Aufführungsbesprechung Hannover: „Der Freischütz“, Aufführungsserie ab März 1822, Teil 3/3

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(Webers Freischütz in Hannover.)

(Beschluß.)

Trefflich ist unsere Wolfsschlucht. Der hinten brausende Sturzbach zwischen ungeheuern Felsgruppen, über welche sich eine gebrechliche Schweitzerbrücke legt, und über der der Mond hängt, macht einen schaurigen Anblick. Nur die alte Weide von Scheinholz, leuchtend, ist gänzlich verfehlt, ihr Licht ist statt weiß, feuerroth und zackigt, und wer das Stück nicht vorher las, muß ein Oedipus seyn, will er errathen, was sie seyn soll. Die Eulen, welche fleißig mit den Flügeln arbeiten und die Augen grimmig rollen, sind etwas zu colossal gerathen, sind wahre Giganten und Hünen vom Geschlecht der Uhus oder der Strixbubo. Gewinnen würde diese Decoration annoch, wenn die steile Klippe, an welcher Max herabklimmt, anders wäre. Wir sehen oben nur Maxens Kopf; warum steht er nicht frei, und hält sich droben an einem einzelnen Fichtenstamm, der auf der kahlen Höhe, die etwas niedriger seyn könnte, sich gut machen würde? Warum ist der Fels nicht überhaupt so eingerichtet, daß man den Burschen draußen herunterklimmen sieht? Die Schauer der Scene würde[n] dadurch gemehrt werden, und die Einrichtung kann nicht schwierig seyn.

Der Casper soll dem Dichter zu Folge, seinen Zauberkreis aus weißen Feldsteinen bauen, und nur einen Menschenschädel bei der Beschwörung gebrauchen. Unsere Wolfsschlucht wäre eine herrliche Fundgrube für Schädelsammelnde Naturforscher, für einen Gall oder Göttingens Illustrissimum Blumenbach, denn Caspar legt den ganzen Kreis aus einem vollen Dutzend schneeweiß gebleichter Todtenköpfe zurecht. Wie diese in solcher Anzahl in das Wolfsthal kommen, bleibt ein Räthsel, und es macht dem zahlreichen Jägertrupp keine Ehre, daß die Wölfe der Gegend so kecke Menschenfresser seyn dürften, und in ihren Lägern ein ganzes Golgatha, eine reiche Schädelstätte zusammentragen konnten.

Die beiden Erscheinungen der Mutter des Max und der Agathe kommen bei uns in zwei entgegenstehenden, symmetrischen Felsenöffnungen zum Vorschein. Beide sollen dem Max gegenüber an derselben Stelle sich zeigen, die Erste sich in die Andre verwandeln, das bestimmt schon Caspars Ruf: „Schau noch einmal hin!“ – Ist das den Maschinisten unausführbar, so könnte allenfalls in der Felsenspalte, in der Agathe erscheint, der Geist der Mutter im Sarge sich hebend hervorkommen, und dicht dabei auf der Brücke des Waldbachs selbst Agathe hervortreten. Die Stellung wäre angemessener, der Sinn deutlicher.

Samiels Auftritt in der Schlucht ist voll Effekt. Vorn nemlich öffnet sich die Klippe. Man erblickt einen rothglühenden Schlund, und drinn der Samiel wie aus Feuer erschaffen, in kühner Stellung, und seine Antworten mit herrischer, scharfer Kreischstimme sprechend. Vielleicht hat keine Bühne einen solchen Samiel wie wir; Herrn Hellings kräftige, markvolle Figur, übergroß, mit rollenden Blitzaugen und scharfen Gesichtszügen, eignet sich trefflich für diese Person der Legende. – Die Spukgestalten während des Kugelgießens sind wohlgeordnet, und thun ihre Schuldigkeit. Bei der ersten Kugel läuft ein ungeheurer Eber am Kreise hin; Raben und sehr natürliche Fledermäuse umflattern das Kohlenfeuer. Bei der zweiten flackert ein halb Dutzend Irrlichter über den Raum. Bei der dritten wandelt ein Skelett, eine Fackel | tragend, vorüber. Bei der vierten rollet Satans Equipage vom Felsen herab und wiederum Fels hinan, ein schöner transparanter Wagen, der nur, statt in blau und grün, mehr in roth und gelb gehalten seyn könnte, und dem der Vorspann fehlt, zu dem man einige geflügelte Schlangen, oder ein leuchtendes Geyerpaar hätte erfinden mögen. Bei der fünften erscheint in der Luft über dem Waldbach das wilde Heer, Skelette von Hirschen, Hunden und Menschen, durch eine transparente Drehmaschine sehr gut gebildet. Bei der sechsten stürzen zwei furchtbare Drachen aus dem Felsen hervor, und überströmen die Schlucht mit einem Feuermeere; und bei der siebenten bricht ein Orkan herein, der Regen prasselt, der Wind heult, große Baumzweige schlagen überall herab; Max ruft Samiel, stürzt nach dem Weidenbaume zu, sich daran zu halten, die Weide versinkt, der Höllengeist steht an ihrer Statt vor ihm. Max flieht zurück, stürzt ohnächtig im Kreise nieder, und mit ausgestreckter Faust und wilder Geberde steht Samiel am Rande des Kreises, und streckt gierig den Arm nach dem Opfer; da schlägt es Eins, und der Vorhang fällt. – Von welchem Thurme man hier in der Wolfsschlucht, tief im Walde, fern von Stadt und Dorf, mitten im Sturm und Orkan, Zwölf und Eins schlagen hört, muß der Dichter aufklären, nicht ganz wahrscheinlich ist die Sache. – Am wenigsten hat die Schlußdecoration unser Publikum angesprochen. Das Zelt im Hintergrunde als Centralpunkt der Blicke, und der kahle Baumstrunk mitten auf dem Platze, sind für diese Oper und ihre Romantik zu arm und phantasielos erdacht. Das Fürstenhaus müßte rechts stehen, vorn soweit es die Verwandlung zuläßt; gegenüber dicht an der Coulisse der Baum, welchen Caspar besteigt, eine hohe grünende Eiche, nur mit einem abgestorbenen Absatze, worauf Caspar demnächst Platz findet. Nicht weit davon, mehr hinten, stünde der zweite Baum, worauf die Taube sitzt, und dahinter erhöhe sich eine gangbare Felsengegend. Bei dem Ausruf Caspars: „Sie kommt!“ sähe man Agathe mit den Brautjungfern vom Felsen niedersteigen, und wie ein schützender Seraph stünde schon da der Eremit oben hoch auf der Felsenkuppe mit ausgebreiteten schirmenden Armen. Der Schrecken über den Schuß, bei dem Max zielend nach der fliegenden Taube sich nicht einen Kreisel gleich umzudrehen bedürfte, da der Baum der Taube und Caspers Baum fast in einer Richtung stehen, wirft Agathe nieder, man sieht es, man bleibt in Zweifel wer getroffen sey; alles das erhöht die Spannung und Theilnahme, statt dessen uns, da wir die Agathe erst nach dem Schusse herbeiführen sehen, und der Eremit ganz zuletzt gar sonderbar auftritt, Alles zu errathen und Vielen vieles Dunkel für immer bleibt. „Ich sah den Klausner bei ihr stehen!“ singt Caspar, schon das rechtfertigt unsre Ansicht. Caspars Höllenfahrt ist bei uns gegen des Dichters Willen verwirklicht; Samiel nahm Anfangs den Sterbenden mit hinab in den geöffneten Erdboden; später sank er verschwindend hinter ein Felsstücke, auf dem er in Zuckungen gelegen. Beides ist nicht genügend. Der Dichter will durch die Erscheinung Samiels, während Caspar stirbt, nur Andeutung geben, daß die fliehende Seele Eigenthum der Hölle wird. Die dabei Stehenden dürften die Anwesenheit des bösen Geistes gar nicht bemerken, und des Fürsten: „Werft den Leichnam in die Wolfsschlucht!“ gehört als genügend und befriedigend Urtheil zu der Rundung des Romans; „wo der Bube sündigte, da vermodere er auch in Schande.“ Das Stück spielt nach dem dreißigjährigen Kriege, uns zu nahe, um durch Zauberspiel das Romantische stören zu dürfen. Auch ist die Fortschaffung der Leiche, um alles Lächerliche, was bei dem Forttragen leicht stören kann, zu vermeiden, durch das vortretende Jägerchor ohne Schwierigkeiten zu verdecken. – – Was bisjetzt gesagt wurde, darf dem Referenten nicht als Mäkelei oder Tadelsucht ausgelegt werden; wir erwähnten schon wie das Publikum überrascht und befriedigt war; aber diese Bemerkungen über ein meisterliches Kunstprodukt Deutschlands, das stehend bleiben wird für unsre Zeit, können vielleicht nützlich seyn zur Vervollkommnung der Darstellung des Freischützen, selbst auf Bühnen, wo er schon gegeben ward, noch mehr für Theater, die ihn noch geben werden, und so sind sie ohne Anmaßung niedergeschrieben zur Prüfung des Kundigen.

W.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung des Freischütz in Hannover, Teil 3/3

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler; Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Das Sonntagsblatt, eine vaterländische Zeitschrift zur Belehrung und Unterhaltung, aus dem Gebiete des Schönen und Nützlichen, mit populärer Hinweisung auf deutsche Litteratur und Zeitgeschichte, Jg. 6, Nr. 30 (28. Juli 1822), S. 238f.

Textkonstitution

  • „ohnächtig“sic!
  • „einen“sic!
  • „bisjetzt“sic!
  • „stehend“sic!

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