August Wilhelm Ambros an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Prag, Mittwoch, 1. November 1871

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Mein lieber, sehr verehrter Freund!

Tausend Dank für Ihren Brief, den freilich eine Freundschaft dictirt hat, wie ich sie re vera nicht verdiene! Aber ganz richtig ist Ihre Vermuthung, daß ich nach meiner Rückkehr nach Prag alle Hände voll zu thun bekommen habe, sonst hätte ich Ihnen ja schon längst geschrieben. Die Aufnahme, welche ich in Berlin bei Ihnen und durch Sie gefunden, steht bei mir in zu lieber und dankbarer Errinnerung, als daß ich nach den schönen und guten Berliner Tagen mir das Alles durch dringende Tagesereignisse und verdrießliche Geschäfte in den Hintergrund rücken lassen sollte. Im Gegentheil! Je widerlicher der Moment hier, um desto lieber flüchte ich mich in die Berliner Reminiscenzen zurück. |

Nur ist es, Gottlob, nicht die Politik, die bei uns schon etwas von einem durcheinanderschreienden Bedlam hat, um derentwillen ich kaum wüßte, wo Zeit zum Stiefelanziehen und Rockzuknöpfen zu nehmen. Neben meinen Pflichten qua Professor mußte ich über Hals und Kopf das Manuscript eines Buches fertig machen, das binnen heut und etwa drei Wochen in Ihren Händen sein soll (: ich will dafür sorgen, daß Ihnen der Verleger H. E. C. Leuckart alias Constantin Sander in Leipzig unmittelbar ein Exemplar zusende, um den Umweg des letzteren über Prag zu ersparen :) Sie werden gleich auf den ersten Seiten Ihren Namen mit jener herzlichen Liebe genannt finden, die ich für Sie hege*.

Uiber Ihr Buch lasse ich noch im November eine Recension de fond in der „Wiener Zeitung“ vom Stapel. Es ist ein sehr honettes, vielverbreitetes Blatt (: Regierungsorgan :). Meine Beziehungen zur „neuen freien | Presse“ habe ich gelöst, da ich nicht einmal die Zeit hätte für zwei Journale zu arbeiten – zudem in der n. fr. Pr. ich in Sachen der Musik doch nur „Beiläufer“ Hansliks war. A propos Hanslik! Denken Sie: er hat ein blutjunges Mädchen geheiratet. Der arme alte König, er nahm eine junge Frau! Alt ist H. eigentlich nicht, oder er ist es doch nur um den jungen Ehemann spielen zu können. Es ist mir in der That fast lieb, daß er in Ihrer Sache bisher nichts gethan, da ich bisher auch kaum im Stande gewesen wäre, für die bewußte Sache (—) etwas förderndes einleiten zu können.

Daß mir drängende Zeit es unmöglich machte, Ihre lieben Angehoerigen in Bodenbach zu sehen, und ich eilen mußte nach Prag zu kommen, habe ich von Herzen bedauert. Mit lebhafter Sympathie dachte ich an Ihre würdige Frau Gemalin, als ich Bodenbach im Eisenbahnfluge passirte. |

Ich hatte mich länger in Leipzig, Dresden und in Halle aufgehalten, als in meinem ursprünglichen Plan gelegen hatte. In Halle habe ich einen schönen Tag mit Robert Franz verlebt.

C. M. von Webers six pièces und huit p. a 4m werden bei mir sehr fleißig gespielt und bezaubern jeden der sie hört. Im Laufe dieser Tage sende ich das Manuscript meiner Pianofortesonate* an den Verleger nach Leipzig. Mary Krebs* spielte sie in ihrem vorjährigen Concerte hier mit sehr großem Erfolg (sie spielte sie aber auch sehr schön!) Ich empfehle das Opus, bis es erschienen sein wird, Ihrer Nachsicht. Sophie Menter soll nächster Tage hieherkommen und soll oder will (s’è vero!) mein Concert* spielen. Ich glaube es nicht eher, als bis nicht Oboen, Clarinetten Fagotte und Hörner zu intoniren anfangen Notenbeispiel Sollte diese in Aussicht gestellte Vorführung meines Werkes mehr sein, als nur eine concertistische Fata morgana, so melde ich Ihnen gleich den Erfolg.

Uiberhaupt sollen Sie ja zuweilen mit einer Epistel heimgesucht werden,von Ihrem treu ergebenen
A. W. Ambros

P.S. Meine Angehörigen empfehlen sich bestens! Von Xr bitte ich an alle die Ihren nur das Schönste und Beste zu sagen. Was macht der kleine Engel Lili? Denkt sie noch an den „Onkel aus Prag“?

Apparat

Zusammenfassung

dankt für Brief und erinnert sich an die schönen Tage in Berlin, weist auf ein in Kürze erscheinendes Buch von ihm hin, das Jähns vom Verleger zugeschickt werden wird, er wird gleich auf den ersten Seiten seinen Namen finden; berichtet, dass Hanslick ein blutjunges Mädchen geheiratet hat, verspricht im November in der Wiener Zeitung eine Rezension des Werkverzeichnisses zu schreiben

Incipit

Tausend Dank für Ihren Brief, den freilich eine Freundschaft

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Stockholm (S), Statens Musikbibliotek (S-Smf), Nydahl Collection
    Signatur: Ser. I, Nr. 62

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
    • am linken oberen Rand von Bl. 1r von F. W. Jähns (Tinte): „An F. W. Jähns, | in Berlin

Textkonstitution

  • „sollte“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… die ich für Sie hege“A. W. Ambros, Bunte Blätter. Skizzen und Studien für Freunde der Musik und der bildenden Kunst, Bd. 1, Leipzig 1872. Der Band beginnt (S. 1–24) mit dem Beitrag Der Originalstoff zu Weber’s „Freischütz“. Auf S. 18 bezieht sich Ambros auf das Weber-Werkverzeichnis des „unermüdlichen Weber-Forscher[s] F. W. Jähns“.
  • „… ich das Manuscript meiner Pianofortesonate“Sonate c-Moll op. 19, Wien: Gotthard, 1872.
  • „… nach Leipzig . Mary Krebs“Mary Krebs, verh. Brenning (1851–1900), Pianistin, Tochter des Komponisten und Dirigenten Karl August Krebs (1804–1880); Widmungsträgerin der genannten Sonate.
  • „… s'è vero! ) mein Concert“Das Sophie Menter gewidmete Klavierkonzert von Ambros gilt als verschollen.

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