Aufsatz über den Umstand, dass der „Oberon“ von Carl Maria von Weber noch nicht auf Berliner Bühnen gespielt wurde

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Warum ist der Oberon von Carl Maria v. Weber noch nicht in Berlin zur Aufführung gekommen? *)

Der verstorbene Meister bot dem Herrn General-Intendanten Grafen von Brühl im Februar 1826 von London aus, seinen Oberon an; dieser ward mit Freuden und mit derjenigen Theilnahme angenommen, welche die Werke dieses, in Deutschland unvergeßlichen, Genies stets und auf eine von dem Verstorbenen und seiner Wittwe | dankbar anerkannte Weise bei der Verwaltung der Königl. Theater gefunden haben.

Bekanntlich concurrirt diese mit der Direction des Königstädt. Theater in so fern rücksichtlich des Repertoir, daß eine oder die andere die neuen Werke der einen oder der andern nicht geben darf. Nach Webers Tode wünschte die Königstädt. Direction das letzte Werk Webers zu geben, und es entstand zwischen derselben und der Königl. Theater-Verwaltung ein Streben nach dem ausschließlichen Besitze dieser Oper, deren Genuß aus keinem andern Grunde dem Berliner Publikum so lange entzogen worden ist. – Ein großer Theil derselben hat davon die Schuld auf den Herrn General-Musik-Director Spontini geschoben, welcher, wie einige meinten, dem verstorbenen Weber abgeneigt, und auf seinen Ruhm eifersüchtig sei. Auf wiederholtes Ansuchen des Herrn Spontini wurden jedoch die hiesigen Bevollmächtigten der Weberschen Erben aufgefordert, der General-Intendantur die Bedingungen zu eröffnen, unter welchen das Königl. Theater sich in den ausschließenden Besitz der in Rede stehenden Oper setzen könnte? Eine Forderung von 800 Rthl. als so viel – offenbar zu viel – dem Verstorbenen für die Euryanthe gezahlt worden war, ward von der unmittelbaren Theater-Aufsichts-Behörde zu hoch befunden, zumal Weber für den Freischützen, der ausdrücklich für das Königl. Theater componirt und auf demselben zuerst aufgeführt worden, nur etwas über 500 Rthl. empfangen hatte und die Euryanthe an andern Orten in Deutschland z. B. in Darmstadt mit 30 Carolin honorirt worden ist *). Da überdies zum besten der Weberschen Familie eine Vorstellung auf dem Königl. Theater, die über 2000 Rthl- eingebracht, bereits gegeben worden, so war der Gesichtspunkt, durch ein verhältnismäßig so hohes Honorar als 800 Rthlr. für den Oberon erscheinen, zunächst den Nachgelassenen etwas zuzuwenden, nicht mehr als der nächstleitende zu betrachten *). Die Bevollmächtigten der Frau ¦ v. Weber gingen von einem andern Gesichtspunkte aus und bestanden auf ein Honorar von 800 Rthlr., demnächst aber, als dieses nicht zugestanden, schlossen sie einen Handel mit der Direction des Königstädtischen Theaters ab, unbekümmert, ob die Oper Oberon zu den ihm verbotenen Gattungen der Tondichtungen gehöre, oder nicht?

Mittlerweile hat die Frau von Weber sich wiederholt an den General-Intendanten, Grafen von Brühl gewendet, um das letzte Werk ihres Gatten, welches in LeipzigT und an andern Orten vielen Beifall gefunden, auf dem Königl. Theater aufgeführt zu sehen. Ihre Bevollmächtigten beharrten aber in ihrem Eifer: die Oper als Concurrenzstück von beiden Theatern aufgeführt zu sehen, und ließen sich gefallen, sie alsdann einem jeden zu gleichem Preise von 100 Frd’or zu überlassen, unter „Gestattung der Nebenbedingungen, welche für die gegenseitigen Abtretungen und Zugeständnisse von beiden gemacht und abgeschlossen werden dürften, sofern dieselben nicht mit dem Erfolge in Widerspruch ständen, den die Freunde des Componisten seinem letzten Werke zu wünschen haben.“

Inmittelst sind die Verhandlungen der schiedsrichterlichen Commission über das Genre der Oper Oberon von der betreffenden obersten Behörde dahin genehmigt, daß sie zu dem, der Königstädter Bühne, erlaubten Genre nicht gehöre.

Darauf sind die Bevollmächtigten zu einer neuen Erklärung Seitens der Königl. Theaterverwaltung aufgefordert werden; diese Erklärung ist aber abgelehnt worden, weil nunmehr der Beschluß der Familie und den Vormündern selbst überlassen bleiben müsse, und die Bevollmächtigten sich inzwischen nochmals an des Königs Majestät unmittelbar, wegen dieses schiedsrichterlichen Ausspruchs gewendet haben. Durch eine Allerhöchste Kabinetsorder ist festgestellt, daß der Oberon auf der Königstädtischen Bühne nicht gegeben werden könne. Die verwittwete Frau von Weber ist völlig bereit, die Partitur des Oberon um 600 Thlr. dem Königl. Theater zu überlassen. Ihre Bevollmächtigten aber haben Anstand genommen, sie zu verabfolgen, weil die Direction des Königstädtischen Theaters sie gekauft habe, und zum künftigen Gebrauche zurückhalten wolle. – —

So liegt diese viel besprochene Angelegenheit. Sie führt auf sehr viele, dem Theaterwesen nützliche, allge|meine Betrachtungen, und namentlich auf den Wunsch, die Verfasser von Dichtungen irgend einer Art für das Theater nach einem feststehenden und unveränderlichen Maaßstabe, mit Beseitigung aller Verhandlungen, zu honoriren. Eine solche, bei der überhaupt erfolgten Annahme eines Stücks oder einer Composition sich völlig von selbst verstehende und darum die Festsetzung einer Summe nicht erforderlich machende Theilnahme des Verfassers an dessen Ertrage (z. B. ein Drittel des Brutto-Ertrages einer festzusetzenden Zahl von Vorstellungen oder der ersten und der anzugebenden künftigen) nebst der Gewißheit, daß diese Theilnahme auf die Nachgelassenen des Künstlers, wie jedes andere Vermögensstück desselben, nach seinem Tode übergeht, würde, meines Erachtens, einen wahren Fortschritt zum Bessern bezeichnen, und Dichtern wie Componisten eine Aufmunterung seyn, deren sie eben so bedürfen, als würdig sind. Allein eine solche Maaßregel setzt, meines Erachtens, nothwendig eine andere voraus, an welche die Theaterverwaltungen begreiflich nicht wollen, nämlich die Beurtheilung über Annehmfähigkeit eines Stücks, oder einer Oper nicht von dem Urtheile eines Einzigen, oder derer, welche derselbe darüber zu befragen in jedem Falle für gut findet, sondern von einer Jury ausgehen, und feststellen zu lassen. Die Bildung derselben hat gewiß ihre eigenen und großen Schwierigkeiten, worunter die nicht die kleinste ist, daß die Mitglieder dazu schwer zu beschaffen, und durchaus die darstellenden ersten Künstler nicht ausgeschlossen werden dürfen, weil schlechthin kein anderer aus dem bloßen Lesen zu beurtheilen vermag, ob und welchen Eindruck ein Stück auf der Bühne machen wird *).

In dem Umstande, daß hierin auf allen deutschen Theatern nichts Durchgreifendes geschehen, liegt ein Hauptgrund für die Verelendung derselben, welche kein Sachverständiger im Allgemeinen läugnen kann. Wo hierin etwas Ernstliches mit Ernst geschieht, wird eine neue Periode für die Kunst entstehen können, von der jetzt überall die Rede ist, während Schofelwaaren (aus allen Sprachen und Naturreichen) zur Aufführung ge¦bracht werden, als ginge es nicht ohne sie, und als müsse derjenige Theil des Publikums, welchem nur mit Unsinn und Plattheiten gedient ist, nothwendig auch und regelmäßig damit versehen, und also auch berücksichtigt werden. Dies ist der Krebsschaden unserer Theater, und wird für ihn nicht Abhülfe geschafft, so werden dieselben immer weniger Kunstanstalten, immer weniger Volksbildungsanstalten und immer mehr theure Auswüchse eines bloß frivolen und dann sehr entnervenden Genusses, von welchem Theodorich seine Gothen in Welschland einst aus Gründen abhielt, deren Werth die Geschichte auf jedem Blatte belegt. C. S.

[Originale Fußnoten]

  • *) Die Redaction wird mit Vergnügen jede etwaige Gegenrede, wenn sie nur eben so thatsächlich begründet ist, aufnehmen.
  • *)Wenn der Redaction vergönnt ist, ein Wörtchen mitzusprechen, so erlaubt sie sich zu bemerken, daß eben darin, daß man für den Freischützen, eine Oper, welche der Casse bereits mindestens 20,000 Thlr. eingebracht hat, nur 500 Thlr. gezahlt, eine Aufforderung lag, durch anständigere Honorirung der Euryanthe dem Componisten eine zarte Aufmerksamkeit zu beweisen. Anmerk. der Redaction.
  • **) Es giebt Menschen, die sich unter den hyperbolischen Redensarten auch die angewöhnt haben, von Maaßregeln, gegen welche Keiner an und für sich etwas ein¦zuwenden hat, zu reden, als würde damit der Kunst eine Schmach angethan! Man nannte das sonst schlechtweg – Uebertreibung. A. d. Einsenders.
  • *) Wir behalten uns vor, unsere Ansicht über ein solches Geschwornengericht in einem besonderen Aufsatze mitzutheilen.

Apparat

Zusammenfassung

Aufsatz

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Berliner Conversations-Blatt für Poesie, Literatur und Kritik, Jg. 2, Nr. 1 (1. Januar 1828), S. 2–4

    Einzelstellenerläuterung

    • -recte „.
    • werdenrecte „worden“.

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