Aufführungsbesprechung Leipzig: „Preciosa“ von Carl Maria von Weber am 23. Dezember 1822

Das Theater ist in der letzten Zeit durch die anhaltend strenge Kälte zuweilen gestört worden, indem die Gewalt der Zugluft auf der Bühne manche Unpäßlichkeiten der Schauspieler und Sänger herbeyführen muß, und auf daß Publikum die Kälte ebenfalls empfindlich wirkte. Der Unternehmer, dessen Verdienst kürzlich durch eine in mehreren Unterhaltungblättern ausführlich beschriebene dramatische Geburtstagsfeyer von Seiten seines Personals, wie des Publikums anerkannt wurde, hat auch im Plane, die dem allgemeinen Genusse so förderliche Heizung des Theaters einrichten zu lassen; aber es dürfte ihn wohl nicht zugemuthet werden, die großen Kosten dieser Einrichtung allein zu tragen. Seit meinem letzten Berichte wurde uns der Bräutigam aus Mexiko, und Preziosa als neu vorgeführt. […]

Preziosa erschien von Seiten der Direktion so geschmackvoll und glänzend ausgestattet, daß sie wohl auf einige Zeit die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen wird. Der illuminirte Garten und der Tanz zu dem lieblichen Tanzchor von C. M. v. Weber versetzt die Phantasie in das Gebiet der schönsten Träume; und es ist schade, daß gleich darauf der Zuschauer durch die längst vorhergesehene Entwicklung wieder entzaubert wird, mit welcher das Stück kalt und klanglos schließt. Mad. Genast bewährt als Preziosa ein vielseitiges Talent, ihre edle Erscheinung ist der Träger desselben. Die Rolle fordert noch mehr, als sie giebt, und wird daher allen Schauspielerinnen, die sich in seltenen, phantastischen Situationen vielfach und geistreich zu bewegen wissen, sehr erwünscht seyn. Außerdem ist besonders Herr Koch höchst ergötzlich. Die wichtigthuende Einfalt und Poltronerie des defekten Pedro stellt er in einem herrlichen Karrikaturbilde dar. In der Musik zu diesem Schauspiel im eigentlichen Sinne ist Webers bedeutendes Talent im Charakterisiren wieder deutlich zu erkennen; den Zusammenhang der Ouverture aber möchte ich nicht rechtfertigen.

(Der Beschluß folgt.)