Besprechung der 10. Freischütz-Aufführung in Münster am 19. März 1823

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Theater-Nachrichten.

Der Freischütz hat heute noch einmal, und zwar zum Besten der hieisgen Armen einen Meisterschuß gethan, um dann, hoffentlich bis zum künftigen Winter, Abschied zu nehmen. Wir wollen über den innern Werth dieser Oper, des Zankapfels der gebildeten und ungebildeten Welt, nicht rechten und nur so lange aus diesem bis jetzt unversiegten Quell für Geist und Herz schöpfen, als Phantasie und Gemüth Nahrung darin finden; – indeß eine und zwar diese Bemerkung kann uns nicht entgehen: daß diese Oper zum 10ten Male gegeben*, für die Kasse mehr erzweckte, als ein in der Charwoche vorigen Jahres mit möglichstem Fleiße für die Armen gegebenes Concert (die 7 Worte von Haydn und die herrliche Cantate vom Herrn von Droste). War es denn einzig und allein der wohlthätige Sinn, der heute das Haus so füllte? – Doch wir mögen mit dem Publikum darüber jetzt nicht mehr rechten; genug, daß solche Lauigkeit* den Armen heuer diese milde Beisteuer entzieht. – Kehren wir jetzt zum Freischütz zurück. Umstände erheischten in der Besetzung einzelner Parthien einige Abänderung. Wir haben im Verlaufe des Winters in der Rolle der Agathe die ersten Sängerinnen unsers Theaters* zu unserer größten Zufriedenheit gesehen, und könnten zum Lobe derselben noch sehr vieles nachholend erwähnen. Wir wollen hier aber keineswegs eine Parallele ziehen, sondern nur diese Parthie, wie sie uns heute gegeben wurde, würdigen. Die Madame Spengler trat als Agathe auf, und zeigte sich im ganzen Umfange dieser Rolle als eine denkende und fühlende, als eine wahrhaft große dramatische Sängerin. Der 2te Akt (auf unserer Bühne)*, worin für das Scenische vom Dichter so wenig geleistet ist, erhält Leben und Bedeutsamkeit durch das Recitativ und die Arie, Wie nahte mir der Schlummer &c. – Keine Manier, keine Verzierung, damit sie etwa das Ohr des Zuhörers kitzelte. Wir hörten sie nur da, wo Gefühl oder Affekt selbe erheischten. Nirgends ein Zusatz auf Kosten der Wahrheit. Kein Forte, kein Piano, kein Wachsen oder Schwinden der Stimme, kein leisester Hauch an der unrechten Stelle. – Agathens Recitative in dieser Scene mußten selbst die Todfeinde von Recitativen damit aussöhnen! Wie wechselten Furcht und Hoffnung, Freude und Leid, die mannichfaltigsten Affekte in ihrem Innern? Wie sinnig und gemüthlich strömte am Ende der Arie ihre innige Freude hervor? – Wie konnten Dichter, Componist und Sängerinn im schönsten Einklange wahrer und treuer das Innerste des Herzens aufschließen, schöner die tiefsten Falten des Gemüths entwickeln! – Was das Kostüm der Agathe betrifft, so müssen wir in dessen Wahl die denkende Künstlerin ehren, die auch darin nicht auf Kosten der Wahrheit zu gefallen sucht. Nur dürfte von Seiten der Direction dafür gesorgt werden, daß mehr Einheit in demselben herrsche. –

In der Rolle Annchens sahen wir unsere verehrte Mad. Kramer zum erstenmahle erscheinen. Es war keine leichte Aufgabe für diese Dame, eine solche Parthie in 8 Tagen so einzustudiren, daß sie in den mehrstimmigen Sätzen völlige Sicherheit bekam, zumal da sie in denselben schon den Part der Agathe gesungen hatte. Auch mußte sie einen harten Kampf bestehen gegen einen großen Theil des Publikums, der so ungern sein Favorit Annchen* vermißte. Indeß lösete sie diese Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit. Minder zwar gelang es ihr, der das Erste mehr zusagt, in den heitern naiven Scenen des 2. Acts; besser schon, wie nach dem Erscheinen Maxens das herrliche Terzett so meisterhaft ausgeführt wurde. Auch sang sie die Arie des letzten Actes recht gut, deren schwerfälliger ernster Character und düstere Ironie sonst mit dem fröhlichen Character Annchens vielleicht weniger harmonirt.

Herr Fries gab uns durch Gesang und Spiel ein recht treues Bild von Caspar, und Herr Berger sang den Max mit großer Reinheit und sehr vielem Gefühle. –

Wir könnten noch manche Parthieen mit vielem Lobe herausheben, einzelne auch wieder tadeln; indeß dürfen wir dem Ganzen unsern Beifall nicht versagen.

Apparat

Zusammenfassung

10. Aufführung des Freischütz in Münster

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler; Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Westfälischer Merkur, Jg. 1823, Nr. 153 (22. März 1823), S. 579

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Oper zum 10ten Male gegeben“Laut handschriftlichem Journal der Pichlerschen Gesellschaft (in D-DT, TA55) fanden die ersten zehn Aufführungen der Oper in Münster am 5., 6., 8., 10., 15., 17. und 28. Januar, 6. und 21. Februar sowie 12. März 1823 statt; die im Journal als „Benefitz für die Armen“ vermerkte Aufführung am 19. März 1823 war demnach bereits die elfte. Der Korrespondent entnahm seine Zählung möglicherweise den teils abweichenden Angaben in den Theater-Anzeigen im Westfälsischen Merkur.
    • „… rechten; genug, daß solche Lauigkeit“„Launigkeit“ gemeint?
    • „… die ersten Sängerinnen unsers Theaters“Die Partie hatte zuerst Friederike Kramer, dann Adelheid Metzner gegeben.
    • „… 2te Akt (auf unserer Bühne)“In der Münsteraner Einstudierung wurde die Wolfsschluchtszene (Szene II/4–6) als separater III. Akt gegeben, so dass die Oper in vier Akten gegeben wurde. Der II. Akt beschränkte sich somit auf die Szenen II/1–3 des Originals.
    • „… so ungern sein Favorit Annchen“Die Partie hatte bis dahin Auguste Lindner gegeben.

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