Aufführungsbesprechung Braunschweig: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 2. August 1822

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Nun aber ist’s Zeit, in das Schauspiel zu eilen. Der Freischütz wird heute zum 18ten Male gegeben:* dennoch war schon gestern, um Mittag, kein Logenbillet mehr zu haben. Es muß also ein Sturmlauf zur Eroberung des Parterre gewagt werden. Die Thüren springen auf. Wie durch den Mauerbruch einer Festung stürzt die dichtgedrängte Gewaltmasse feiner Herren und Damen drauf und drein. Wehe | den Damen, und drei Mal wehe den Kindern, welche nicht durch ein Bataillon quarré von tapfern, Rippen- und Standfesten Cavalieren in die Mitte genommen und solcherweise mitten durch die Bayonette der wachthabenden Schwarzen (denn die Braunschweigsche Soldateske trägt noch immer ihres letzten Herzogs Farbe) in das Innere des Hauses hineingefördert werden. Uebrigens muß zum Ruhm der Kriegsleute gesagt werden, daß sie in diesem in der That sehr unmanierlichen Gedränge heißer Liebhaber der schönen Künste sich sehr manierlich nehmen, und das Uebel mit vielem Geschick und großer Geduld nehmen, nicht aber, wie sonst wohl hie und da zu geschehen pflegt, durch Ungestüm vermehren. Gottlob! Jetzt sind wir drinnen, Vater und Mutter umarmen den geretteten Sohn, das noch vor Angst und vor Schmerz der erlittenen Drangsale weinende Töchterchen. Die Damen bringen den verschobenen Putz wieder in Ordnung. Riechfläschchen gehen von Nase zu Nase. Nach und nach blickt man in der Dämmerung um sich her, welcher Nachbarschaft man sich zu erfreuen oder welche man zu verwünschen habe. Zur rechten Seite des Referenten hatte sich ein wohlbeleibter, in Schweiß aufgelöster Brauherr niedergesenkt, der den Gang in diese Teufelsküche, wie er sagte, mit gränzenlosem Zorn verwünschte, weil man ihm auf seine Krähenaugen getreten und obendrein eine Tasche voll saftiger Birnen zerquetscht hatte. Für die linke Seite hatte das Geschick freundlicher gesorgt: denn hier hatte eine höchst liebenswürdige Dame aus Zelle Platz genommen, und bat für den noch ausgesperrten und unseßhaften Gatten so unwiderstehlich um etwas Raum, daß man wirklich ein Türke oder Türkengenoß hätte seyn müssen, wenn man nicht gern, auch mit eigener Aufopferung, Rath geschafft hätte. – Das Schauspielhaus ist hübsch. Es wird durch Argandsches Licht erleuchtet. Der einfache Vorhang zeigt statt wunderlicher Gemälde, wie man sie wohl hie und da erblickt, nur eine goldene Lyra. Das Orchester, vom talentvollen Wiedebein (im Halberstädtschen Dorfe „Eilenstedt“ geboren) dirigirt, trug Webers geistreiche Ouvertüre (die Krone des Freischützen) meisterlich vor. Der Vorhang flog auf, und es schritt nun der wunderliche Geist unserer Zeit, halb Teufel, halb Engel, über die Bret[t]er: doch guckte dermalen aus allen Winkeln weit öfter der Teufel hervor, als die lieben Engel. Der böse und der gute Jäger (ein herrlicher Tenor) und das gemüthliche Aennchen zeichneten sich aus. Chöre und Wechselgesänge gingen meisterlich zusammen: doch kam an regem, frischem Leben der Chor der Jäger dem der spottenden Bauern bei weitem nicht gleich. Hinsichtlich der Scenerei, welche an dem Braunschweiger Theater mit allem Recht gerühmt wird, möchte man wünschen, daß eines Waidmanns Zimmer im alten Schloß, wo die Ahnenbilder hangen, sich minder modern ausgenommen; daß die berüchtigte Wolfsschlucht lieber aus überhangenden Felsen, als aus Gebüschen, die nachmals nicht grausig genug zusammenstürzen wollen, bestanden; und daß die über den Wald ziehende wilde Jagd, die ohnedem gar zu leicht an „Schattenspiel an der Wand“ erinnert, ein wenig Hundegebell, Jäger-Hoho! und Hifthörner-Getön hätte mögen hören lassen; so, wie sie hier vorüberhuschte, war sie doch ein wenig zu zahm für eine wilde Jagd. Einige Peitschen, womit geklatscht wird, machen es noch nicht aus. Es soll hier nun einmal toll und ganz teufelmäßig hergehen. Es ist ein Fortissime. Davon darf man nichts abdingen. Ein Paar Ohnmachten in den Logen mehr oder weniger können hier nicht in Anschlag kommen. Wer nicht nervenfest ist, muß nun einmal aus unsern modernen Stücken voll Gespenster und Teufel hinwegbleiben. Nachdem der Teufel den bösen Jäger geholt und der fromme Eremit – man weiß freilich ¦ nicht recht, woher mit einmal er kommt – durch seine Predigt alles wieder gut und zur Hochzeit fertig gemacht hatte, konnte man denn wieder nach Hause gehen, und nun sagen, daß man den Freischütz doch nun auch gesehen, oder – was gewiß eine bessere Erinnerung schafft – gehört habe. Zu sehen ist sicher aber weit ergetzlicher die romantische "Preziosa," die ein Paar Tage nachher auf der Braunschweiger Bühne erschien. Die wurde – auch mit allem Schmuck und Glanz des Aeußerlichen – vortrefflich gegeben. Mögen manche Kunstrichter sagen was sie wollen, Hr. Wolff hat uns doch ein höchst liebliches Stück geschenkt. Mag auch manches mehr nur leicht angedeutet, als genügend ausgeführt worden seyn, dieses Spiel ergetzt doch auf das Anmuthigste, und somit hat es seinen Hauptzweck erreicht. Webers vortreffliche Musik trägt dazu auch hier das Ihrige reichlich bei. Wer an der Preziosa nicht ein herzliches Vergnügen findet, ist gewiß – und am meisten zu seinem eigenen Schaden – ein Grämler, sollte aber durch seinen Spleen nicht auch andern die Luft verderben. Das wirkliche Leben ist ja in seinen meisten Akten ernst genug, daß man es auch nicht gern einmal als ein heiteres Spiel vorübergehen sähe und – der Täuschung willig sich hingebend – einige Erquickung genösse. – Die Hauptrollen, besonders Preziosa, die Zigeunermutter und der Schloßverwalter, waren trefflich besetzt.

(Die Fortsetz. folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Braunschweig, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 22, Nr. 222 (12. November 1822), Sp. 1774–1776

    Einzelstellenerläuterung

    • „… heute zum 18ten Male gegeben:“Die ersten 18 Freischütz-Vorstellungen in Braunschweig fanden am 17., 18., 21., 28. und 30. Januar, 5. und 18. Februar, 1., 6., 18., 25. und 31. März, 9. und 15. April, 12. und 27. Juni, 14. Juli sowie 2. August 1822 statt.

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