Aufführungsbesprechung Berlin, Königliche Schauspiele: „Abu Hassan“ von Carl Maria von Weber am 28. Juli 1813

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Königliche Schauspiele

Am 28sten Juli zum erstenmale: Abu Hassan. Singspiel in einem Akt von F. K. Hiemer. In Musik gesetzt von Carl Maria v. Weber.

Aus dem „erwachten Schläfer“ einer Episode von den unerschöpflichen Mährchen der Scheherazade, bekannt unter dem Titel: Tausend- und eine Nacht. ist der Stoff und anatomirt folgender: Abu Hassan, Liebling des Kalifen, hat mit seinem jungen Weibchen Fatime alles verschwendet und wird von seinen Gläubigern, dem wüthigen, zuletzt geprellten Omar an der Spitze, geplagt. Er kommt auf den Einfall: daß er und sein Weibchen sich todt stellen wollen, er verscheidet zuerst; sie läuft wehklagend zur Sultanin Zobeide und bekommt Goldstücke zum Begräbniß, dann verscheidet sie, er läuft zum Sultan und empfängt dort Goldstücke. Unter den hohen Häuptern entsteht eine Wette; wer gestorben ist, zur Ueberzeugung sendet der Kalife den Kämmerling, da ist sie todt, Zobeide schickt die Amme, da ist er todt, die Beherrscher kommen selbst, da sind beide todt und als der Kalif 1000 Goldstücke bietet, um zu erfahren: wer zuerst gestorben sey, ersteht Hassan, um ¦ zu sagen: daß er es sey. Der Spaß gelingt und Hassan bekommt wieder Gold. – O goldene Zeit, wo das geschah: ruft man aus, wenn man das Beste so wegwerfen, wenn man die Menschen zum Nehmen, nicht zum Geben requirirt und sogar den Betrug belohnt sieht, was sich heut zu Tage der Betrug freilich bequemer macht, – er lohnt sich von selber! Die Bearbeitung ist anfangs gedehnt, hat holprigen Dialog und Unnatürlichkeiten der Rede, als etwa die von den fünften Akten der Trauerspiele, die nicht zeitgemäß ist. Wird klug und hinlänglich gestrichen, mit Schonung manches guten Einfalls, so bleibt, bis zum humoristischen Ende das Ganze recht unterhaltend, wenn auch die Poesie nicht eben aufglüht. – Die Musik deutet unverkennbar auf reiches Talent und tiefes Denken, wenn beides auch zuweilen zu einiger Verkehrtheit und Verschwendung der Mittel reizte. Dem Ueberdrange der Fähigkeit und den Gewaltsprüngen entwöhnt man sich durch gewonnene Ruhe, Genie selbst nur kann man sich nicht angewöhnen und so müssen wir dem wahrhaften Talente in seiner reineren Bildung folgen, nicht es verfolgen. Was Dichter und Componist niemals aus dem Geiste verlieren müssen, den Zeit-Charakter bedenkt der Componist recht gut, obgleich Mussali *) der berühmte Componist des Kalifen Harun Al Raschid zuweilen den Mangel der Einfachheit beklagen würde, besonders bei der Arie Nr. 5. Am vorzüglichsten gefielen mir die Ouvertüre, der Chor Nr. 3. die Duette 4. und 6. und auch der, erst einschwebende, dann einstürzende Marsch bei der Ankunft des Kalifen. – Mad. Eunicke (Fatime) zeigte überaus jugendliche liebenswerthe Laune, was um so erfreulicher wird, wenn man jetzt bei mehreren jungen Leuten, besonders bei den Männern, zuweilen Tortur-Lustigkeit bemerkt. Die geehrte Künstlerin sang auch mit achtungswerther Sorgfalt, wenn auch mit einiger Mühe, der Componist hat es den Sängern nicht erleichtert. Hrn. Rebenstein (Hassan) ist die Partie, besonders im Anfange, ohnfehlbar zu mächtig, er leistete, was er vermochte, ich bin überzeugt, er gäbe sie gern ab, aber wer sollte sie spielen? – Hr. Gern sang und versinnlichte den Omar recht verdienstlich, die übrigen Personen haben sich nur im Aueßern zu zeigen. Das Ganze war auch von der Direktion gut ausgestattet und gefiel mit Recht.

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Bloß die originelle Musik und das lebendige Spiel der Madam Eunicke als Fatime, und der Herren Rebenstein u. Gern als Hassan und Omar können dies Singspiel erhalten. – Die Ouvertüre ist charakteristisch, mit türkischer Musik, nur zu oft durch gesuchte frappante Modulationen barock und zu reich an vielen Gedanken, von denen nur das Anfangs-Thema durchgeführt ist. – Ausgezeichnet: sind die Piecen Nr. 3. Chor der Gläubiger (wurde obgleich sehr schwer, gut ausgeführt) Nr. 4. Das unterhaltend durchgeführte, nur etwas zu lange Duett und vorzüglich die Arie Fatimens Nr. 5. sehr zart mit obligatem Violoncell begleitet. Auch das folgende Duett Nr. 6. ist mit Laune gehalten, die obligate Violin am Schluß ist indeß nicht von besonderer Wirkung. – Der Text zu den Gesängen ist so trocken und unpoetisch als möglich: wie können Verse wie z.B.

H. "Liebes Weibchen, reiche Wein.F. Weder weißen noch rothen,Mahomet hat es verboten. &c.["]

und

und "Thränen sind der Thau der LiebeUnter welchen sie gedeiht,Und die WässeredlerTriebeTreue und Beständigkeit." &c.

| den Componisten begeistern? – Wenn dennoch seine überreiche Phantasie sich anziehende Harmoniegebilde schuf, so gebührt ihm allein der Kranz des Schönen. – Die Arie Hassans Nr. 2. ist viel zu lang, wie auch das Terzettt Nr. 7. und die Musikbegleitung überhaupt so schwierig, daß die Ausführung dem Dirigenten und unserem Orchester alle Ehre macht.

Melos.

[Originale Fußnoten]

  • *) Er heißt der berühmteste Tonsetzer der Mohamedaner, ein Schüler des Ali-Zeriab von Cordova, wo eine gelobte Musikschule war zur Zeit der Mauren.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 92 (3. August 1813)

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