Aufführungsbesprechung Berlin: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber im Januar 1826

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Correspondenz.

Nach dem Berichte des Spener’schen Recensenten über die Oper Euryanthe ist dieses neueste Product des berühmten Maria von Weber hier in den ersten beiden Vorstellungen mit außerordentlichem Enthusiasmus aufgenommen worden*. Zu meiner nicht geringen Verwunderung war aber bei der dritten Vorstellung* gar nichts zu verspüren von jenem ungemeinen, einstimmigen Beifall; nicht ein einziges Mal zeigte sich die sehr zahlreiche Versammlung so hingerissen, wie sie sich z. B. bei dem unendlich oft wiederholten Don Juan zu äußern pflegt; der Beifall ließ sich immer nur theilweise und unentschieden vernehmen, so daß man ihn, der Wahrheit gemäß, nur sehr mäßig, ja lau nennen muß, und nicht umhin kann, jenen außerordentlichen, einstimmigen Enthusiasmus in Zweifel zu ziehn. Wenigstens möchte es sich schwer erklären lassen, wie von einer so großen, seltenen Begeisterung schon bei der zweiten Wiederholung so viel wie nichts mehr konnte bemerkbar seyn. Oder sollte man annehmen müssen, daß die persönliche Gegenwart des Berühmten, deren sich die dritte Aufführung nicht zu erfreuen hatte, die gerühmte, hohe Begeisterung des Publikums bedinge? Ich bin der Meinung, daß es keinesweges zu verwundern ist, wenn diese Oper, bei allem Aufwande von Kunst und von allem, was Gefühl, Phantasie und Schaulust nur verlangen mögen, im Ganzen doch nur einen schwachen und unbefriedigenden Eindruck zurückläßt. Allerdings trägt einen großen Theil der Schuld die Dichtung, welcher es nicht nur an der, einem musicalischen Drama nothwendigen Einfachheit, Klarheit und Faßlichkeit, sondern eben so sehr an wahrhaft dramatischem Leben fehlt. Allein auch die Composition hat ihre bedeutenden Mängel. Zunächst macht sich eine gewisse Anstrengung fühlbar; das Meiste ist, mit Schiller zu reden: „der Masse qualvoll abgerungen“, und nur von sehr Wenigem kann man sagen, es sey „schlank und leicht, wie aus dem Nichts gesprungen.“* Sodann vermißt man fast überall das rechte Maaß; man bekömmt fast immer mehr als nöthig und genießbar ist. Es wird | einem gar zu oft zu Muthe wie auf einer Bauernhochzeit, wo man bei überfüllten Tellern die Eßlust verliert, und wenn man endlich dem ewigen Nöthigen zum Essen nachgiebt, sich mit den schweren Speisen den Magen verderbt. Diese Ueberfülle zeigt sich in’sbesondre bei den Recitativen, wo eine Tonmalerei die andre verschlingt, so daß man von den unzähligen kleinen Gemälden zuletzt ganz verwirrt wird. In den neuesten Opern wird überhaupt das Recitativ als das Hauptsächliche behandelt und der eigentliche Gesang gleichsam nur noch beibehalten; nach und nach wird er völlig recitativisch werden, halb ist er es jetzt schon – eine tolle Verkehrtheit, worüber mit allem Recht die Wälschen ihren Spott auslassen: diese Vorliebe für das Recitativische erklärt sich aus der Vorliebe für die Harmonie, welche die Vorzüge der deutschen Componisten in Anwendung der verschiedensten Instrumente geltend zu machen, am meisten geeignet ist. Diese Vorzüge werden denn auch nicht selten zu wahren Nachtheilen, indem die Begleitung so stark ausfällt, daß keine menschliche Stimme hindurchzudringen vermag, und der Gesang in Geschrei ausartet, wovon es auch in der Euryanthe nicht an Beispielen fehlt.

An einzelnen Schönheiten ist diese Oper sowohl in der Wort- als Tondichtung nicht arm, sie bezeugen aber nur, wie viel dem Ganzen noch abgeht, um ein wahrhaft schönes zu seyn und einen Genuß zu gewähren, welcher nichts vermissen läßt.

Die Darstellung war ausgezeichnet gut; besonders ragte Madam Seidler als Euryanthe hervor; sie sang und spielte mit einer Begeisterung, welche zauberhaft wirkte. Mad. Schulz als Eglantine that hin und wieder des Guten zu viel, so daß die Megäre in ihrem teuflischen Rasen und Wüthen, wie alles Uebertriebene der Art einen, theils comischen, theils abstoßenden Eindruck machte. –

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Bandur, Markus

Überlieferung

  • Textzeuge: Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode, Jg. 41, Nr. 9 (31. Januar 1826), S. 70–72

Textkonstitution

  • „in’sbesondre“sic!

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