Aufführungsbesprechung Lemberg: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Mai? 1823) (Teil 2 von 2)

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Lemberg.

(Schluss.)

Ich halte diese beyden Scenen in der Darstellung von grosser Wirkung, und zwar gerade desswegen, weil sie nicht componirt sind, und also auch nicht decomponirt werden können. Dass sie grössten Theils nicht in Rede, sondern in leichten Opern-Versen, wie das ganze Stück geschrieben sind, kann die Kunst eines Schauspielers nicht irre machen, dem nicht leicht ein Vers vorkommen wird, den er nicht nöthigenfalls ganz und gar prosaisch zu verschlingen wüsste; und so wäre keine andere Schwierigkeit zu überwinden, als etwa die, diese Scenen so natürlich und so wenig declamatorisch zu geben, als es ihr religiöser Sinn und die Absicht des Dichters verlangt. Denn eben darum, dass dieser Freyschütz kein Fresko-Gemählde ist, sondern vielmehr jenen schwarzen Höllen-Umrissen gleicht, mit denen man aus Göthe’s Faust die Liebhaber teuflischer Regentschaft beschenkt hat – würde eine solche, rein prosaische Introduction, das Gemüth des Zuschauers aus seinem angewohnten Leichtsinn heben, und ihm einen sittlich-religiösen Zweck versichtbaren, von dem sich doch die Bühne nie gänzlich entfernt. – Man wird hier den Don Juan vorführen wollen; allein eben dieser Don Juan ist ein Machwerk, das zur Schande seiner herrlichen Composition wie ein Kleks auf einem Raphael’schen Gemählde liegt, und darum eine weit ernsthaftere Bearbeitung verdiente; eine Bearbeitung à la Faust. In diesem Tacte ist auch Kinds höllischer Caspar gehalten; und jene Don Juanischen 1003 verschwinden gegen diesen Höllenbuben gehalten, wie Märchen der 1000 und einen Nacht vor einem einzigen Salomonischen Ausspruch.

Da diese Oper seit ihrem Erscheinen auf unserem Repertoire*, schon mehrere Rezensenten-Federn in Bewegung gesetzt hat, so soll das Urtheil über die dermahlige Ausführung derselben, auch kürzer ausfallen. Mad. Becker trat nach ihrer Ankunft aus Kiow zum ersten Mahle als Agathe auf, und wurde bey ihrem Erscheinen auf der Bühne mit rauschendem Beyfall aufgenommen. Ihr Gesang erhielt, durch ihr Spiel voll Leben und Frische, einen unendlichen Reitz, und beydes, nähm¦lich ihr treffendes Spiel, wie ihre Gesangsvirtuosität wurden sehr beyfällig aufgenommen. Nicht minder hat sich, die um unsere Bühne so vielfach verdiente Mad. la Roche, durch ihren Gesang, den gerechtesten Beyfall aller Anwesenden erworben. Der Part Caspars wurde auch diess Mahl wie immer vom Herrn Schapper mit vieler Kunst gesungen, und wurde er auch durch keinen rauschenden Beyfall des vollen Hauses ausgezeichnet, so hat ihn doch die meisterhafte Ausführung desselben recht wohl verdient. (Max) Herr Schnaidtinger, über dessen Gesang nur ein Urtheil herrschte, sang ebenfalls seinen vom Compositeur reich ausgeschmückten Part vortrefflich, und erfreute sich eines lauten Beyfalls.

Mit den Chören (den Jägerchor ausgenommen), war man nicht ganz zufrieden, wahrscheinlich aus Mangel an durchgreifenden weiblichen Stimmen.

Z.

Apparat

Zusammenfassung

Fortsetzung zur Problematik der weggelassenen Eremitenszenen und anschl. über die Aufführung in Lemberg 1822: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber. Die Rezension verteilt sich über zwei Nummern.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 7, Nr. 57 (16. Juli 1823), Sp. 455–456

    Einzelstellenerläuterung

    • „… ihrem Erscheinen auf unserem Repertoire“EA in Lemberg war vor Juli 1822.
    • Kiowrecte „Kiew“.

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