Aufführungsbesprechung Wien, Hofoperntheater Kärnthnerthore: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 26. Oktober 1823 (2 von 2)

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Oper.

Euryanthe, romantische Oper in drey Aufzügen, von Helmina v. Chezy, Musik vom königlich sächsischen Capellmeister Carl Maria v. Weber.

(Schluß.)

Was ist es nun, das jener große Theil der Zuhörer, der den unbedingten Enthusiasten gegenüber steht, in dieser Tondichtung vermißt? – Indem wir jetzt den Ausdruck Enthusiasten noch einmal gebrauchen, finden wir, um jeder, wo nicht boshaften, doch übereilten Deutung zu entgehen, für nöthig zu erklären, daß hiermit auf keine schriftliche Äußerung, wenigstens auf keinen kunstverständigen Ausspruch gezielt, sondern lediglich die mündlichen derselben Art bezeichnet wird. – Was es ist? – Sie sagen erstlich, daß der Tonsetzer des beliebten, hochgepriesenen Freyschützen, indem er die ihm angemessene Sphäre des volksthümlichen, deutschen Lebens und Charakters verließ, um sein Talent an dem Heroischen – wenn diese Benennung für Euryanthe gelten soll – erfolgreich zu versuchen, die Grenzen überschritt, die eben dieß Talent ihm angewiesen, und im bescheidenen Gefühl des eigenen Vermögens dieses ahnend, in eine störende Besorgniß verfiel, in ein mühsames Bestreben, das neue Werk dem ältern gleich zu stellen, ja, dem Erforderniß angemessen, jenes noch um Vieles selbst zu überbieten, etwas ganz Originelles, Ungemeines, Außerordentliches darzubieten, das in seinen kleinsten Theilen an nichts Früheres erinnern, in keinem, auch nicht dem kleinsten Zug die Ähnlichkeit mit einem anderen verrathen möchte, und daß eben seinem neuesten Werk durch dieses sorgsame Bestreben das Gepräge des berechnenden Verstandes allzu merklich, selbst in den gelungensten Parthien aufgedrückt ward. Sie vermissen ferner Phantasie, Erfindungskraft, Ideen und dramatische Behandlung. Wir schränken das letztere bedeutend ein, und erwiedern auf den gerügten Mangel an Ideen, daß es dieser Tondichtung daran gar nicht fehlt, daß aber den Ideen nur allzu oft Ausführung und Einheit mangeln, daß allzukühne und gewagte Transitionen, künstliche harmonische Verschlingungen den Ideengang oft unterbrechen, dem Strom der Melodie und des Gesanges allzuhäufig seine Klarheit rauben und den freyen Lauf verhindern. Man entgegnet hierauf freylich laut genug: ihr wollt nur immer Singsang, Klingklang; an Tiriliri und charkterlose Gurgeley seyd ihr gewöhnt, und ganz natürlich auch dadurch verwöhnt, stoßt ihr die kräftige Speise weg | von euch, und könnt die deutsche Kost nicht mehr vertragen. Mancher vergißt dabey den Freyschützen, worin doch auch nicht blosse Leckerey und süßlicher Confect uns dargeboten wird. Doch dieß bey Seite! Muß man denn gerade ungerecht seyn, und Eins mit dem Andern verwechseln, um die Unbefriedigten zu widerlegen? Schließt denn Charakteristik und Correctheit jene Melodie und Gesang aus, oder gebieten sie auch nur, daß sich ihnen diese unterordnen? Ist denn endlich, rein herausgesagt, der Gesang immer auch nur leerer Klinklang? – was wohl Niemand zu behaupten wagen wird. Jene berufen sich, um ihre Anforderungen zu begründen, auf den Don Juan, Figaro, ja selbst das geniale Werk Fidelio, in welchem letzteren, trotz aller Genialität und Kühnheit, trotz den sinnreichsten und tiefsten harmonischen Verwickelungen, Klarheit überall und auch bey weitem mehr Melodie und Gesang herrschen, als in Euryanthe, und glauben, daß der Vortrag dort den Sängern weniger Anstrengung kostet, als die Tondichtung des geschätzten Componisten, dessen siegreicher Freyschütz so meisterlich in’s Schwarze traf. Sie wollen ferner auch in dem gelungensten Gesangstücke einigen Zwang bemerken, und führen als Beyspiel den neuen, schönen Jägerchor an, der so wie jener erste, wenigstens in den vier ersten Vorstellungen, zweymal wiederholt werden mußte, worin jedoch, als eine Folge, sagen sie, des vorher erwähnten sorglichen Bestrebens, bey aller angemessenen charakteristischen Würde, eine gewisse Zurückhaltung, um Ähnlichkeiten und Erinnerungen zu vermeiden, und doch zugleich der Wunsch erkennbar sey, an jenes so beliebte Frühere im Ganzen zu erinnern. Wir lassen das dahin gestellt seyn, und stimmen in den allgemeinen Beyfall ein, den dieser trefflich vorgetragne Chor erhielt. Was den melodiösen Theil betrifft, fahren jene strengen Forderer weiter fort, so tritt er gerade da am wenigsten hervor, wo man ihn am ersten zu erwarten berechtigt wäre, z. B. in den beyden Cavatinen, eigentlich Romanzen, Adolar’s, wovon die erste in B-dur, sich besonders durch das kunstvoll variirte Accompagnement auszeichnet; vortheilhafter würde es seyn, wenn diese nur zwey Strophen hätte. Beyde athmen Wahrheit des Gefühls und Zartheit des Ausdrucks; dennoch haben beyde einen etwas mühsamen, erzwungenen Gang, und das Eindringliche mangelt ihnen, jedoch hat die Cavatine im zweyten Act: „Wehen mir Lüfte Ruh, strömen mir Düfte zu“ – in Ansehung des Gesanges Vorzüge. Wahr ist es, sie wurden das erste Mal mit großer Ängstlichkeit und Unsicherheit vorgetragen, ja mit gänzlichem Mangel alles dessen, was ein romantisches Lied von dem Sänger fordert, doch das zweyte Mal schon freyer, und das dritte Mal noch besser, ohne daß sie weder so recht eigentlich in das Gehör, noch in’s Gemüth drangen. Was die Behandlung des Recitativs betrifft, so sieht man, äußerten sich viele, daß der Tonsetzer seinen eigenen Weg gewählt hat, auf dem man eben nicht bequem und glücklich an das Ziel gelangt. Indem er mit der größten Genauigkeit und der strengsten Correctheit jedem Theil eines Perioden, jedem Wort zuweilen seinen Werth und den gehörigen Accent geben wollte, ist der Gang etwas schleppend und einförmig geworden, der Rhythmus nicht selten schwerfällig und die dramatische Declamation einer mühsamen Accentuirung untergeordnet. Man höre nur das Recitativ in der Zauberflöte! man höre Titus, und Gluck’s Iphigenia! – Welche Wahrheit des Ausdrucks, und welche lebendig kräftige Bewegung!

Diese Äußerungen schließen indessen die gerechte Schätzung einzelner Gesang- und Tonstücke nicht aus, und wir wollen, ihrer Anführung ungeachtet, unserer Seits jedem vorzüglichen Bestandtheil des Ganzen seinen Werth und die volle Bedeutung gern und willig zugestehen. Die Ouvertüre beginnt mit einem feyerlich festlichen Allegro. In dem Mittelsatz sprechen sich geheimnißvolle Andeutungen auf Emma’s Geisterworte aus, und ihre Nachklänge tönen gegen Ende des dritten Acts in den Worten wieder: „Ich ahne Emma, selig ist sie jetzt“ – die der Componist zur besseren Verständigung des Ausgangs selbst hinzugefügt hat. Dieser Theil spannt die Aufmerksamkeit ungemein, bleibt aber immer etwas räthselhaft. In der Introduction bildet der Chor der Frauen, die den Frieden begrüßen, und die Erwiederung der Ritter, die den Frauen huldigen, einen sehr angenehmen und kräftigen Gegensatz. Dieses Gesangstück wurde noch in der dritten Vorstellung dreymal applaudirt. Adolar’s Cavatine: „Unter blüh’nden | Mandelbäumen“ – übergehen wir. Der Schlußchor dieser Scene, mit Adolar und Lysiart zugleich, drückt ritterliche Kraft und Zuversicht aus. Die zweyte Scene fängt mit Euryanthe’s Cavatine an: „Glöcklein im Thale, rieseln im Bach“ (der erste Textperiode scheint etwas unverständlich). Innige Liebe und Unschuld sind hier ausgedrückt, doch ist mehr Declamation, als Gesang darin. Der Vortrag der Sängerinn war schmelzend. In der dritten Scene folgt eine von Eglantine (verstellte Freundinn der Euryanthe) gesungene Cavatine, die sehr charakteristisch und effectvoll ist. Besonders wirksam ist der Schluß. Leidenschaftliche Glut athmet auch Eglantinens Arie in E-moll, und das vorhergehende Duett zeichnet sich am Schluß durch die künstliche Verknüpfung beyder Stimmen, vorzüglich aus. Dieser Theil wurde von beyden Sängerinnen mit großer Präcision vorgetragen. Im Finale erwähnen wir noch der schönen Stelle, die Euryanthe mit dem Ensemble in Verbindung singt, und die sich mit den Worten: „Sehnen, Verlangen, Schmachten und Bangen“ – anfängt.

Die Arie des Lysiart, zu Anfang des zweyten Acts, hat einen durchgreifenden, schauerlichen Charakter. Das Accompagnement ist bedeutungsvoll. Das Duett zwischen Lysiart und Eglantine würde vielleicht wirksamer seyn, wenn es weniger schwierig wäre. Am Schluß, wo beyde Stimmen sich vereinigen, steigt die Schwierigkeit auf’s Höchste. Der Vortrag siegte über sie mit vielem Glück. Nach der zweyten Cavatine des Adolar folgt ein Duett zwischen ihm und Euryanthe, worin das Entzücken der Liebe ausgedrückt ist; die Schlußzeilen: „Laß mich in Lust und Wehn an deiner Brust vergehn!“ – sind ungemein ansprechend. Der Anfangschor des zweyten Finales: „Jetzt schlägt der Entscheidung Stunde“ – hat einen feyerlichen, religiösen Charakter. In den Worten des Verräthers Lysiart, durch welche er angeblich seinen Sieg über Euryanthe zu erkennen gibt, ist die Ironie treffend ausgedrückt, und der Sänger (Herr Forti) gab die Stelle ungemein glücklich wieder. Der hervorragendste Moment in diesem Theil ist jedoch da, wo der Chor mit den Worten: „Ha, die Verrätherinn!“ in den vierstimmigen Gesang eingreift. Eine gute Wirkung macht auch die Stelle: „Wir alle wollen mit dir gehen,“ in welche Euryanthe einfällt. Der Schluß ist sehr kraftvoll, doch etwas widerstrebend und außerordentlich schwierig. Der dritte Act ist überhaupt gedehnt. Klage folgt auf Klage, und der größte Theil hat einen gar zu düstern Charakter. Aus diesem Grunde spricht Euryanthe’s Gesangstück in der zweyten Scene: „So bin ich nun allein!“ ungeachtet des darin herrschenden Gefühls, nur wenig an. Der Jägerchor in Es mit Begleitung von acht Hörnern auf der Bühne und mit einem Echo, ist bereits erwähnt, und imponirte in diesem Act am meisten.

Die Cavatine Euryanthe’s: „Zu ihm! zu ihm! weilet nicht!“ hat eine leidenschaftliche Bewegung, und wurde von der Sängerinn mit dem Ausdruck der höchsten Leidenschaft vorgetragen. In der vierten Scene ist der Chor: „Der May bringt frische Rosen dar“ – ländliche Einfalt athmend und sehr gefällig. Der Chor in der fünften Scene D-dur: „Trotze nicht, Vermeß’ner“ – ist ergreifend. Am Schluß dieses letzten Acts deutet das Duett zwischen Euryanthe und Adolar: „Hin nimm die Seele mein!“ sehr glücklich auf den ähnlichen Zweygesang der Versöhnten in der vierten Scene der zweyten Abtheilung.

Nach dieser kurzen Berührung der vorzüglichsten Gesangstücke, möge hier noch folgende Bemerkung stehen. Man halte doch das Wiener Publicum ja nicht für ungerecht, weil es Euryanthe mit geringerer Theilnahme, als den Freyschütz aufgenommen, oder spreche ihm die Competenz des Urtheils im Fache der Musik ab, wenn die Oper auf einer andern großen Bühne wärmer aufgenommen werden sollte! Niemand dachte hier an eine sogenannte Cabale; sie würde nicht gewagt haben, ihr Haupt empor zu heben; eben so wenig mischte sich irgend ein Vorurtheil in’s Spiel. Die Zuhörer gingen mit erwartungsvollem Herzen und der größten Bereitwilligkeit, den Beyfallswürdigen des Beyfalls reichste Fülle zu ertheilen, in das Schauspielhaus. Man lauschte den ersten Tönen der Ouverture mit gespannter Aufmerksamkeit entgegen. Der Componist wurde mit Jubel empfangen, und als das erste Tonstück nun begann, wollte Jeder seinem Nachbar kaum den freyen Athemzug gestatten, um nur | keinen Ton zu überhören. Die ersten Gesangstücke wurden gleich der Ouverture mit lautem Beyfall aufgenommen. Man schien dem Eindruck selbst zuvor zu eilen; und als man nun allmählig lauer wurde, begann Jeder doch zuerst an seiner eignen Unbefangenheit zu zweifeln. Dennoch waren Aller Blicke auf den geschätzten Tonsetzer des Freyschützen vertrauensvoll gerichtet, und man bemühte sich, dem Meister, dem man so manchen früheren Genuß verdankte, auch in dieser fremden und fremdartigen Erscheinung auf das freudigste zu ehren. Dieß zeigte sich bey der zweyten und dritten Vorstellung noch in einem höheren Grad; es war, als hätte Jeder einen übereilten, allzustrengen Ausspruch wieder gut zu machen, und die unerschöpfliche Gutmüthigkeit des Wiener Publicums kämpfte siegreich gegen seine eigene Überzeugung. Wer Zeuge dessen war, vergeß’ es nicht! – und nun genug davon.

Die Sänger leisteten an diesem Abend mehr als man erwartet hatte. Jedem Mitglied schien es jetzt darum zu thun, die Ehre der deutschen Tonkunst und des vaterländischen Gesanges zu erhalten und auf immer zu begründen. Der fleißige Tenorist (Herr Heitzinger) war in der Rolle des Grafen Adolar wohl nicht an seinem Platz, doch gereicht es seiner Bescheidenheit zur Ehre, daß er dieses selbst zu fühlen schien und eine ungewöhnliche Schüchternheit verrieth, die seine Stimme während der ersten Cavatine immerfort in zitternder Bewegung erhielt. Für den Vortrag der Romanze fehlt es ihm an Übung, und das Recitativ liegt außer seiner Sphäre; schon die Aussprache legt ihm Hindernisse in den Weg. Rossinische Opern, wo er seine hohen Corden verwenden kann, bieten ihm einen bequemern Wirkungskreis dar; wenn es aber, so wie hier, auch auf eine durchgreifende Mittelstimme ankommt, versagt ihm diese ihren Dienst.

Wir setzen die Leistung der Mlle. Sonntag, als Euryanthe der besten ihrer früheren gleich, wo nicht noch höher. Sie trug diesen alle Kräfte aufbietenden Part mit reiner, heller Stimme und inniger Gemüthlichkeit vor, mit Ausnahme einiger Tacte, wo der Ton das erste Mal etwas zu hoch war. Sie zeigte sich überall, wie es die Situation, wie es der Moment erfordert; unbefangen, fromm, zärtlich, schwärmerisch, verzweiflungsvoll, und im Jubel des Entzückens zur höchsten Kraft des Ausdrucks sich erhebend.

Auch der Part Eglantinens erfordert vielen Kraftaufwand, was man der Künstlerinn einige Mal anmerken konnte; dennoch leistete Mad. Grünbaum viel Vorzügliches und einer ausgezeichneten Sängerinn Würdiges darin.

Herr Forti stand als Lysiart in jeder Hinsicht auf der rechten Stelle. Er trug das Recitativ mit möglichster Deutlichkeit und Bestimmtheit, das Arioso gesangreich und mit dem Ausdruck des Gefühls vor; die Arie: „So weih’ ich mich den Rach-Gewalten!“ deren gewaltigen Anforderungen kaum Mittel, wie die seinigen, genügen, sang er mit überwältigender Energie.

Die Chöre gingen trefflich. Das männliche Chorpersonal hatte seinen Glanzpunct in dem Jägerchor, wo besonders die Geschmeidigkeit und Sicherheit der Tenorstimmen in einigen äußerst schwierigen Stellen überraschende Wirkung hervorbrachten.

Die Administration hatte nichts gespart, um die Oper recht glänzend in die Scene zu setzen. Dieses schließt die Bemerkung wohl nicht aus, daß im Costüm mehr Übereinstimmung herrschen konnte. – Die Tänze fielen etwas mager aus.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Wien, Kärtnertor: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 26. Oktober 1823. (2 von 2)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 135 (11. November 1823), S. 1109–1112

    Einzelstellenerläuterung

    • derrecte „die“.

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