohl anzuführen wären*. Sie besitzen sie doch? — sonst come sopra.

Das Lied no 134 des KatalogsFrei und froh mit muntren Sinnen“ steht in den Liederanfängen (Pag 470) mit der Veränderung „Froh und frei“.

In der allgemeinen Übersicht der Kompositionen sind (Pag 20) die Nummern 77 und 78 umstellt, 77 als das Duett, 78 als die Polonaise angegeben. Im speziellen Verzeichniß (pag 90 u. 91) ist 77 die Polonaise, 78 das Duett.      Lauter Kleinigkeiten, die aber bei einer zweiten Auflage doch wohl zu berücksichtigen sind.

Die letzten beiden Nummern geben mir übrigens noch zu folgender Bemerkung Gelegenheit. Sie sagen | gelegentlich derselben, daß die Oper „Der Freybrief“ für welche Weber seine Stücke als Einlagen schrieb, wohl eine Komposition Jos. Hayd’ns sei, später wahrscheinlich — u. daß diese, wie viele seiner andern Opern verloren gegangen sein dürfte. Ich kann Ihrer Muthmaßung weder beistimmen, noch sie widerlegen, auch nicht die Annahme, daß viele Opern Haydn’s verloren gegangen sein dürften. So viel weiß ich aber, daß alle Biografen Haydn’s (auch der zuverlässigste unter ihnen, Griesinger) ihm 19 Opern zuschreiben, und daß die Titel dieser 19 Opern in einem sehr alten geschriebenen in meinem Besitze befindlichen Verzeichnisse sämtlicher Kompositionen H.’s angeführt sind, sich aber kein „Freybrief“ darunter findet.

Die Titel der Opern sind:

  • 1. La Canterina
  • 2. L’incontro improviso
  • 3. Lo Speziale
  • 4. Le pescatrice
  • 5. Il mondo della luna
  • 6. L’isola disabitata
  • 7. L’infedeltà fedele
  • 8. La fedelta primiata (??)
  • 9. La vera costanza
  • 10. Orlando Palatino
  • 11. Armida
  • 12. Acide e Galatea
  • 13. L’infedelta de lussa
  • 14. Orfeo ed Euridice
  • dazu die deutschen Marionettenopern:
  • 15. Genevefas 4ter Theil
  • 16. Philemon und Baucis
  • 17. Dido
  • 18. Die bestrafte Rachgier oder das abgebrannte Haus
  • 19. Der krumme Teufel

Hierunter ist kein Freybrief. Ich werde mir aber die Sache zu Herzen nehmen u. mich bemühen, etwas darüber zu erforschen. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn eine Oper, die noch in den Jahren 1808 bis 1810 in Stuttgart gegeben worden ist, jetzt schon ganz verschollen sein sollte.

Doch werden Sie mein langes Geschreibe herzlich satt haben, zumal es meistentheils nur Weisheit spendet.

Ich schließe daher rasch, sende Ihnen die besten Grüße, wünsche, daß Sie sich gesund und frisch durchwintern u. bitte Sie, meiner gern eingedenk zu sein Hochachtungsvoll ergeben
Ihr
Julius Rietz

Ein Zettel geht leicht verloren. Erlauben Sie daß ich mein Desideraten-Verzeichniß auf die noch leeren Seiten schreibe.

Nummern des Katalogs

No: 45. Rec u. Arie zu Rübezahl

77 Rondo für Tenor

„ 92 Das neue Lied

„ 111 Lied aus der arme Minnesänger

„ 116 Trauermusik

„ 119 Melodie ohne Begleitung

126 Tenor Arie mit Chor

„ 131 Sechsstimmiges Lied

„ 139 Kriegseid

149 Walzer für Blasinstr.

„ 163 Ariette Ihr holden Blumen

„ 180 Dreistimmige Burleske

183 Mein Weib ist capores

184 Frau Lieserl Juchhe

185 Originalwalzer

" 191 Tedesco

„ 193 Canon

194 Ariette der Lucinde

220 Zu Donna Diana

225 Sei gegrüßt, Frau Sonne

„ 250 Offertorium in C.

264 Agnus Dei

„ 288 Marcia für 10 Trompeten

291-292 Zwei Lieder für Männerstimmen

„ 308 Gesang der Nurmahal

Das ferner noch fehlende kann ich hier bekommen. Von den Instrumentirungen, Umarbeitungen fremder | Kompositionen (No: 162, 215, 216 etc) nehme ich Abstand. Doch noch eines. Glauben Sie, daß die Partituren der Nummern 186 u. 187 in den Originaldrucken* noch zu haben sind? Existirt die Vereinsbuchhandlung noch? Ich würde sie mir im Falle Ja augenblicklich besorgen lassen. En cas que non würde ich Sie um gütige Mittheilung auch dieser Stücke bitten müssen.

d.O.

Eben sehe ich noch, daß Sie das Autograph u. nicht blos eine Kopie der Musik zu Turandot besitzen. Bitte tausendmal um Verzeihung.

Apparat

Zusammenfassung

bespricht ihm aufgefallene Diskrepanzen zum Weber-Katalog und bittet, um seine Sammlung zu komplettieren, um kurzfristige Überlassung der aufgeführten Kompositionen, damit er sich Abschriften davon nehmen kann; macht auf Vertauschung der Nummern 77/ 78 auf S. 20 u. 90/91 des Kataloges aufmerksam; fragt, ob die Vereinsbuchhandlung noch existiere

Incipit

Ihren freundlichen Glückwunsch zum neuen Jahre erwidere ich

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Stockholm (S), Stiftelsen Musikkulturens främjande (S-Smf), Nydahl Collection
    Signatur: Ser. I, Nr. 3407

    Quellenbeschreibung

    • 4 DBl. (8 b. S. o. Adr.)
    • am oberen Blattrand der ersten recto-Seite von F. W. Jähns (Blei):
    • An Prof. F. W. Jähns      Dresden. 25. Jan. 1874 | von Dr. Julius Rietz. K. S. General-Musikdirektor

    Einzelstellenerläuterung

    • „… der Lücken in meiner Sammlung“Rietz’ Abschriften Weber’scher Kompositionen befinden sich heute in D-Dl, Mus. 4689-M-1.
    • „… nicht in den hiesigen Stimmen“Das Lied Nr. 11 wurde erst am 23. April 1817 komponiert, nach der Dresdner Erstaufführung (14. April 1817). Offenbar wurde es in Dresden nicht benutzt, sondern erst in Berlin (Erstaufführung am 9. Juni 1817). Daher fehlte es im (verschollenen) Dresdner Material.
    • „… dem der erste Ton schließt“Chorstimmen des Schlusschors, erschienen 1834 bei Simrock in Bonn (PN: 779.), u. a. in D-Dl, in: Mus. 4689-G-3a.
    • „… die Stimmen des ganzen Werkes“Orchesterstimmen, erschienen 1811 bei Simrock in Bonn (PN: 791.) mit zwei autographen Posaunenstimmen, D-Dl, Mus. 4689-G-3a.
    • „… beim Brande des Theaters mitverbrannt“Brand des Dresdner Hoftheaters 1869.
    • „… daß sie wohl anzuführen wären“Vgl. die Nachträge zum Werkverzeichnis, S. 72 (JV Anh. 103 B) sowie den Aufsatz in der AmZ 1878.
    • 264recte „273“.
    • 291-292recte „293-294“.
    • „… u. 187 in den Originaldrucken“Partitur-Erstdruck der Vereins-Buchhandlung Berlin von 1837.
    • Turandotrecte „Yngurd“.

      XML

      Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
      so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.