Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 3. November 1821

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Theater.

Was auch die literarischen Aristokraten dagegen sagen mögen, das große Publikum weiß recht gut, was es in der Kunst und von der Kunst, namentlich in der Musik will, die so vorzugsweise eine allgemein-menschliche Kunst ist, und wenn auch eben das große Publikum mit seinem Verstande, mit seiner Beurtheilungskraft nicht immer auf dem Reinen seyn mag – sein Gefühl, sein innerer Sinn wird es meist gewiß richtig leiten. Der Freyschütz, dieser wunderliche Patron, der mit seinen Hexenkünsten nicht aufhört unser Theater zu überfüllen – der Freischütz ist seit mehreren Wochen auch in Wien gegeben worden, und hat auch dort sein Ziel nicht verfehlt, vielmehr, wie hier bei uns, gerade den rechten Fleck getroffen. Es hat die Oper in Wien wie in Berlin furore gemacht, und macht ihn täglich. So hat das wahrhaft Schöne überall die gleiche Wirkung. Die Wiener Kunstberichte, die nicht emphatische Worte genug finden können, ihren Liebling zu preisen, stimmen auffallend überein mit den Urtheilen, die verschiedentlich in diesen Blättern über dies in der Geschichte der deutschen, romantischen Oper Epoche machende Werk gefällt worden sind, und bei dem ungemeinen Interesse, das die Lieblings-Oper unter allen Berliner Lesern unserer Zeitung erregt, glauben wir sie einen Augenblick passend mit den Resultaten der Wiener Darstellung zu unterhalten.

Der Freischütz ward am 3ten November v. J. zum Namensfeste Ihrer Maj. der Kaiserin in einem Haupttheater (Kärnthnerthor) in Wien zum erstenmale gegeben. Enthusiastischer, südlicher Jubel begleitete die Musik vom ersten bis zum letzten Stück, und dieser Effekt ging, wie in Berlin, steigernd mit jeder der sich oft wiederholenden Vorstellungen. Der originelle Scherz- und Spott-Chor, Caspar’s wunderbar herrliches Meisterlied, der liebliche, süße „Jungfernkranz“, und der echt Webersche Jägerchor im 3ten Akt werden immer da Capo verlangt. „Wenige Tonsetzer alter und neuer Zeit“, ruft ein Wiener Kritiker aus, „haben den Charakter der (schwachen) Dichtung so glücklich aufgefaßt, sind in den Geist des Romantischen, das eigentliche Element der Musik, so tief eingedrungen, als der Komponist des Freischützen. Dieses Werk beweist mit siegreicher Klarheit, daß der Genius Mozart’s noch nicht erschöpft ist. Jede Einzelheit in dieser Composition trägt den Stempel der Genialität, der Meisterschaft an der Stirn.“* (Doch finden eben diese Wiener Berichte, mit unserm frühern Urtheile übereinstimmend, den Canon im Terzett des 2ten Akts, Annchens Ariette „einst träumte pp.“ und den Schluß der Oper weniger genial und befriedigend.) „Welcher Reichthum der Harmonien, der Instrumentirung, der so genial angewandten Dissonanzen! Wer hat seit Gluck und Mozart dem furchtbaren Geisterreich diese Stimmen verliehen! Wir können uns nicht genug über das Gelingen dieser körnigten, echt deutschen Arbeit freuen, die Kenner und Laien mit vollem Rechte entzückt, und die dabei auch den musikalischen Rigoristen ein Muster aufstellt, wie wahre Kunst mit dem Zeitgeschmacke schreitet, ohne sich von ihm am Gängelbande leiten zu lassen. Ehre, hohe Ehre dem Genie, das diese Bahn gebrochen, und triumphirend modernen Wust verschmähet!“*

Bei dieser Gelegenheit erzählen wir mit neidischer Freude, mit patriotischem Bedauern, daß die Wiener es bei diesen Anerkennungen nicht haben bewenden lassen, und daß sie Herrn v. Weber in ihre Kaiserstadt berufen haben, um ihnen eine Oper zu schreiben, die wir doch aber wenigstens dereinst, wenn auch aus der zweiten Hand, zu erhalten hoffen dürfen. – – – –

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Berlin: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 4 (8. Januar 1822), S. 4

    Einzelstellenerläuterung

    • „… der Meisterschaft an der Stirn.“Vgl. den Beitrag in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode vom 13. November 1821.
    • „… und triumphirend modernen Wust verschmähet!“Vgl. den Beitrag in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode vom 29. November 1821.

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