Aufführungsbesprechung Berlin 1827: 1. Konzert für Klarinette von Carl Maria von Weber (WeV N.11)
Mit den Concerten ist’s aus, mußte Referent innerlich rufen, als er vorgestern in den Saal trat. Die Erfahrung, daß selbst die berühmtesten Virtuosen keinen vollen Saal mehr anfüllen können, wenn sie nicht tausend Nebenmittel in Bewegung setzen, hat sich nun schon dreimal in kurzer Zeit wiederholt, und darauf gründet sich der obige Ausruf. Moscheles spielte, und hatte mehr unbesetzte Stühle als besetzte im Saal; Ferdinand Ries, den man nie hier gehört hatte, desgleichen; Hr. Bärmann, dessen Ruf als Virtuose durch ganz Europa bekannt ist, mußte dieses Loos ebenfalls theilen. Was aber ist die Ursach dieser Erscheinung? Sie ist wohl sehr complicirt; vorwaltend scheint aber die, daß bei der nur auf Besiegung äußerer Schwierigkeiten ausgebenden Virtuosität zuerst das Interesse daran verloren ging, daß darauf die Concerte eine reine Sache der Mode wurden, und es demnach gar nicht mehr darauf ankam, was man daselbst hören, sondern was man zu sehen bekommen würde. Zudem sind sie durch Deklamation *) und andere Ungehörigkeiten so entstellt worden, daß die Musik eigentlich immer nur die zweite Rolle dabei spielt, weshalb uns das unbefangene Urtheil einer Dame sehr passend scheint, die da äußerte: Es wäre ganz hübsch in den Concerten; aber so wie man im besten Gespräch sey, würde man durch die fatale Musik gestört. – Ja, so steht es, und nächst der Kunst bedauern wir dabei vorzüglich Hrn. Bärmann. Die große, unerschöpflich tiefe und reiche Sinfonie von Mozart hatte hier nur wenig Zuhörer anziehen können. Daran war aber vielleicht der Umstand Schuld, daß auf dem Zettel nicht stand: ganze Symphonie, und wir hier leider daran gewöhnt sind, immer nur den ersten Satz zu hören. Hierauf blies der Concertgeber ein sehr geniales Concert von Maria Weber, F moll. Der erste Satz, in Form einer Phantasie, zeichnete sich besonders durch effektvolle Behandlung des Orchesters, besonders der Pauken aus. Der chromatische Lauf am Schluß, von Hrn. Bärmann mit größester Zartheit vorgetragen, machte eine treffliche Wirkung. Im Adagio hatte man die Partie der Hörner dreien Singstimmen übergeben, welche Stro|phen zum Gedächtniß des verewigten Künstlers vortrugen; so sehr wir die Intention loben, so können wir doch nicht behaupten, daß die musikalische Wirkung ganz glücklich gewesen sey. Der Schlußsatz, höchst brillant, machte dagegen eine viel günstigere Wirkung auch auf das sonst sehr kalte Publikum. Hr. Bärmann entwickelte in diesem ganzen Concert eine außerordentliche Fertigkeit und Herrschaft über sein Instrument in allen, selbst den höchsten Regionen desselben. Sein Piano ist wunderschön, und die Verbindung seiner Töne äußerst kunstreich – aber alle diese schönen Mittel scheinen uns nicht immer mit Geschmack angewendet zu werden. Bisweilen wird Piano und Forte nicht der Sache wegen, sondern nur um des Gegensatzes Willen angebracht, und daher leidet natürlich der Charakter der Melodie. Doch man mißverstehe den Ref. nicht dahin, als sey dies vorwaltend fühlbar; im Gegentheil, die meisten melodischen Sätze wurden sehr schön vorgetragen, und das bisweilen darf daher gar nicht übersehen werden. Ein nicht ganz seltenes, zu starkes Herauspressen mehrerer Töne können wir indeß nirgend loben. – Zu seinem Bedauern mußte Ref. das Concert nach der zweiten Nummer, dringender Geschäfte wegen, verlassen, und kehrte erst zu der letzten Piece zurück. Es würde ihm alles lieber seyn, er hätte darüber nicht zu berichten, da es entweder in der Composition, oder an seiner Auffassung lag, daß ihm dieselbe so höchst zerrissen und oft sogar schlecht klingend erschien, daß er gar keinen Zusammenhang entdeckte, und auch der geschickte Vortrag der Herren Bärmann, Vater und Sohn, ihn nicht entschädigen konnte. Unter den versäumten Stücken bedauert Ref. besonders die Arie von Reissiger, die, dem Urtheil mehrere Sachverständigen nach, eine treffliche Composition, und von Herrn Zezi auch sehr gut gesungen worden seyn soll.
L. R.[Originale Fußnoten]
- *) Und was für Deklamationen! Wer deklamirte jetzt nicht, vom Philosophen Pittschaft bis auf Jocko herab. – Jocko? – Allerdings, da er weder in Paris noch sonst wo sich mehr recht auf dem Schauplatz halten kann, denkt er sich aufs Deklamiren zu legen; nisi fallimur, so wird er nächstens auch bei uns ein Deklamatorium veranstalten.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbesprechung Berlin: 1. Konzert für Klarinette von Carl Maria von Weber (WeV N.11)
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Heft 297 (19. Dezember 1827), S. 4