Aufführungsbesprechung Wien, Hofoperntheater Kärnthnerthore: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 26. Oktober 1823 (1 von 2)

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Oper.

Auf dem k. k. Hoftheater am Kärnthnerthor wurde den 26. October zum ersten Male: Euryanthe, romantische Oper in drey Aufzügen, von Helmina v. Chezy, Musik vom königlich sächsischen Capellmeister Carl Maria v. Weber, unter persönlicher Leitung des Componisten aufgeführt.

Der Stoff dieses Drama’s ist aus einer seit Kurzem wieder sehr bekannt gewordenen Erzählung entlehnt: Histoire de Gerard de Nevers, et de la belle et vertueuse Euryanthe sa mie, die Fr. v. Chezy für Friedrich von Schlegel’s Sammlung romantischer Dichtungen des Mittelalters 1804 nach einem, in der königlichen Bibliothek zu Paris befindlichen Manuscript übersetzt, und die nun in einer neuen Ausgabe, mit einer Vorrede der Übersetzerinn 1823 in Berlin erschienen ist. Auch diese Erzählung, wie so viele andere, liefert den Beweis, daß wenige, selbst die besten oft nicht zur dramatischen Behandlung geeignet sind. Was dort durch die Naivetät des Vortrags und die Entfernung, in der es sich der Phantasie nur zeigt, und im Verlauf der Begebenheiten, indem die Vereinigung der Liebenden durch eine Reihe von Incidenzen unterbrochen wird, nachdem das Haupthinderniß gehoben ist, bedeutendes Interesse gewinnt, mußte auf der Bühne diesen Reiz verlieren, Letzteres schon darum, weil es nöthig war, die Handlung auf wenige vorzügliche Momente zu beschränken. Andere Veränderungen mußten auch noch vorgenommen werden, die der Wirkung des Ganzen eben so wenig Vortheil bringen konnten. Was außerdem der dramatischen Handlung abgeht, ist ganz besonders die nöthige Klarheit, deren Mangel in dem Hauptmotiv, in demjenigen Punct, um welchen das Drama eigentlich sich dreht, am schmerzlichsten empfunden wird. Dieß ist die Erzählung Euryanthe’s von der Erscheinung Emma’s, der Schwester ihres Verlobten, und dem fabelhaften Giftring, aus welchem einst die Hingeschiedene den Tod sog, der aber künftig, von den Thränen der Unschuld benetzt, und wenn „Treu’ dem Mörder Rettung beut für Mord,“ (sehr hart und äußerst sonderbar) das Pfand der Versöhnung werden soll. Dieser Umstand, der nur ein einziges Mal im recitirenden Ton vorgetragen wird, hat außer jener Dunkelheit, die ihn umhüllt, noch andere Mängel, und die Verwechselung mit dem in der Geschichte angegebnen Umstand, so nöthig sie auch war, kann nicht gelungen heißen. Erstlich erscheint das Wunderbare als ein höchst fremdartiger Bestandtheil in einer Handlung, die sonst dessen überall entbehrt. Dann ist das Geständniß in Betreff dieser Erscheinung auch kein zureichender Grund zum schimpflichsten Verdacht. Euryanthe dürfte nur ein Wort verlauten lassen, nur gestehen, wozu ihr ohnehin Zeit und Gelegenheit genug verbleibt, so würde der Verrath entdeckt. Bedeutender ist die Gefahr in der Erzählung, wo die Unglückliche nicht weiß, wie ihr geschehen, und nur auf ihre Unschuld sich berufen kann, ohne Gründe bey der Hand zu haben. Die Eifersucht der verrätherischen Eglantine ist eben so wenig eine glückliche Erfindung, da sie hoffen darf, nach bewirkter Trennung der Liebenden, Adolar’s Hand zu gewinnen, folglich dem Lysiart die ihrige nicht so eilig geben wird; ganz anders verhält es sich, wenn sie durch Eigennutz dazu getrieben wird. Ihr inniges Verhältniß zu Euryanthe bringt einen schneidenden Ton in den Äußerungen ihrer | Zärtlichkeit hervor, der um so widriger wird, weil der zweydeutige Charakter, den diese haben müssen, durch die Musik nicht anschaulich gemacht werden kann. Übrigens sind fast alle Verhältnsse in diesem Drama sehr wenig motivirt, und die Begebenheiten nirgend hinlänglich vorbereitet. Das die Abtheilungen ein sehr ungleiches Maß haben, ist eine Kleinigkeit; der erste Act bietet aber wenig oder gar keine Handlung dar, in dem zweyten sind die Ereignisse gedrängt, der dritte leidet wieder an Leere und großer Gedehntheit. Die Recitative sind nicht nur oft ohne Noth zu lang, und enthalten allzuviele Worte, sondern auch sehr eintönig und wenig vom Gesangtext unterschieden. Zuweilen läßt die Dichterinn wieder ihre Personen zu wenig sagen, und der Componist war genöthigt, allzu kurze Sätze, was unter andern in den Chören der Fall ist, mehrmals zu wiederholen. Derjenige Moment, auf dessen Wirkung die Verfasserinn am meisten gerechnet zu haben scheint, nämlich, wo die liebende, fromme Euryanthe, als eben ihr Geliebter sie ermorden will, sein Leben rettet, indem sie ihn vor dem nahenden Ungethüm warnt, macht auf der Bühne nur geringen Eindruck, und die Einmischung der Schlange führt noch eine zweyte Inconvenienz herbey, die, ob sie gleich vorgesehen und vermieden ist, indem das Unthier hinter den Coulissen schleicht, doch nicht gänzlich unbeachtet bleibt, und die tragische Stimmung etwas schwankend macht. Was die Charakteristik betrifft, so ist die liebenswürdeige Euryanthe dennoch gar zu leidend, Adolar erscheint zu weich, zu sehr als Troubadour, der König zu unbedeutend; am glücklichsten ist Lysiart gezeichnet; wenn er gleich hier ein Mal zu viel seufzt, dann wieder etwas zu heftig tobt. Die Verse, wenn man keine Rücksicht auf ihre musikalische Bestimmung nimmt, sind vorzüglich. Sie haben größten Theils Wohlklang und poetischen Reiz. Betrachtet man sie von der andern Seite, so bieten sie zuweilen Räthsel dar, auf die ein Anderer so leicht nicht reimen kann, und das Hüpfende, Klingende, Süßliche, Liebliche, was darin vorwaltet, eignet sich wenig zur musikalischen Behandlung. Dieser Mängel ungeachtet, zeichnet sich das Stück vor vielen andern sowohl durch den romantischen Charakter, als die edle Haltung, noch bedeutend aus.

Wir wenden unsere Aufmerksamkeit nun zur Composition der Euryanthe, und glauben folgende, übrigens nicht auf Neuheit Anspruch machende Bemerkung am rechten Ort voranzuschicken. Wenn es wahr ist, daß große, hochgespannte Erwartungen, die auf den glücklichen Erfolg einer früheren Production gegründet sind, der Erscheinung eines später folgenden Werks nachtheilig werden können, so läßt es sich nicht minder läugnen, daß der übertriebene Enthusiasmus Einiger, oder, welches gleich gilt, ihr absichtliches Bestreben, diesem Werk alle die glänzenden Eigenschaften beyzulegen, die das große Publicum – der Beschauer oder Zuhörer, an demselbigen vermissen, wenn sich dieser Theil zu jenem etwa so wie Hundert gegen Eins verhält, wenigstens den gleichen Nachtheil mit sich bringt. Noch mehr ist es zu bedauern, wenn sich jenem kleinern Theil solche Enthusiasten anschließen, die eben so wenig zu einem entscheidenden Urtheil berechtigt sind, als sie den Übrigen zumuthen können, ihr Urtheil für das Kind der Überzeugung zu halten, da man vielmehr nur zu viele Gründe hat, zu glauben, daß sie mit dem Vorzug einer besondern Empfänglichkeit, einem von den Göttern ihnen zu Theil gewordenen Vermögen sich nur brüsten, um den Schein zu haben, als ob sie in die tiefen und geheimnisvollen Labyrinthe eines Kunstwerks einzudringen fähig wären, und Schätze darin zu erspähen, Genüsse daraus wonnevoll zu schöpfen, die jenen stumpfsinnigen Tadlern unzugänglich bleiben. Man hört in solchen Fällen wohl auch häufig Worte und Phrasen, mit welchen diejenigen, die sie am öftesten im Munde führen, keine, oder nur sehr unvollkommene Begriffe zu verbinden pflegen. Hierher gehört der Terminus Classicität, und dieser führt uns von jener allgemeinen Bemerkung wieder zur Tondichtung der Euryanthe. Das Wort Tondichtung stellt sich hier eben recht gelegen ein. Es ist nämlich keineswegs unsere Absicht, in jene Tiefen einzudringen, die mancher von allzugroßem Enthusiasmus erfüllte Kunstfreund ohne Zweifel meint, das heißt, die Composition technisch zu beleuchten, wozu diese Blätter eigentlich auch nicht bestimmt sind. Vielmehr, da bey einem musikalischen Werk zweyerley in Betracht zu ziehen ist, nämlich die Tondichtung und der Tonsatz, da der | Beyfall eines solchen Werks vornehmlich auf ersterer beruht, sey es uns gestattet, für’s Erste wenigstens auf diese nur allein das Augenmerk zu richten. Die Tondichtung muß allgemein ansprechen, während den kunstvollen Organismus des harmonischen Satzes zu beurtheilen, allein den Kunstverständigen überlassen bleibt. Nur durch Vereinigung beyder Eigenschaften kann ein Werk, unserm Bedünken nach, auf Classicität im strengsten Sinn Anspruch machen. Will man aber die Erfüllung technischer Forderungen allein für hinreichend erklären, so soll dieses, hier, wo mit aller möglichen Unbefangenheit, ohne Leidenschaft, weder für noch wider, das genannte Tonwerk jetzt besprochen wird, keine Veranlassung zu irgend einer Differenz werden. Sagt man nun: die Tondichtung, oder ohne den vorhin erwähnten Unterschied zu beachten, die Composition der Euryanthe hat zwar nicht den Beyfall gefunden, den man ihr zu geben bereit war, und dieses Letztere wird wohl von keinem Unbefangenen geläugnet werden können, das Werk hat weit weniger Eindruck gemacht, als man erwartete; dennoch, und wenn Alle sich vereinigen, ihm den Beyfall zu versagen, und wenn es auf kein einziges Gemüth erforderlichen Eindruck macht, wird ihm der Anspruch auf Classicität unbenommen bleiben – so möge, dem zu Folge, was oben angedeutet worden, die Antwort sich hierauf von selbst ergeben. Aber nicht hinreichend ist es, daß einzelne Theile das Gemüth ergreifen, überraschen, Theilnahme erregen, Beyfall gewinnen; auch das Ganze muß lebendig auf die Seele des Zuhörers wirken, das Gemüth ergreifen, in der Phantasie und in dem Herzen ein großes, glänzendes Bild zurück lassen, aus welchem jene Einzelnheiten, wie anmuthvolle Züge eines lieblichen Gemäldes, wenn sie dem Gedächtniß auch entschwebten, sich wieder lösen und gestalten, und wieder fest mit ihm verschmelzend, jenen großen Brennpunct frisch und strahlend in der Seele immerfort erhalten.

(Der Schluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Wien, Kärtnertor: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 26. Oktober 1823. (1 von 2)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 134 (8. November 1823), S. 1102–1104

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