Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 13. Februar 1817

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Am 13. Februar: Der neue Proteus, Orig. Lustspiel in 4 Aufzügen von G. Linden. Schon vor 8 bis 9 Jahren ward dieser Proteus auf dem hiesigen Königl. Theater aufgeführt, aber selbst das in solcher Art Rollen einzige Spiel des verewigten Opitz konnte ihm damals keinen Beifall erwerben. Auch Hrn. Wilhelmi, welcher den Baron von Lindenfeld diesesmal gab, wollte dieses, so mannigfach Gutes er auch in seinem Spiele entwickelte, nicht glücken. Das Stück hat ungemeine Längen, die Intrigue ist nicht neu, sondern nach den vier Vormündern gemodelt, und die Charaktere des Jakobs von Barfuß und Consorten erinnern an zu viele ähnliche, die wir schon auf der Bühne sahen, um Interesse erwecken zu können. Soll das Stück ja einen Abend lang leidlich unterhalten, so muß das Spiel darin ungemein rasch, in einander greifend und die Vorstellung wenigstens um eine Viertelstunde früher beendigt seyn, als es heute der Fall war. Herr Wilhelmi, den wir nach Ausweis des Anschlagezettels nun mit Vergnügen den unsrigen nennen, hat uns besonders im ersten Akte in seiner natürlichen Gestalt, und dann als französischer Windbeutel gefallen, führte aber auch die andern Charaktere mit Fleiß und Sorgsamkeit aus. Er ward ohnlängst in Maria Stuart auf eine Stelle aufmerksam gemacht, welche gleichsam der Schlüssel der Rolle sey, wir müssen diesesmal dasselbe thun, und ihm bemerklich machen, daß die Stelle in seinem Monologe am Schlusse des ersten Aktes, wo er nach der Unterredung mit Emma sagt: „Ich glaube, ich liebe sie! – Nein, nein, ich weiß es gewiß!“ der vom Dichter freilich ganz unmotivirte und unkritisch genommene Uebergang von dem bloßen Interesse der Neugier für Emma, zu dem der Liebe ist. Der Schauspieler muß daher hier dem Dichter nachhelfen, und in diese Worte so viele Mittelglieder der Reflexion und der Gefühle legen, daß es dem Zuschauer doch einigermaßen einleuchte, wie der unbefangene Lindenfeld so plötzlich zu diesem Bewußtseyn kömmt. Leichthin darf daher diese Stelle durchaus nicht abgefertigt werden, und am passendsten dünkt uns nach dem Zweifel, der in dem „ich glaube“ ausgedrückt wird, ein Seufzer, wenn der vorher Freie nun durch das „Nein, nein“ bekennen muß, daß er in Fesseln sey.

Der liebenswürdigen Künstlerin, welche die Emma von Seltau gab, erlauben wir uns folgende Bemerkung mitzutheilen. Emma von Seltau bleibt al ¦ lerdings stets und bei jeder Art des Spiels ein – man erlaube uns das Wort – widerhaariger Charakter. Soll aber das Mädchen uns nicht – fast unangenehm werden, sollen wir in ihr nur eine Schwärmerin, keine jeden Mann abstoßende Prüde sehen, so muß diese Rolle mit dem höchsten Aufwand von Laune, heiter, fröhlich, ja schier näckisch, das heißt, sich im necken gefallend, frei und rücksichtslos, aber ja nicht ihre Grundsätze recht ernstlich predigend, schwermüthig sentimental und feierlich sittenrichtend gegeben werden. So nahmen sie auch in den ehemaligen Vorstellungen dieses Stücks Mad. Hartwig und Mad. Brede.

Eben so ist es unerläßlich, daß der Vormund Louis von Barfuß nicht in antiker Hofkleidung, sondern in der modernsten französischen Tracht gehe. Das alte Gesicht in den jungen Kleidern soll ja eben den Spas machen, der durchaus nicht erreicht werden kann, wenn diese Kleider nach einem Geschmacke sind, der vor 50 Jahren Mode war. Er erkundigt sich ängstlich bei Lindenfeld nach dem neuesten Pariser Schnitte, drehet diesen um und um, damit er sich recht ein Muster daran nehmen könne, wundert sich über dessen sonderbar geformten Rockschnitt, wie kann er das aber, wenn dieser Rock, den Lindenfeld dem antimodernen Jakob zu Liebe anzieht, ziemlich eben so altmodig geschnitten ist, wie sein eigner. Nicht weniger ist das Polternde, Schnelle, sich Uebereilende, in den Worten Ueberschlagende ein nothwendiger Charakterzug des Herrn von Willmann, Vater, und nur dadurch allein kann sein Benehmen gegen den Sohn, der ihm knechtisch gehorcht, und sich wohl sogar noch vor körperlicher Züchtigung fürchtet – eine recht matt gezeichnete Liebhaberrolle – entschuldigt, und für die Bühne motivirt werden.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Der neue Proteus“ von G. Linden (Karl Stein) am 13. Februar 1817

Entstehung

vor 21. Februar 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 45 (21. Februar 1817), Bl. 2v

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